Als Gotte habe ich in den letzten Jahren eins gelernt: Vertraue nie deinem Instinkt! Und versuche dich schon gar nicht zu erinnern, welche Spielsachen du damals selbst toll gefunden hast. Es funktioniert nicht.

Also wiederholt sich vor jedem Geburtstags- und Weihnachtsfest meines «Gottameitlis» dasselbe Schauspiel: Ich laufe planlos in ein Spielzeuggeschäft, pirsche verwirrt durch die Gänge und hoffe, von einem geschäftstüchtigen Mitarbeitenden gerettet zu werden. Das Verblüffende: Ausnahmslos alle Verkaufsgespräche beginnen mit derselben Frage: «Ist es für ein Mädchen oder einen Buben?»

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Und tatsächlich: Ein tiefer Geschlechtergraben zieht sich durch die Verkaufsfläche. Hier die rosa Explosion von Hello-Kitty-Figuren, Prinzessin-Lillifee-Puppen, Topmodel-Schminkkästen. Dort die blau-grüne Welt aus Superhelden, Traktoren und Spielzeugautos. Die Botschaft ist klar: Mädchen beschäftigen sich am liebsten mit Haustieren, Schönheit, Mode und Hausarbeit, Buben basteln, sind aktiv, erkunden und retten die Welt. Binäre Geschlechterordnung Weder Frau noch Mann Vom Leben dazwischen , wie sie im patriarchalischen Buch steht. Echt jetzt?

Zwei verkaufte Sets statt einem

Wann sind Spielzeuggeschäfte zum Mekka des Gendermarketings verkommen? Das ist gar nicht so lange her, sagt Spielzeugforscher Volker Mehringer von der Universität Augsburg (D). Das liegt auch daran, dass das Konzept des Spielzeuggeschäfts noch relativ jung ist. «Früher waren Spielwaren ein Luxusgut. Die meisten haben sich aus Materialien, die zu Hause herumlagen, etwas gebastelt.»

Einer der Hauptgründe für die Entwicklung liegt für Mehringer auf der Hand: «Es steckt eine marktwirtschaftliche Überlegung dahinter. Wenn man für die Tochter rosa Figuren kauft, muss man für den Sohn blaue kaufen. Macht zwei verkaufte Sets statt einem.» Die Taktik scheint aufzugehen. Im vergangenen Jahr hat der Spielwarenmarkt Schweiz einen Umsatz von 515 Millionen Franken erwirtschaftet.

Paradebeispiel «Lego Friends»

Nachfrage schafft Angebot. So wiederum argumentiert die Branche. Lego zum Beispiel, der grösste Spielzeughersteller der Welt. Noch in den Achtzigerjahren warb er mit einem schelmisch lachenden Mädchen, das stolz ein selbst konstruiertes Legogebäude präsentiert. Einige Jahrzehnte später scheinen die ganz gewöhnlichen Legobausteine nicht mehr en vogue: «Lego Friends» musste her, eine rosa Welt, in denen Mädchen Cupcakes backen, Pferde verarzten und sich im Butterfly Beauty Shop verschönern lassen. Mädchen und Knaben hätten unterschiedliche Spielbedürfnisse, hiess es auf einmal.

Blödsinn, sagt etwa die Neurowissenschaftlerin Lise Eliot von der US-amerikanischen Chicago Medical School. Zwischen den Gehirnen von Buben und Mädchen seien kaum Unterschiede zu finden, sagt sie. Wie sich ein Mensch im Laufe seines Lebens verhalte, hänge vielmehr davon ab, wie er behandelt werde und was er mit seiner Zeit anstelle.

Anders sieht das die Münchner Psychologieprofessorin Doris Bischof-Köhler. «Jungen betätigen sich schon als Einjährige lieber grobmotorisch, benutzen Spielsachen auch einmal zum Herumwerfen oder dazu, andere zu verhauen. Mädchen dagegen spielen lieber mit Plüschtieren und Puppen sowie Puppengeschirr und zeigen mehr feinmotorisches Geschick», schreibt sie.

