Kann Bio die Welt ernähren?
Ja, meint Agrarwissenschaftler Urs Niggli. Vorausgesetzt, wir essen weniger Fleisch und reduzieren unseren Foodwaste.
Veröffentlicht am 17. Oktober 2018 - 13:04 Uhr,
aktualisiert am 29. Oktober 2018 - 12:46 Uhr
Beobachter: Was hatten Sie heute zum Zmorge?
Urs Niggli: Einen Cappuccino mit Milch – natürlich beides aus biologischer Landwirtschaft.
Bio hat unbestritten viele Vorteile. Aber könnte man die Welt ernähren, wenn jeder Biomilch trinken würde?
Ob die Landwirtschaft die Welt ernähren kann, hängt kaum damit zusammen, ob wir Landwirtschaft biologisch oder konventionell betreiben. Das geht aus einer Studie hervor, die wir 2017 publiziert haben. Entscheidend ist vielmehr, wie viel Essen wir verschwenden
und wie gross der Anteil tierischer Produkte in unserer Nahrung ist. Die Hauptprodukte des Ackerbaus sollten direkt von Menschen gegessen statt an Tiere verfüttert werden. 75 Prozent der Kalorien im Getreide gehen verloren, wenn man sie als Milch oder Fleisch «konsumiert».
Also ist Milch in Bezug auf die Ernährungssicherheit nicht nachhaltig?
Doch. Wiederkäuer sind die einzigen Nutztiere, die aus Gras, also Pflanzen, die sonst kaum als Futter verwendet werden können, in grosser Menge hochwertiges Protein
herstellen.
Aber Kühe werden nicht ausschliesslich mit Gras gefüttert. Auch Kraftfutter, das auf dem Acker angebaut wurde, kommt zum Einsatz. Mais etwa.
Richtig, doch Kraftfutter versäuert den Magen, macht die Wiederkäuer krank und verringert ihre Lebenserwartung. Die Schweizer Biobauern züchten Kühe so, dass sie sehr viel Gras fressen können. Deshalb hat Bio Suisse beschlossen, dass künftig maximal fünf anstatt zehn Prozent Kraftfutter verfüttert werden dürfen. Das ist Weltrekord; in der EU werden bis zu 50 Prozent Getreide an Kühe verfüttert.
Die konventionellen Bauern sagen, es brauche Kraftfutter, um genügend grosse Mengen Milch zu produzieren.
Landwirte überschätzen die Wirkung des Kraftfutters auf die Milchleistung. Aber klar, eine Turbokuh
gibt 40 Liter Milch pro Tag, eine, die bloss mit wenig Kraftfutter ernährt wird, nur 25 Liter. Trotzdem ist eine solche Kuh am Schluss wirtschaftlicher. Die Bauern sparen Kosten für Kraftfutter und für den Tierarzt, die Kühe leben länger und sind fruchtbarer.
Die gesamte Biolandwirtschaft produziert allerdings einen geringeren Ertrag als die konventionelle Landwirtschaft. Das heisst: Mehr Bio bedeutet noch mehr Fläche, die landwirtschaftlich genutzt werden muss?
Man sieht in allen Studien, dass das Ertragsdefizit im Biolandbau – verglichen mit konventioneller Landwirtschaft – bei 20 bis 25 Prozent liegt. Theoretisch bräuchte man also mehr Fläche. Sie konstant zu halten funktioniert nur, wenn man weniger Lebensmittel wegwirft. Und weniger Ackerfläche nutzt, um Tiere zu ernähren.
Unser Konsum von Eiern, Hühner- und Schweinefleisch ist also ein Problem?
Wenn wir die Welt im Jahr 2050 ohne massive Umweltbelastung ernähren wollen, müssten wir die Geflügel- und Schweinebestände gemäss unserer Studie mindestens halbieren. 89 Prozent des Proteins müssten also aus Hülsenfrüchten wie Bohnen, Erbsen und Linsen
kommen. Bei diesem Modell würden wir gleich viel Grasland und Ackerfläche nutzen wie heute.
2050: Wenn wir so weitermachen...
