Ein Leben lang gearbeitet – vom Gericht abgestraft
Werner Mäder* quält sich trotz Schmerzen jahrzehntelang zur Arbeit. Bis er irgendwann eine IV-Rente beantragt. Doch die Gerichte stoppen den Mann.
Veröffentlicht am 4. Januar 2018 - 11:07 Uhr,
aktualisiert am 4. Januar 2018 - 10:58 Uhr
Man kann sich den «gmögig» wirkenden Mann als Traumangestellten vorstellen: fleissig, pflichtbewusst, loyal. Doch wenn Werner Mäder* auf den Gerichtsentscheid zu sprechen kommt, verliert er die Gelassenheit. «Was dieser Richter geschrieben hat, ist eine Frechheit.» Man habe ihn als faul hingestellt.
Dabei war es für Mäder immer eine Selbstverständlichkeit, hart zu arbeiten. Er wuchs ohne Vater in einer kinderreichen Familie auf, ging als Kind den Bauern helfen, «weil es dort gutes Essen gab».
Durch die Schule kam er mit Ach und Krach. In der Lehre als Schlosser fingen dann die Beschwerden an. «Ich habe nichts anderes gekannt, als unter Schmerzen zu arbeiten.»
Es begann mit Entzündungen in den Gelenken, an den Armen, Beinen, Hüften, die immer schlimmer wurden. Mäder hatte unter anderem eine Hüftarthrose und Lähmungserscheinungen in den Beinen, konnte kaum noch gehen, musste mehrmals die Ellbogen operieren lassen. Zum Arzt ging er trotzdem jahrelang nicht. Heute hat er von der Schulter bis zu den Füssen Schmerzen. Woher die Beschwerden kommen, dafür hat er letztlich keine Erklärung.
Doch Jammern ist nicht seine Art, immer hat er die Zähne zusammengebissen und sich so arrangiert, dass es irgendwie weiterging. In seinem angestammten Beruf konnte er bald nicht mehr arbeiten, also wechselte er mehrmals die Branche und den Wohnort. Um seine Anstellungen nicht zu gefährden, verschwieg er, dass er körperliche Probleme hatte. Auf Anraten von Ärzten nahm er jahrelang enorme Dosen von Schmerzmitteln. Ohne hätte er nicht arbeiten können.
2006, als die Beschwerden schon weit fortgeschritten waren, diagnostizierte ein Arzt eine «Erkrankung der Wirbelsäule, der Hüfte und der Schultergelenke und des linken Fusses». Mäder solle Arbeiten aussuchen, die «regelmässige Positionswechsel sowie eine Entlastung der Wirbelsäule erlauben» – genau so hatte er es schon lange gemacht. Manchmal hatte er zwei Jobs gleichzeitig, um die körperlichen Belastungen auszugleichen: Beim einen konnte er sitzen, beim anderen stehen. Und damit er weiterhin Chancen auf dem Arbeitsmarkt hatte, bildete er sich stetig weiter, holte in Abendkursen die Matura nach.
«Was dieser Richter geschrieben hat, ist eine Frechheit!»
Werner Mäder*, IV-Rentner
Werner Mäder war unter anderem Zugbegleiter und Wachmann bei der Securitas. Doch nach einigen Jahren konnte er nicht mehr so lange stehen. Also suchte er sich eine Arbeit im Detailhandel. Als er keine Gestelle mehr auffüllen konnte, wechselte er an die Kasse.
Mit der Zeit waren die Schmerzen aber so stark, dass er nur noch mit einer Hand arbeiten konnte. «Die Kunden in der Warteschlange fluchten laut, weil es so langsam vorwärtsging.» Mäder war an einem Wendepunkt angelangt. Nach Jahrzehnten des Sich-Durchbeissens musste er einsehen, dass er nicht mehr konnte. Doch statt sich krankschreiben zu lassen, kündigte er die Stelle. 2011 meldete er sich bei der IV an.
Zuletzt war er zu 60 Prozent bei der Migros angestellt gewesen und hatte daneben an einer Fernuniversität Rechtswissenschaften studiert. Seine Idee war, in einer Anwaltspraxis im Sekretariat zu arbeiten, doch auf seine Bewerbungen hagelte es Absagen. «Eine gewisse Naivität ist mir nicht abzusprechen», sagt Mäder, und ein leichtes Schmunzeln erscheint auf seinem Gesicht. Einen Quereinsteiger über 50 würde wohl kaum ein Anwalt als Sekretär anstellen.
Vier Jahre lang wartete er auf den Rentenentscheid, lebte von der Sozialhilfe und leistete Freiwilligenarbeit als Museumsaufseher. 2015 sprach ihm die IV eine volle Rente zu. Neben zahlreichen körperlichen Leiden diagnostizierten die Ärzte auch mittelschwere Depressionen. Mäder wurde als zu 50 Prozent arbeitsunfähig eingestuft, seine «Restarbeitsfähigkeit» galt für die IV als «nicht verwertbar». Der damals 57-jährige, offensichtlich kranke Mann fände realistischerweise keine Anstellung mehr.
Gegen den IV-Entscheid legte die Migros-Pensionskasse Beschwerde ein. Sie wäre zu einer Rentenzahlung verpflichtet gewesen. Sie brachte vor, der entscheidende Gesundheitsschaden sei erst nach der Anstellung bei der Migros bekanntgeworden, daher sei sie nicht zahlungspflichtig. Die Pensionskasse bekam vor Sozialversicherungsgericht recht. Mäders Anwalt kann den Entscheid nachvollziehen.
