David Fäh, viele wissen, dass Fast Food und Fertigprodukte ungesund sind. Aber auch andere ultrahochverarbeitete Lebensmittel (UPF) wie Frühstücksmüesli oder veganer Brotaufstrich könnten problematisch sein. Das zeigen immer mehr Studien. Sind Sie alarmiert?
Immer klarer wird, dass UPF negative Auswirkungen aufs Immunsystem und die Blutgerinnung haben, auf das Mikrobiom im Darm Darm-Hirn-Achse So beeinflusst der Darm unsere Persönlichkeit , die Blutzucker- und Sättigungsregulation. Allerdings sind das Beobachtungsstudien. Sie belegen nicht, dass UPF diese negativen Auswirkungen verursachen. Aber sie zeigen, dass Zusammenhänge bestehen. Wer viele UPF konsumiert, hat eher gesundheitliche Probleme.

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In der Schweiz ernähren wir uns zu rund 25 Prozent mit UPF. Welche wandern unbewusst in den Einkaufskorb?
Vor allem Fleischersatzprodukte Fleischlos glücklich 9 Alternativen zu Fleisch . Sie sind in den allermeisten Fällen hochverarbeitet. Konsumentinnen und Konsumenten denken trotzdem, sie seien gesund. Häufig tragen sie viele Labels, sollen glutenfrei sein, vegan und besonders viel Protein enthalten. Das Eiweiss in Ersatzprodukten kann man aber nicht mit tierischem Protein vergleichen. Es ist viel schlechter verfügbar und verdaulich als zum Beispiel bei einer Pouletbrust. Das kann besonders für ältere Personen zum Problem werden. Weil sie unter Umständen weniger Protein zu sich nehmen, als sie meinen – und dadurch mehr Muskeln abbauen, als sie müssten.


Von welchen Produkten raten Sie ausserdem ab?
Von vermeintlich gesunden verarbeiteten Produkten. Also solchen, auf deren Verpackung gross «high protein», «mit Ballaststoffen», «sugarfree», «mit Vitaminen», «laktosefrei», «glutenfrei» steht. Als Faustregel könnte man sagen: Je mehr Labels und Auslobungen, desto stärker verarbeitet das Produkt. Und entsprechend problematischer für die Gesundheit. Auch viele Bio-Produkte sind übrigens hochverarbeitet.

Zur Person: David Fäh

Was können Vegetarierinnen und Veganer tun, um solche problematischen Ersatzprodukte zu vermeiden?
Sie brauchen keine veganen Würste oder Nuggets. Man kann gut mit weniger verarbeiteten Zutaten vegetarisch oder vegan kochen. Gute Proteinquellen sind Tofu, Samen, Nüsse. Auch mit Mehl aus Hülsenfrüchten und Mandelmehl lassen sich viele Gerichte zubereiten. Wenn man Mahlzeiten vorkocht und einfriert, kann man selbst Convenience-Food herstellen, das nicht so hochverarbeitet ist.


Neben Labels soll der Nutri-Score Orientierung im Laden geben, welche Produkte gesund sind. Was halten Sie davon?
Der Nutri-Score ist gut gemeint, aber hilft in seiner jetzigen Form nicht viel, wenn man wissen will, ob ein Lebensmittel ein UPF ist. Denn etwa 20 Prozent der Produkte mit grüner Bewertung sind hochverarbeitet. Darunter besagte Fleischersatzprodukte und viele Frühstücksmüesli, Riegel und sogar normales Schoggipulver. Die Industrie wird immer kreativer, den Score zu nutzen, um das Produkt «grüner» aussehen zu lassen. Zum Beispiel, indem sie Nahrungsfasern beifügen oder Zucker durch andere Süssungsmittel ersetzen. Letzteres ist ebenfalls problematisch, wie immer mehr Studien zeigen. Französische Forscher arbeiten daran, den Nutri-Score mit dem Verarbeitungsgrad zu ergänzen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das viel bringt. Denn irgendwann wird es für die Konsumentinnen und Konsumenten zu kompliziert.

«Ein Erfolgsbeispiel: Brot wird heute mit weniger Salz hergestellt – dank Vorgaben des Bundes. Kundinnen und Kunden haben nichts mitbekommen.»

David Fäh, Ernährungswissenschaftler

Wie lässt sich der Trend zu immer mehr UPF stoppen?
Vorgaben müssen geschärft werden, etwa an Werbung für Kinderprodukte. Die sind häufig hochverarbeitet und ungesund. Sie sollten nicht so attraktiv verpackt und vermarktet werden dürfen. Einen grossen Hebel hätte man bei Getränken. Softdrinks mit 0,12 Prozent Fruchtsaftzusatz sind kein «Fruchtsaft». Die Produktbezeichnungen sollten strenger und transparenter werden. Und eigentlich bräuchte es die meisten Labels nicht – sie lenken bloss von der oft dürftigen Qualität des Produkts ab. Zusätzlich könnte man frische, saisonale und regionale Produkte von der Mehrwertsteuer befreien und ungesunde Produkte wie UPF höher besteuern.


Mehr Regulierung hat bei den Leuten wenig Chancen …
Im Prinzip müssen Veränderungen passieren, ohne dass die Konsumentinnen und Konsumenten davon etwas mitbekommen. Der Gesetzgeber könnte den Herstellern Vorgaben machen. Etwa dass diese den Verarbeitungsgrad zurückschrauben und gesündere Prozesse wie Fermentation anwenden müssen. Oder dass sie die Anzahl Zutaten in Produkten oder den Zuckergehalt reduzieren müssen. Ein Erfolgsbeispiel ist, dass Brot heute mit weniger Salz hergestellt wird. Das ging relativ problemlos mit Vorgaben des Bundes an die Industrie. Kundinnen und Kunden haben nichts mitbekommen.

Die Schweiz isst zu ungesund

In unserer Ernährung machen ultrahochverarbeitete Lebensmittel rund einen Viertel aus. Warum das problematisch ist, lesen Sie in diesem Artikel.

Vorgaben rufen auch bei der Industrie Gegenwehr hervor. Wie geht man damit um?
Jede Regulierung kann umgangen werden. So hat der Hersteller von Coca-Cola in Ländern, die eine Zuckersteuer für Süssgetränke eingeführt haben, diese Steuer einfach gezahlt, statt die Rezeptur von Coca-Cola zu ändern. In anderen Süssgetränken wurde der Zucker durch Süssstoffe ersetzt. Die Angst war zu gross, dass die Kundschaft etwas merkt und das Produkt nicht mehr kauft. Daher müsste eine Strategie zur Reduktion von UPF breit aufgestellt sein – etwa indem das ganze Süssgetränk und nicht bloss der Zucker darin besteuert wird. Und man müsste auch die Konsumentinnen und Konsumenten in die Verantwortung nehmen: sich besser zu informieren, was sie zu sich nehmen.


Der Markt wird immer internationaler, viele Leute kaufen im Ausland ein. Da wird es schwierig mit einer reinen Schweizer Regulierung.
Ja, verarbeitete Produkte werden besonders oft importiert. Das hebelt viele Massnahmen aus. So gibt die Schweiz eigentlich vor, dass für Fertigprodukte jodifiziertes Kochsalz verwendet werden muss. Jetzt werden aber viele Produkte aus Frankreich eingeführt, wo es verboten ist, jodifiziertes Salz zu verwenden. Folglich haben wir immer mehr Leute mit einem Jodmangel. Daher müssten Regulierungen zumindest auf EU-Ebene eingebettet sein.

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