«Guter Schlaf hängt davon ab, was wir erwarten»
Kinder sind nachts mehrmals wach – das sei normal, sagt die Kinderneurologin Eveline Perret. Sie erklärt, wie Eltern dem Nachwuchs helfen können, Schlaf zu finden.
Veröffentlicht am 14. November 2019 - 11:57 Uhr
Sie beraten am Universitären Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrum des Inselspitals Bern Kinder und Jugendliche mit Schlafstörungen. Welches sind die häufigsten Probleme?
Eveline Perret: Bei Säuglingen und Kleinkindern bis zum Alter von zwei Jahren stehen Durchschlafstörungen im Vordergrund. Sie sind meist nicht organisch bedingt, jedoch für die Familien oft sehr belastend. Im Vorschulalter beginnt es mit sogenannten Parasomnien: Dazu zählen Angstträume, Schlafwandeln
oder Nachtschreck. Während Angstträume im Traumschlaf und meist in der zweiten Hälfte der Nacht auftreten, ist der Nachtschreck ein unvollständiges Erwachen aus dem Tiefschlaf, der meist im ersten Nachtdrittel auftritt. Beide Störungen können für die Eltern sehr beängstigend sein, sind aber harmlos.
Wie viele Kinder haben Parasomnien?
Etwa 10 bis 50 Prozent. In der Regel verschwinden sie im Jugendalter wieder. Manchmal wollen auch Vorschulkinder, die bisher gut geschlafen haben, nicht mehr allein schlafen, oder sie zögern das Zubettgehen hinaus. Im Jugendalter treten eher Schlafrhythmusprobleme
mit spätem Einschlafen auf.
Wann sollten Eltern bei Schlafstörungen Rat bei Fachleuten holen?
Ab wann nächtliches Erwachen bei Kindern eine Störung ist, ist nicht so einfach zu definieren und auch abhängig von den Erwartungen und der jeweiligen familiären Situation. Die Mutter eines knapp zweijährigen Kindes meinte in der neurologischen Sprechstunde auf Nachfrage, dass ihr Kind sehr gut schlafe, obwohl sie jede Nacht zwei Mal länger mit ihm wach war. Ich fand es eindrücklich, dass dies für sie überhaupt kein Problem war. In einem solchen Fall sollte man auch keins daraus machen.
Wann muss man handeln?
Handlungsbedarf besteht dann, wenn ein Elternteil, das Kind oder die ganze Familie unter den nächtlichen Ruhestörungen leidet. Auch wenn ein Kind trotz genügend Schlaf tagsüber nicht ausgeruht
ist oder über längere Zeit mehrmals täglich ungewollt einschläft, sollte man dies mit dem Kinderarzt besprechen. Es gibt auch Schlafstörungen mit körperlichen Ursachen, die man behandeln sollte. Am häufigsten ist das sogenannte
Schlafapnoe-Syndrom, bei dem Atemaussetzer einen erholsamen Schlaf verunmöglichen. Davon sind etwa 2 Prozent aller Kinder betroffen. In der Regel sind zu grosse Mandeln die Ursache, eine einfache Operation löst das Problem. Bleibt es unbehandelt, kann die Gesundheit langfristig Schaden nehmen.
Machen sich Eltern manchmal auch zu viele Sorgen und sehen Schlafstörungen, wo gar keine sind?
Man darf als Eltern keine zu hohen Erwartungen haben. Man sollte sich bewusst sein, dass mehrmaliges nächtliches Erwachen normal ist. Auch Erwachsene erwachen mehrmals pro Nacht, nehmen dies meist aber nicht bewusst wahr. Auf Leichtschlaf folgen Tiefschlaf und Traumschlaf, und nach kurzem Erwachen beginnt ein neuer Zyklus. Bei Erwachsenen dauert ein solcher Zyklus 90 bis 110 Minuten, bei Säuglingen 40 bis 60 Minuten. Ein Schlafrhythmus muss sich jedoch erst ausbilden. Das Gehirn von Neugeborenen ist noch unfertig, ihre innere Uhr ist noch nicht richtig ausgebildet. Erst ungefähr ab vier bis sechs Monaten ist der Schlafrhythmus physiologisch so ausgebildet, dass das Kind durchschlafen
könnte. Doch muss es erst lernen, sich selbst zu beruhigen und beim nächtlichen Aufwachen selbst wieder den Schlaf zu finden. Und das lernt es nicht, wenn es abends immer nur an Mamis Brust oder auf Papis Arm einschläft.
«Wichtig sind regelmässige Bettzeiten, Einschlafrituale, ein ruhiges Zimmer und tagsüber Bewegung.»
Eveline Perret, Kinderneurologin
Dann sind also die Eltern schuld, wenn ihr Kind nicht durchschläft?
