Die Nährwert-Ampel setzt sich durch
Der Bund spricht sich für das Ampelsystem Nutri-Score als Kennzeichnung für Lebensmittel aus. Auch Migros, Coop und Nestlé zeigen sich erstmals gesprächsbereit.
Veröffentlicht am 26. April 2019 - 12:59 Uhr,
aktualisiert am 26. April 2019 - 14:58 Uhr
Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé will seine Lebensmittel und Getränke künftig mit dem Nutri-Score kennzeichnen. Das gab der Konzern in einer Mitteilung bekannt. Bis im vergangenem Herbst wollte Nestlé noch eine eigene Lebensmittelampel einführen, diese wurde von Konsumentenschützer jedoch als nicht aussagekräftig oder gar täuschend kritisiert. Schliesslich zog das Unternehmen die Pläne für die sogenannte Industrieampel zurück und bekräftigte nun, bei der Lebensmittelampel Nutri-Score mitzumachen. Grund dafür sei, dass verschiedene Länder, darunter die Schweiz, sich für dieses System ausgesprochen haben.
Nach wie vor gegen den Nutri-Score sträuben sich hingegen Migros und Coop. Ihre Vertretung, die IG Detaihandel, nimmt am kommenden runden Tisch des Bundes nicht teil, wie die Sonntagszeitung berichtet. Man sei gegenüber der Einführung einer Lebensmittel-Ampel kritisch, heisst es bei der IG, zu der auch Denner und Manor gehören: «Solche Systeme nehmen keine Rücksicht auf die individuellen Ernährungsbedürfnisse.»
Auch der Dachverband der Schweizer Nahrungsmittelindustrien, Fial, klinkt sich aus der Diskussionsrunde aus. Man wolle sich nicht jetzt schon auf Nutri-Score fixieren, heisst es. «Wir sind nicht grundsätzlich gegen ein vereinfachtes Kennzeichnungssystem. Wir möchten aber erst abwarten, wie sich Deutschland entscheidet». Dies, weil das Nachbarland der wichtigste Exportmarkt für viele Hersteller von Produkten wie Schokolade und Backwaren sei. Zu erwarten ist, dass Deutschland im Herbst eine Entscheidung fällt.
Der Nutri-Score zeigt anhand eines Ampelsystems und einer Skala von A bis E, ob ein Lebensmittel eher gesund ist oder nicht. Der Bund hat sich Anfang Jahr für die Einführung des Nutri-Scores ausgesprochen, allerdings auf freiwilliger Basis.
Die Stiftung Konsumentenschutz nennt es einen «ersten, wichtigen Schritt, Lebensmittel in der Schweiz künftig mit einer einheitlichen Gesundheits-Ampel zu kennzeichnen»: Erstmals haben sich Ende April Detailhändler und Lebensmittelhersteller mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit getroffen, um über das Ampelsystem Nutri-Score zu diskutieren. Dieses zeigt mittels der Buchstaben A bis E und einer Farbskala an, ob ein Produkt ausgewogen und gesund ist oder eher nicht. Im Unterschied zu anderen Labels gibt der Nutri-Score nicht den Zucker- oder Fettgehalt an, sondern die Nährwertqualität insgesamt.
Am «runden Tisch» vertreten waren unter anderem Migros, Coop und Lidl, Nestlé, Emmi und Danone sowie Gesundheits- und Konsumentenschutzorganisationen. Der Bund machte dabei klar, dass er Gesundheitslabel für Lebensmittel grundsätzlich begrüsst. Und auch, dass dass er dafür das Nutri-Score-System aus Frankreich favorisiert. Konkret beschlossen habe man zwar nichts, betonen alle Beteiligten des runden Tischs. Es soll jedoch ein zweites Treffen stattfinden, an dem das Bundesamt zusammen mit Detailhändlern und Lebensmittelherstellern das weitere Vorgehen in Zusammenhang mit dem Nutri-Score bespricht.
Sowohl die Grossverteiler Migros und Coop wie auch die Lebensmittelindustrie haben sich bisher mehrheitlich gegen die Einführung solcher Gesundheits-Labels ausgesprochen – oder selber solche entwickelt, die mehr verschleiert als informiert hätten . Nun geraten sie aber zunehmend unter Druck. Nicht nur bekennt sich der Bund erstmals klar in dieser Sache. Vor allem hat der französische Lebensmittelhersteller Danone Anfang März bereits Tatsachen geschaffen und versieht auch in der Schweiz einen Teil seiner Marken mit dem Nutri-Score.
Zwar wehren sich Migros und Coop gegen die Darstellung, sie hätten ihren Widerstand gegen Gesundheitslabel aufgegeben, und halten an ihrer Kritik am Nutri-Score fest.
So schreibt die IG Detailhandel auf Nachfrage im Namen der beiden Grossverteiler: «Lebensmittel sind grundsätzlich nicht gut oder schlecht. Für eine ausgewogene Ernährung ist die gesamte Lebensmittelwahl zu berücksichtigen – das Mass ist entscheidend. Solche Leitsysteme nehmen keine Rücksicht auf die individuellen Ernährungsbedürfnisse der Konsumenten, berücksichtigen die konsumierten Mengen nicht und beurteilen Lebensmittel als Ganzes und an Hand eines Bewertungsschemas.»
Und die Föderation der schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (FIAL), der unter anderem Nestlé und Emmi angeschlossen sind, verweist auf einen Entscheid des Landgerichts Hamburg: Dieses hat Hersteller Iglo in Deutschland vorläufig verboten, seine Produkte mit dem Nutri-Score zu versehen – weil das Ampelsystem gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstosse.
Zudem sei man in Deutschland dran, ein neues Kennzeichnungs-System zu entwickeln, schreibt die FIAL. «In einer solchen Situation ist es das Klügste, vorerst zuzuwarten statt in Aktionismus zu verfallen und sich verfrüht für oder gegen ein bestimmtes Modell auszusprechen.»
«Wichtig ist, dass man sich auf ein Label einigt, damit die Konsumenten nicht verwirrt werden.»
Sara Stalder, Stiftung für Konsumentenschutz
Nichtdestotrotz ist Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz zuversichtlich, dass der Nutri-Score sich in der Schweiz durchsetzen wird. Am runden Tisch hätten Danone und andere ausländische Lebensmittelhersteller aufgezeigt, dass die Konsumenten positiv auf die Ampel reagierten. Andere Hersteller würden darum dem Beispiel folgen.
Auf Produkten in Schweizer Läden findet man zurzeit mindestens drei verschiedene Gesundheits-Label. Stalder betont deshalb: «Wichtig ist, dass man sich auf ein Label einigt, damit die Konsumenten nicht verwirrt werden. Dagegen hat es am runden Tisch keine Opposition gegeben.»
Akzeptieren müssen die Konsumentenschützer wohl, dass die Einführung einer solchen Kennzeichnung freiwillig bleibt. Der Bundesrat hat im März auf eine entsprechende Frage aus dem Parlament klargestellt: Die Ernährungsstrategie des Bundes beruhe auf einer «freiwilligen Zusammenarbeit mit der Lebensmittelwirtschaft».
Warnfarben auf Verpackungen sollen den Konsumenten sagen, wie gesund ein Produkt ist. In den Schweizer Regalen sind zurzeit drei verschiedene Labels zu finden. Am Beispiel von Kinder-Schokolade zeigt sich, wie unterschiedlich sie Inhaltsstoffe kennzeichnen.