Der Beobachter berichtete zuerst über die Hintergründe einer Gewalttat, die die Schweiz erschütterte. Im Herbst 2007 brachte der Lebenspartner die damals 38-jährige Frau aus Luzern in seine Gewalt. Er vergewaltigte und folterte sie, fügte ihr mit Schüssen aus einer Armbrust lebensgefährliche Verletzungen zu. Erst nach stundenlanger Tortur konnte der Täter verhaftet werden. Er nahm sich daraufhin in Untersuchungshaft das Leben.

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Später begann Nicole Dill, die Hintergründe des Gewaltakts zu recherchieren. Es zeigte sich: Die Tat war ein Lehrstück von verpasstem Opferschutz. Denn was Dill nicht wusste, war einem Netz von Mitwissern bekannt. Der Täter war ein verurteilter Mörder, von dem in Trennungssituationen eine grosse Rückfallgefahr ausging. Doch Polizei und Ärzte versteckten sich hinter Amtsgeheimnis und Datenschutz, statt die Frau zu warnen.

Rüge für die Schweiz

Vor diesem Hintergrund reichte das Gewaltopfer 2014 eine Staatshaftungsklage ein. Damit blitzte sie jedoch bei der Luzerner Justiz und 2018 auch beim Bundesgericht ab. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hingegen rügt nun in einem aktuellen Urteil die Schweiz und bestätigt Nicole Dills Sicht: Sie hätte vor dem Täter gewarnt werden können.

«Die verschiedenen beteiligten Behörden haben nicht alles getan, was vernünftigerweise von ihnen hätte erwartet werden können, um die unmittelbare Gefahr für das Leben der Klägerin abzuwenden», schreibt das Strassburger Gericht. Damit habe die Schweiz Artikel 2 der Menschenrechtskonvention verletzt. Dieser schützt das Recht auf Leben.

«Ein Sieg im Kampf gegen Femizide»

Nicole Dill zeigte sich gegenüber dem Beobachter «froh und dankbar», nach so langer Zeit von der höchsten Instanz endlich recht bekommen zu haben. «Dieses Urteil ist eine klare Botschaft an alle und ein Sieg der Frauen im Kampf gegen Femizide», sagt sie. 

Nach der erlittenen Gewalttat machte sich die Luzernerin an verschiedenen Fronten für einen besseren Opferschutz stark. So veröffentlichte sie das Erlebte im viel beachteten Buch «Leben! Wie ich ermordet wurde» und trat wiederholt in Diskussionssendungen im Fernsehen auf. Auch hilft sie mit ihrem Betreuungsangebot «Sprungtuch» seit einigen Jahren anderen Gewaltopfern bei der Aufarbeitung. Für ihr Engagement wurde Dill 2011 ausserdem für den Prix Courage des Beobachters nominiert.  

Quellen