Früher war es umgekehrt

Genderforscherin Fabienne Amlinger von der Uni Bern hält Resultate aus dem Bereich der Genderstudies entgegen. Sie liefert andere Erkenntnisse: Sozialisierung und gesellschaftliche Normvorstellungen seien prägend. So seien von vielen als typische Frauenarbeiten erachtete Tätigkeiten wie Nähen in anderen Weltgegenden typische Männeraufgaben. «Wenn alles in der Biologie angelegt wäre, würden die Aufgaben auf der ganzen Welt gleich verteilt werden.»

Auch die angebliche Vorliebe von Mädchen für die Farbe Rosa scheint eher ein Marketingtrend als ein Naturgesetz zu sein. So wurde Rosa bis vor 100 Jahren als «das kleine Rot» gesehen, eine Signalfarbe, die als männlich galt. In der Folge ordnete man Rot den Knaben zu, verschickte sogar rosa Geburtsanzeigen für Jungs. Mädchen wurden hingegen blau gekleidet, weil Blau die Farbe der Jungfrau Maria war. Die religiöse Farbsymbolik änderte sich erst, als Matrosen und Arbeiter damit begannen, Blau zu tragen und die Farbe somit mehr und mehr mit Männlichkeit assoziiert wurde.

«Schon früh verinnerlichen Kinder den Mythos, dass Mädchen verletzlich und Jungs stark sind.»

Robert Blum, Johns Hopkins University

Blau oder Rosa, Traktor oder Puppe – die wichtige Frage ist letztlich: Schadet dieser Genderwahnsinn im Kinderzimmer dem Nachwuchs? Tatsache ist, dass Kinder ab etwa drei Jahren ein Bewusstsein für ihr Geschlecht entwickeln. Bereits mit 10 bis 14 Jahren besteht dann in den allermeisten Fällen ein ausgeprägtes Rollenbild.

Das geht aus einer grossen Untersuchung im «Journal of Adolescent Health» hervor. «Wir haben herausgefunden, dass Kinder schon in einem sehr jungen Alter sehr schnell den Mythos verinnerlichen, dass Mädchen verletzlich und Jungs stark und unabhängig sind», sagt Robert Blum, Direktor an der Johns Hopkins University und Leiter der Studie. Dieser Mythos werde von allen Seiten unaufhörlich bekräftigt – von Geschwistern, Mitschülern, Lehrerinnen, Eltern, Erziehern, Verwandten, Geistlichen und Sporttrainerinnen.

«Menschen haben ein Geschlecht, Spielsachen, Farben und Aktivitäten aber nicht. Indem wir diesen Dingen ein Geschlecht zuweisen, berauben wir unsere Kinder der Hälfte ihrer Welt und schränken sie in ihrer Entwicklung ein», sagt Nils Pickert, Gründungsmitglied der deutschen Initiative Pinkstinks, die sich gegen Sexismus in der Werbung einsetzt.

«Unsere Kinder sollten doch ganz frei und entsprechend ihren Interessen entscheiden können, wie sie die Welt spielerisch erkunden.»

Nils Pickert, Initiative Pinkstinks

Härter trifft das aus Pickerts Erfahrung Buben. Es sei zwar gesellschaftlich mittlerweile akzeptiert und werde sogar gefördert, dass Mädchen nach den Sternen greifen – doch umgekehrt hätten viele weiterhin ein Problem damit, wenn ein Bub gern mit Puppen spielt, sich verkleidet oder schminkt. «Diese Einstellung wertet Weiblichkeit zudem ab, sieht sie als etwas Schlechtes, Schwaches, nicht Erstrebenswertes.» Generell wünscht sich Pickert mehr Spass im Spielzimmer. «Es ist alles so furchtbar eng geworden. Dabei sollten unsere Kinder doch ganz frei und entsprechend ihren Interessen entscheiden können, wie sie die Welt spielerisch erkunden.»

Das hat übrigens mittlerweile auch Lego wieder erkannt und vor wenigen Wochen angekündigt, man entferne Geschlechterstereotypen aus den Spielzeugen. Der Entscheid fiel, nachdem eine weltweite Umfrage des Konzerns ergab, dass über 70 Prozent der befragten Knaben befürchteten, man mache sich über sie lustig, wenn sie mit «Mädchenspielzeug» spielen.

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