Wie müssten sich die Schweizer einschränken?
Die Schweiz ist ein Spezialfall, weil wir so viel Grasland haben. Den Konsum von Milchprodukten
, Rind- und Lammfleisch müssten wir deshalb kaum beschränken.
Wie sieht es mit Eiern aus?
Ich schätze, dass wir den Eierkonsum
um zwei Drittel senken müssten.
Auch wenn wir Bioeier essen?
Für die Bioeier-Produktion wird Soja und anderes Getreide verfüttert – in Bioqualität. Heute versucht man, den Import aus Lateinamerika oder China zu vermeiden, damit die Transportwege kürzer sind. Aber ökologisch gesehen ist die Eierproduktion eine Getreideverwertung und daher in Bezug auf die Ernährungssicherheit problematisch. Das gilt auch für die Geflügel- und Schweinefleischproduktion
.
Was könnte man Hühnern als Futter geben, wenn man ganz auf Ackerbauprodukte verzichten möchte?
Sowohl im Ackerbau wie in der Verarbeitung gibt es Abfall- oder Nebenprodukte wie Kleie, Ölkuchen oder Treber aus Brauereien. Diese kann man verfüttern. Wir experimentieren auch mit der Schwarzen Soldatenfliege, die man auf organischem Abfall züchten kann. Sie liefert hochwertiges Insektenprotein. Das ist wunderbares Hühnerfutter.
Wie funktioniert das?
Die Fliege legt Eier, aus denen Larven schlüpfen. Diese fressen sich durch den Abfall. Am Schluss verpuppen sich die Larven wie Schmetterlinge
. Daraus entsteht dann wieder eine neue Fliege. Kurz bevor sie sich verpuppt, ist die Larve dick und fett. Das ist hochwertiges Protein, das man verfüttern kann. Wir produzieren in grossen Containern, die über Wochen durch Maschinen geschüttelt werden. Am Schluss hat man in jedem Container Millionen von Tieren, die obenauf liegen und die man leicht ernten kann.
Biologische Landwirtschaft stellt man sich anders vor…
Die natürliche Lebensweise des Huhns wäre: Es läuft frei herum und pickt Regenwürmer und Insekten
aus dem Boden. Aber dass auf diese Weise produzierte Eier so viel kosten, wie wir heute bezahlen, das glaubt nicht mal der naivste Konsument. Das Gros der Bioproduktion wird nicht von Kleinbetrieben gestemmt, sondern von mittelgrossen Betrieben.
Bio hat also wenig mit Romantik zu tun und ist im Hinblick auf die Welternährung auch nicht immer nachhaltig. Welche Vorteile hat denn Bio?
Bio ist umweltgerechter. Die von Biohöfen bewirtschafteten Böden sind deutlich fruchtbarer als die von konventionellen Betrieben, es gibt weniger Verdichtung und Erosion. Zudem baut der Biobauer mehr Humus auf. Daher wird weniger CO2 freigesetzt. Biolandwirtschaft ist insgesamt also klimafreundlicher als die konventionelle. Wenn man einen Getreideacker mit einem mechanischen Gerät striegelt, bleibt zudem immer Unkraut übrig. Das zieht Insekten an, diese wiederum Vögel. Die Biodiversität ist grösser auf einem Bioacker. In Bioprodukten findet man kaum Rückstände von Pestiziden. Auch das Tierwohl wird stark gewichtet. Das heisst nicht, dass die Bäuerin alle Hühner kennt. Aber sie ist verpflichtet, ihnen Auslauf zu geben
.
Für eine Landwirtschaft, die die Welt umweltschonend ernähren würde, müssten wir vor allem weniger tierische Produkte zu uns nehmen. Wir müssten unsere Ernährung massiv umstellen. Kann das funktionieren?
Wenn man konsequent wäre, müsste man sagen: Statt sechs Bioeier kaufe ich eine Packung Linsen und mache mir damit eine feine Suppe. Die Konsumenten haben eine grosse Verantwortung. Sie essen viel zu viel Fleisch und Eier, wollen billige Lebensmittel
und verschwenden diese erst noch.
