Rekorde bringen die Post ans Limit
Schweizer bestellen zum ersten Mal Waren für mehr als zehn Milliarden Franken. Die Post ist am Limit. Sie will für 190 Millionen neue Verteilzentren bauen.
Veröffentlicht am 27. Dezember 2019 - 18:24 Uhr
Egal, wie absurd. Eine lächelnde Avocado aus Plüsch. Nadeln zum Tätowieren der Augenbrauen. Ein 130 Zentimeter grosser Teddy. Pro Minute setzt die Schweiz im Kaufrausch 152 Bestellungen ab, jede dritte auf dem Handy. Der Versand kostet nichts oder wenig, ausser man will die Ware aus China oder sonst wo subito haben.
Schweizer Kundinnen und Kunden klickten so oft, dass sie letztes Jahr erstmals weit über zehn Milliarden Franken für Waren online ausgaben, schätzt der Branchendienst Carpathia. «Das Weihnachtsgeschäft 2019 schlägt dank E-Commerce alle Rekorde», stellten die drei grossen Kreditkartenfirmen schon Mitte Dezember fest.
Rekord für die Migros-Tochter Digitec Galaxus , Rekord für die US-Plattform Amazon, Rekord für den deutschen Modehändler Zalando, Rekord für den chinesischen Giganten Aliexpress. Das sind die vier aktuell umsatzstärksten Onlineshops im Land. Deutlich über 140 Millionen Pakete voller Elektronik, Schuhe und Jeans fluteten meist ihretwegen letztes Jahr die Verteilzentren der Post. Hinzu kommen 26 bis 27 Millionen Kleinwarensendungen aus Asien, denn von dort wachsen die Importe besonders kräftig.
Verantwortlich für dieses Wachstum sind die Plattformen Aliexpress aus China und Wish aus den USA, die vor allem Waren aus China vermitteln, die man oft als Ramsch bezeichnen darf. Zusammen mit Zalando und Amazon füllen sie die Lieferwagen bis zum Platzen. Es wächst eine Generation von Kunden heran, «die eine Welt ohne Onlineshopping gar nie gekannt hat», stellte die «NZZ» kürzlich fest.
Die Kundinnen und Kunden kümmern sich offensichtlich wenig um diskriminierende Arbeitsbedingungen, miese Löhne und Umweltzerstörung. Sie schicken Kleider und Schuhe nach der Anprobe unbekümmert zurück, in Deutschland trifft das fast jede zweite Sendung. In der Schweiz zählt man pro Minute 34 Retouren. Das verursacht enorme Kosten und belastet das Klima, zudem landen Millionen von Teilen im Müll. Deutsche Wissenschaftler fordern daher, dass die Rücksendung etwas kosten muss. Das träfe vor allem Plattformen wie Zalando , denn der Versand aus der Schweiz nach Deutschland ist teuer.
Nach Asien gibt es dagegen praktisch keine Retouren. Weil das Porto so teuer wäre. Wenn eines der Billigprodukte fehlerhaft ist, «bieten die Webshops meist eine Ersatzlieferung an, ohne auf der Rücksendung des fehlerhaften Produkts zu bestehen», weiss die Schweizer Post. Entsorgt wird das fehlerhafte Produkt allerdings in der Schweiz.
Die auffällig ungleich hohen Portokosten sind seit Jahren ein Zankapfel. Sie freuen die Schweizer Konsumenten und ärgern die Schweizer Onlinehändler. Weil China dem Weltpostverein jahrzehntelang als Entwicklungsland galt, waren die Portokosten in den Westen sehr tief. Viel zu tief, fanden die USA. Das koste sie jedes Jahr Hunderte von Millionen Dollar. Die USA drohten kurzerhand, aus dem Verein auszutreten, denn sie seien «das grösste Opfer» dieses «ungerechten» Systems.
Der Weltpostverein sitzt seit 1874 in Bern und beschäftigt rund 250 Mitarbeiter. Ihnen fällt das Glück zu, in der Schweiz keinen Rappen Steuern zahlen zu müssen. Der Wink aus den USA wirkte umgehend. Am zweiten ausserordentlichen Krisengipfel innerhalb von vier Jahren beschlossen die Vertreter der Briefträger aller 192 Länder, alle Staaten dürften ab 2021 ihre Transportkosten für Briefe und Pakete selber festlegen.
China verpflichtete sich, die Tarife für Kleinwarensendungen schrittweise zu erhöhen, weshalb sich der Unterschied zwischen Inlandpreisen und Importpreisen angleichen werde. Bis 2025. Das hofft zumindest auch die Schweizer Post. Die Einnahmen deckten bisher die Kosten nicht. Aber es sei zu beachten, dass die Kleinpakete aus Asien mit etwas dickeren Briefen in der Schweiz vergleichbar seien und nicht mit Paketen. Insofern lägen die Preise für China-Sendungen «bereits heute über dem Schweizer Niveau», betont ein Post-Sprecher.
Ob Brief oder Paket, aus Asien, Europa oder der Schweiz – die Post rechnet künftig mit noch mehr Sendungen. Sie investiert aktuell über 190 Millionen Franken in neue Paketzentren. «Diese dienen der Sortierung von Paketen und nicht von Kleinwarensendungen aus dem asiatischen Raum», schreibt die Post. Das neue Zentrum in Cadenazzo TI hat seinen Betrieb bereits aufgenommen, Untervaz GR und Vétroz VS sind im Bau, und Ostermundigen BE wird erweitert. Weitere Zentren sollen folgen; wo, steht noch nicht fest.
Sortieren ist das eine, Deklarieren das andere. Wer je bei Aliexpress oder Wish bestellt hat, freut sich über das niedrige oder gar nicht verrechnete Porto für den «Schnäppchenschrott», wie ein deutsches Magazin spottete. Weil der Wert der Ware oft weit zu tief oder das Produkt falsch angegeben wird, entgehen den Zielländern Millionen an Mehrwertsteuern . In der Schweiz hat der Bundesrat im September reagiert. Er beschloss, mit neuen Röntgengeräten gegen falsch deklarierte Onlinepakete vorzugehen.
An gewissen Punkten – etwa der Bewertung des Verkäufers oder an der Herkunft des Produkts – lässt sich relativ einfach erkennen, ob der Anbieter der Ware vertrauenswürdig ist. Wie Sie ein Kaufangebot im Internet richtig hinterfragen, erfahren Sie als Beobachter-Mitglied in der Checkliste «Onlineshopping – So sichern Sie sich ab».