Glockengeläut in der Nacht bleibt erlaubt
Ein Ehepaar, das nahe einer Kirche wohnt, wollte die nächtlichen Glockenschläge verbieten lassen. Doch die beiden scheiterten nun vor dem Bundesgericht.
Veröffentlicht am 13. Dezember 2017 - 15:30 Uhr,
aktualisiert am 13. Dezember 2017 - 15:24 Uhr
Lärm ist das grösste Ärgernis der Schweizer in ihrem Zuhause. Verständlich, denn Lärm ist ungesund – er führt im schlimmsten Fall zu Schlaflosigkeit und Stress und damit zu körperlichen Beschwerden. Gemäss einer Auswertung des Bundesamtes für Gesundheit ist jeder sechste Schweizer auch nachts von übermässigem Lärm betroffen, die meisten davon leben in städtischen und stadtnahen Gebieten.
Es gibt denn auch zahlreiche Lärmquellen: Die häufigsten Lärmverursacher sind die Nachbarn mit Partylärm oder Kindergeschrei. Aber auch Strassen-, Flug- und Schienenverkehr, Tiere oder Maschinen können stören. Und sogar Kirchenglocken rauben Menschen den Schlaf, schliesslich läuten diese auch in der Nacht regelmässig.
Deshalb beschloss ein Ehepaar im zürcherischen Wädenswil, gegen den Glockenlärm in der Nacht vorzugehen. Das Paar, das nur 200 Meter neben der reformierten Kirche wohnt, gelangte 2013 an den Stadtrat mit der Bitte, das Glockengeläut der Kirche in der Nacht einzustellen. Konkret sollten die stündlichen und viertelstündlichen Glockenschläge in der Nacht zwischen 22:00 Uhr und 07:00 Uhr eingestellt und das Frühgeläut von 06:00 Uhr auf 07:00 Uhr verlegt werden. Die Kirchenpflege verschob das Frühgeläut anschliessend auf 07:00 Uhr, die weiteren Anträge wurden abgelehnt.
Das Ehepaar erreichte anschliessend vor dem kantonalen Baurekursgericht, dass die Viertelstundenschläge zwischen 22:00 Uhr und 07:00 Uhr eingestellt werden müssen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobenen Beschwerden der Stadt Wädenswil und der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Wädenswil ab, worauf diese ans Bundesgericht gelangten.
Die Bundesrichter entschieden nun im Sinne der Gemeinde und damit gegen die beiden Anwohner (Urteil C_383/2016, 1C_409/2016). Das Gericht kam zum Schluss, dass das geforderte Verbot angesichts seiner beschränkten Wirkung in Bezug auf den Lärmschutz und dem in Wädenswil fest verwurzelten nächtlichen Glockenschlag nicht gerechtfertigt sei. «Der Glockenschlag stellt eine lokale Tradition dar, für dessen Beibehaltung sich in einer Petition mehr als 2000 Bewohner von Wädenswil eingesetzt haben», so die Begründung des Bundesgerichts.
Für Daniel Leiser, Experte für Lärmschutzfragen im Beobachter-Beratungszentrum, ist das Urteil keine Überraschung: «Es geht hier um eine Abwägung zwischen Tradition und Ruhebedürfnis. Je nach konkretem Fall schwingt das Pendel einmal zur Bevölkerung aus, das andere Mal – wie vorliegend – zur Tradition.» Dementsprechend gebe es viele Urteile, die mal so und mal so ausgefallen seien.
- Auf einer Wiese in der Wohnzone eines Dorfes in Appenzell dürfen Kühe während der Nachtzeit (von 20:00 Uhr bis 07:00 Uhr) keine Glocken tragen (BGE 101 II 248).
- In Winterthur muss der Hahn zwischen 20:00 Uhr und 07:00 Uhr im Hühnerhaus eingesperrt sein (BGer 5C.249/1994).
Grundsätzlich hat das Gericht zu entscheiden, ob der Lärm im konkreten Fall zumutbar ist. Objektivierbare Kriterien dafür sind beispielsweise die Lage der lärmverursachenden Liegenschaft oder die Einschätzung, ob der Lärm für einen durchschnittlichen Menschen tatsächlich störend ist.
- Lage der Liegenschaft: Eine Kirche steht traditionell in der Mitte des Dorfes, sie gehört zum Erscheinungsbild.
- Ortsgebrauch: Das Glockengeläut gehört auch nachts zur Tradition in der Schweiz, es ist in der Bevölkerung verankert.
- Eigenschaft des Lärmverursachers: Der Sinn einer Glocke ist es, zu läuten. Sie hat keine andere Funktion.
- Stört der Lärm einen durchschnittlichen Menschen in seiner Lebensqualität? Laut Bundesgericht ist es nicht bewiesen, dass Glockengeläut die Schlafqualität von Anwohnern signifikant schwächt.
Lärm in der Nachbarschaft, verursacht durch Kindergeschrei, feiernde Partygäste oder Baumaschinen, führt häufig zu Konflikten. Erfahren Sie als Mitglied des Beobachters, was ihre Rechte sind und wie sie sich wehren können.