Doch das Gericht hob gleich die ganze IV-Rente auf. Selbst für Juristen schwer verständlich, errechneten die Richter eine Arbeitsunfähigkeit von lediglich 15 Prozent. Damit entfällt der Rentenanspruch. Das Gericht fand, Mäder – 59 und kaum fähig, irgendeine Tätigkeit ohne Schmerzen auszuüben – sei sehr wohl vermittelbar im Arbeitsmarkt. Und da er jahrelang vollkommen freiwillig Teilzeit gearbeitet habe, sei sein Rentenanspruch sowieso stark reduziert.
Diese Begründung empört Mäder: «Ich habe Teilzeit gearbeitet, weil ich daneben ein Studium machte – und auch wegen der Schmerzen.» Mäders Anwalt, Andreas Noll, findet die Urteilsbegründung «sachlich falsch». Die Richter hätten schlicht ignoriert, dass Mäder neben der Arbeit studiert habe. «Somit wird ein Mensch abgestraft, der stets die Zähne zusammengebissen hat.» Es sei stossend, dass das Gericht einen Entscheid der IV aufhebe, der auf mehreren ärztlichen Gutachten beruhe – ohne neue Abklärungen vorzunehmen. «Manche Richter wollen wohl den sozialpolitischen Sparkurs stützen», sagt Noll.
Doch auch der Gang vors Bundesgericht half Mäder nicht: Die höchste Instanz stützte das Urteil des Sozialversicherungsgerichts im Wesentlichen. Nun muss Mäder erneut Sozialhilfe beziehen. «Dass es einmal so weit kommen würde, hätte ich nicht im Traum gedacht.» Besonders bitter: Er musste auch die Prozesskosten von 17'000 Franken berappen, da er keine unentgeltliche Rechtspflege bekam. Offen ist, ob er die bereits bezogenen IV-Gelder zurückzahlen muss.
Kämpfen mag Werner Mäder nicht mehr, jammern mag er auch nicht. Doch etwas wird bleiben: Er fühlt sich von der Justiz betrogen.
*Name geändert
Hat jemand Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung, wird abgeklärt, zu welchem Grad der Anspruch besteht. Das IV-Verfahren ist sehr komplex und kann sich über eine längere Zeit ziehen, was viele verunsichern und frustrieren kann. Erfahren Sie als Beobachter-Mitglied, wie die IV vorgeht, wenn Sie sich für eine Rente anmelden und was Sie tun können, wenn Sie einen Entscheid anfechten wollen.
33 Kommentare
In diesem Monat werde ich 63 und gehe in Rente. Mir muss NIEMAND mehr etwas über, die Schweiz ist ein demokratischer Rechtsstaat erzählen. Das "Gelaber" von Menschenrechte und Menschenwürde wird oft von Denen benutzt, die am meisten auf ihnen rumtrampeln. In diesem Land wird alles schön geredet, nach dem Motto: "MIT VOLLEM WANZ LAESST SICH GUT REDEN". Scheinverfahren vollgepfeffert mit Wahrheitswidrigen Angaben und nachgelagerten Scheingerichte haben mir am eigenen Laibe aufgezeigt, in was für einem System wir wohnen. Einen grossen Dank an die Menschen, die den Mut haben aufzudecken. Ohne Sie würde es vermutlich noch viel schlimmer auf dieser Welt zu und her gehen. Nun, in ein paar Tage gehe ich in Rente und ziehe einen roten Strich unter das Ganze. Viel Mut denen, die das alles noch aushalten und über sich ergehen lassen müssen.
wir dürfen nicht vergessen, dass diese ganze bürokratie viele neue arbeitsplätze schafft. es sind die kinder, in die schule geh ich gern. sie labern und labern, den ganzen tag und die drecksarbeit der gesellschaft überlassen sie den andern. es ist die elite, die dafür bezahlt wird, dass es so läuft, wie es läuft. wie sagte doch einer meiner rechtsprofessoren. recht ist einfach, aber wir müssen es ein wenig kompliziert machen, ansonsten versteht es ja jeder.
und ein lehrbeauftragter meinte einmal, "wir wissen ja, dass es mit unserer zunft nicht zum besten steht." ... und eine wirtschaftsjuristin meinte, rechtsunsicherheit ist unser futter, daher erwarten sie keine musterlösungen, die gibt es nicht. beziehungen müssen sie haben... unser kritisches denken wurde gefördert und oft strapaziert, aber nur so versteht man, wie es oft, allzu oft hinter den "kulissen" zu und hergeht. anmerkung: nach dem unwetter streiken die einen und die andern räumen auf. ... und ein paar wenige machen damit das grosses geld. will heissen, selbst soziales elend wird matriell ausgeschlachtet. (spruch eines gelehrten!)
kämpfen kann man schon. aber gegen was? ein scheinverfahren wurde eingeleitet mit wahrheitswidrigen angaben und richtergesellen, die doofe anmerkungen anbringen, obwohl diese in keinster weise zutreffen.
so verdienen diese leute ihr geld auf kosten der steuerzah-ler und die bundesrichterin moniert dass der richtergeselle sich bei iv- grad um 50% verechnet habe und trotzdem lies sie es zu, dass ich tausende von franken anwalts und gerichtskosten zahlen musste. dank dem entscheid plündert die el jetzt auch noch ein teil meines geldes auf dem freizügigkeitskonte und krallt sich ein paar tausender unter die nägel. so läuft das in unserem proklamiertem rechtssystem. die gläubige/opportunistische elite funktiniert nach den regeln "in die schule geh ich gern..."; die drecksarbeit sollen die anderen machen und wenn sie im alter invild geworden, geben wir ihnen den schuh in den arsch. wenn du dich wehrst, plündern sie dich, sperren dich ein oder stecken dich in eine psychi. so was nennt man lumpen staat. jedoch sind es immer einzelne, die sowas zulassen oder nicht.
Organisierte Rentenklau!..