Das ist sehr plakativ gesagt. Wer selbst Kinder hat, weiss, wie schwierig es sein kann. Am Anfang brauchen Säuglinge sehr viel Körperkontakt, aber man sollte schon in den ersten Lebensmonaten beginnen, sein Kind noch wach ins Bettchen zu legen, wenn es müde ist. Am Anfang bleibt man bei ihm und signalisiert ihm: Ich bin da. Wenn das funktioniert, sollte man das Zimmer auch mal verlassen und nicht sofort wieder reingehen, wenn das Kind weint – sondern zuerst einige Sekunden, später eine, vielleicht auch fünf Minuten warten. Solche Verhaltenstrainings sind sehr wirksam, wenn sie konsequent umgesetzt werden, aber man muss auch die Energie haben, das durchzuziehen. Und es ist auch nicht bei allen Kindern gleich einfach. Manchen fällt es leichter, sich selbst zu regulieren, und andere brauchen dabei sehr viel Unterstützung.
Wie kann man den Kindern helfen, das Einschlafen zu lernen?
Wichtig sind regelmässige Bettzeiten, ein ruhiges Abendprogramm, Einschlafrituale, ein ruhiges, dunkles, kühles Schlafzimmer und genügend Bewegung tagsüber. Bei Säuglingen sollte man nächtliche Mahlzeiten möglichst kurz und unattraktiv gestalten, nur leise sprechen, im Dunkeln bleiben und ihnen so signalisieren, dass nun Schlafenszeit ist. Zudem sollte man nachts nicht zu rasch reagieren, wenn das Kind wach ist. Bei älteren Kindern und Jugendlichen
sollten Bildschirme wenn möglich ein bis zwei Stunden vor dem Zubettgehen ausgeschaltet werden, und im Schlafzimmer selbst sollte es keinen Bildschirm geben. Das sind schöne Regeln, die in der Praxis allerdings manchmal schwierig umzusetzen sind.
Was können Eltern tun, wenn ihre Kinder unter Nachtschreck oder Alpträumen leiden?
Der Nachtschreck ist bei Kleinkindern häufig. Da die Kinder oft total ausser sich und nicht ansprechbar sind, kann er für Eltern sehr beängstigend sein. Dennoch sollten sie versuchen, selbst ruhig zu bleiben. Da sich der Zustand meist noch verschlimmert, wenn man das Kind zu wecken versucht, sollte man das vermeiden. Manche Kinder beruhigen sich durch eine Umarmung, andere reagieren auf Berührungen gar nicht gut. Dann kann man versuchen, sie verbal oder mit einem Lied zu beruhigen. Die Kinder schlafen dann, ohne richtig zu erwachen, weiter und wissen am nächsten Tag nichts vom nächtlichen Ereignis.
Was können Eltern bei Alpträumen tun?
Bei Alpträumen kann es den Kindern helfen, wenn man den Trauminhalt mit ihnen bespricht. Bei einem meiner Patienten tauchten in den Alpträumen häufig unheimliche Spinnen auf. Wir haben überlegt, was man im Traum gegen diese Spinnen tun könnte, und er sagte, ein Löwe könnte sie verjagen. Die Eltern begannen, in die Gutenachtgeschichten Löwen einzubauen, die den Jungen beschützen. Das hat ihm geholfen. Kinder haben am Tag oft gute Ideen, wie sie mit den Monstern ihrer Alpträume
fertigwerden könnten, und finden einen neuen, guten Ausgang für ihre Träume.
Sind Alpträume gesundheitlich ein Problem?
Angstträume sind zwar unangenehm, aber harmlos. Wenn sie auftreten, sollte man dem Kind Nähe und Sicherheit bieten und es ihm nicht übelnehmen, wenn es einen nachts aufweckt. Wenn man das Kind allerdings nicht immer im eigenen Bett haben möchte, sollte man es wieder ins eigene Zimmer begleiten und bei ihm sein, bis es sich beruhigt hat.
Unter Umständen ist es aber anstrengender, ein Kind immer in sein Bett zu bringen, als es im Elternbett schlafen zu lassen.
Ja, das ist so. Es kostet manchmal viel Energie, das durchzuziehen. Und es gibt auch Familien, die sehr gut alle in einem Bett schlafen. Wie bereits gesagt: Was ein guter Schlaf ist und was ein Problem, hängt auch sehr von dem ab, was wir erwarten, und von der familiären Situation.
1 Kommentar
Regelmässiger Tagesrythmus, ist unterstützend.
Ein ausgeglichenes Familienleben, mit viel Bewegung im Freien, wenig Ablenkung, Stress für Augen, Ohren, Gehirn, Psyche, durch elektronische Geräte (TV, Computer, Handy und Co)