Wie sagte schon die Grossmutter: «Iss alles auf und schmeiss nichts weg.»
Solche erzieherischen Sprüche kommen bei der Bevölkerung schlecht an. In der Schule lernen wir, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo andere Menschen durch uns zu Schaden kommen. Das Gleiche gilt für den Konsum: Konsum hört dort auf, wo die Natur kaputtgeht. Damit kann man die Menschen sensibilisieren. Trotzdem müssen wir auch über technische Lösungen nachdenken, mit denen aus Abfällen wertvolle Rohstoffe entstehen. Aus Küchen- und Gartenabfällen
werden Futtermittel, aus Klärschlamm wertvoller Dünger, und aus dem Presskuchen von Oliven kann man Naturseife herstellen.
Bio wächst
Bei wie viel Prozent steht der Anteil des Bioanbaus jetzt? Und wie sieht das in 20 Jahren aus?
Heute gibt es in der Schweiz rund 14 Prozent Biobauern, in 20 Jahren sind es vielleicht 40 Prozent. Momentan wächst das Segment weltweit wie verrückt. Es gibt viel Potenzial für einen modernisierten Biolandbau. Wir sollten die moderne Technik nutzen. Etwa indem man Kleinroboter einsetzt, die ohne Bodenbelastung durch die Kulturen gehen und Erntearbeiten verrichten.
Ist es sinnvoll, eine rein biologische Landwirtschaft anzustreben?
Der Biolandbau hat von allen landwirtschaftlichen Systemen die grösste Lösungskompetenz für unsere Umweltprobleme. Aber 100 Prozent Bio werden niemals Realität werden. Wir werden in Zukunft eine Mischung haben aus Biolandbau und agrarökologischen Anbaumethoden mit weniger strengen Richtlinien. Diese Kombination, in Verbindung mit weniger Tiermast mit Getreide und einer geringeren Lebensmittelverschwendung, ist die Lösungsstrategie für die nachhaltige Ernährung der Welt.
Sie sehen also hoffnungsvoll in die Zukunft, obwohl die nachhaltige Landwirtschaft global gesehen erst am Anfang steht?
Ich spreche auf Podien nicht mehr zum Thema «Die Welt geht unter». Sie geht nicht unter. Wir schaffen uns als Menschheit, die eigentlich glücklich und friedvoll leben könnte, allerdings unnötige Probleme durch eine ökologisch verantwortungslose Landwirtschaft. Wir müssen in unserem eigenen Interesse handeln und nachhaltiger werden. Nur so können wir Konflikte und Kriege um Boden, Nahrung und Wasser
in Zukunft verhindern.
So schneidet gemäss einer Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau Biolandbau (grün) gegenüber der konventionellen Landwirtschaft (rot) ab, wenn man zu 100 Prozent auf die jeweilige Methode setzen würde.
Der umweltfreundliche Biolandbau könnte im Jahr 2050 bei konstanter Fläche die Welt ernähren, wenn zwei zusätzliche Massnahmen getroffen würden.
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Foodwaste halbieren
Wenn wir nur noch halb so viel Essbares wegwerfen oder die Nahrungsmittelabfälle als Futter und Dünger weiterverwenden würden, müssten weniger Lebensmittel produziert werden.
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Teller statt Trog
Drei Viertel der Kalorien im Getreide gehen verloren, wenn es an Tiere verfüttert und Fleisch statt Getreide konsumiert wird. Ohne den Anbau von Kraftfutter würde viel Landwirtschaftsfläche frei, auf der Getreide für uns Menschen angebaut werden kann.
1 Kommentar
NUR nachhaltig öko-logische LW, kann den Erhalt der "Lebensgrundlage" (Ökosystem - Umwelt) auf Dauer garantieren! Die industrialsierte Chemie-LW, vergiftet, zerstört Ökosystem - Umwelt - Tier und damit auch die Lebensgrundlage der Bevölkerung = gesundheitsbelastende Chemie in ERDE, WASSER und Tieren (Fleisch) = "der Mensch ist, was der Mensch isst und trinkt"!