«Das ist ein ziemlich gewieftes Ablenkungsmanöver»
Wer der Klimajugend Inkonsequenz vorwirft, macht sich zum Handlanger einer perfiden Strategie, sagt der Berliner Philosoph Valentin Beck.
Veröffentlicht am 23. Mai 2019 - 23:48 Uhr
Beobachter: Klimastreikende wurden dafür kritisiert, dass sie Plastikbecher benutzen oder mit dem Flugzeug in die Ferien fliegen. Sind sie unglaubwürdig?
Valentin Beck: Zunächst ist es wichtig, zu verstehen, woher dieser Vorwurf stammt. Er ist Teil einer Strategie. Der Vorwurf wird gezielt erhoben von Gruppierungen der Öl-, Kohle- und Gasindustrie, konservativen Thinktanks und Medien, etwa dem US-Sender Fox News. Ich nenne dieses Netzwerk die Klimaleugnungsmaschinerie. Dieser Vorwurf wird von Leuten erhoben, die das Interesse an Moral nur vorspielen. Das macht sie im Grunde selbst zu Heuchlern. Es geht primär um finanzielle Interessen, das können empirische Studien mittlerweile gut belegen.
Mit Verlaub, das klingt ein bisschen nach Verschwörungstheorie
.
So möchte ich das nicht verstanden wissen. Die Klimaleugnungsmaschinerie ist keine durchorchestrierte Organisation. Es handelt sich vielmehr um eine rhetorische Strategie zur Verbreitung eines gewissen Gedankenguts. Dieses wird dann auch von Akteuren aufgenommen, die kein berufliches und finanzielles Interesse an der Verbreitung der Thesen haben, etwa gewissen konservativen europäischen Medien. Man diskreditiert die persönlichen Motive der Streikenden, ohne auf ihre eigentlichen Forderungen einzugehen. Das ist ein altbekanntes Muster. Al Gore wirft man seit Jahren vor, er sei als Klimaaktivist unglaubwürdig, weil er mit dem Flugzeug in der Welt herumreist, um in seinen Vorträgen vor dem Klimawandel zu warnen.
Warum werden Klimaaktivisten diskreditiert?
Es ist ein ziemlich gewieftes Ablenkungsmanöver. Denn der Vorwurf, sich nicht in allen Lebenslagen klimafreundlich zu verhalten, ist nicht so einfach zu entkräften. Wir alle verursachen CO2-Emissionen
. Das Handy, Lebensmittel, Kleidung – man ist immer angreifbar. Indem man den Klimastreikenden das vor Augen führt, macht man sie zu Komplizen. Man spielt der Klimaleugnungsmaschinerie in die Hände, wenn man diesen Vorwurf ernst nimmt und diskutiert, als ob er von einem guten Freund käme.
Spielt es denn überhaupt keine Rolle, ob ich mich selbst umweltfreundlich verhalte
?
Es ist wichtig, persönliches und politisches Verhalten möglichst in Einklang zu bringen. Wir können das aber innerhalb der bestehenden Strukturen nur bis zu einem gewissen Grad tun. Deshalb sollten wir die Rolle, die ein Individuum spielen kann, nicht überschätzen. Jeder von uns hat eine persönliche Verantwortung zu einem umweltbewussten Lebensstil und eine Verantwortung, die gesellschaftlichen Hintergrundbedingungen zu verändern, in denen wir alle agieren. Das sind zwei verschiedene Dinge, die man ganz klar unterscheiden muss.
Welche gesellschaftlichen Bedingungen müssen verändert werden?
Zum Beispiel die Energiewirtschaft, das Verkehrswesen und die landwirtschaftliche Produktion
. Unsere gesellschaftlichen Strukturen sind derzeit leider insgesamt so angelegt, dass unsere Lebensweise sehr energieintensiv und sehr umweltschädlich ist.
Was halten Sie vom Vorwurf, die Streikenden seien instrumentalisiert von Parteien, Eltern
, Lehrern?
Das glaube ich nicht. Es sind ja gerade die Jugendlichen, die ein persönliches Interesse daran haben, auf die Strasse zu gehen. Sie werden am längsten unter dem Klimawandel
leiden.
Ist die Klimabewegung so erfolgreich
, weil Kinder und Jugendliche auf die Strasse gehen?
Jeder weiss, dass man nicht nur an sich, sondern auch an die Kinder und Enkelkinder denken soll. Das ist eine sehr alte Idee. Neu ist, dass Kinder und Jugendliche auf die Strasse gehen und den älteren Generationen vorwerfen, sie würden eben gerade nicht an die Kinder denken. Sie machen die Klimaungerechtigkeit sichtbar. Das ist auf der symbolischen Ebene schon sehr stark.
1 Kommentar
Die Argumente des Artikels sind in Teilen richtig, aber viel zu defensiv. Mit diesem Satz verursacht der Autor sogar das Problem mit. «Es ist wichtig, persönliches und politisches Verhalten möglichst in Einklang zu bringen.» Es mag wichtig sein, aber nur, weil dieser Satz und ähnliche Sätze dauern unreflektiert wiederholt und publiziert werden.
Es ist genau umgekehrt. Es wäre wichtig, dass explizit und vehement persönliches und politisches Verhalten auseinandergehalten und korrekt bewertet werden.
Der Artikel fällt auch durch, weil er die Schuld für die Anschuldigungen wegen angeblicher Inkonsequenz fälschlich bei den finanzierten Leugnern sieht. Die Anschuldigungen finden statt, weil es von allen Seiten diese falsche Schuldzuweisungen an die Konsumenten gibt. Die Anschuldigungen wegen Inkonsequenz sind eine Reaktion darauf, eine Gegenbeschuldigung. Das Problem ist übrigens hier gründlich beschrieben: http://klimaatelier.ch/prea…