Mit blinden Flecken und toten Winkeln lebt es sich schlecht. Das weiss, wer schon einmal rückwärts mit dem Auto einen Pfosten gerammt hat. Die Schweiz leistet sich so einen blinden Fleck in einem zentralen Wirtschaftsbereich: im Finanz- und Bankwesen. Und rammt Pfosten um Pfosten. 

Das zeigt sich im neusten Skandal um die Credit Suisse, den «Suisse Secrets» – die einmal mehr den gesamten Finanzplatz dem Verdacht aussetzen, ein Hort der Geldwäscherei zu sein. Und das kann angesichts des Ukrainekriegs zur Zeitbombe werden für alle Schweizer Banken, die russische Oligarchen als Kunden haben.

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Die Zürcher Grossbank CS soll gemäss dem Datenleck von 1940 bis ins letzte Jahrzehnt Geld von Despoten und Kriminellen angenommen haben. Die Bank weist die Vorwürfe zu «angeblichen Geschäftspraktiken entschieden zurück». 

Kein Quellenschutz

Die Schweiz hat aber mehr als nur einen blinden Fleck, sie hat sich ihren Sehnerv bewusst herausoperiert. Warum? Whistleblower, die Informationen über Geldwäscherei oder mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften öffentlich machen, können von den Medien nicht geschützt werden. Denn der Gesetzgeber nimmt Whistleblower ausgerechnet bei diesen Delikten vom Quellenschutz aus. Das tut er sonst fast nur bei schweren Straftaten wie Mord, Vergewaltigung oder Pornografie mit Minderjährigen.

Wenn eine Bankangestellte einem Journalisten von Geldwäscherei erzählt, ist der Journalist in der Regel rechtlich verpflichtet, deren Namen einem Staatsanwalt zu nennen. Ausnahmen gibt es nur, wenn das Strafverfolgungsinteresse nicht überwiegt. Damit ist klar: Kaum eine Angestellte einer Bank wird einen Schweizer Journalisten auf Geldwäscherei hinweisen. Whistleblower sind so gezwungen, sich an ausländische Journalisten zu wenden – wie im Fall CS. Die Daten gingen an die «Süddeutsche Zeitung».

Wenn der Whistleblower sich einer Schweizer Journalistin offenbart hätte, wäre sein Schutz nicht garantiert gewesen. Auch die Journalistin wäre ins Visier der Justiz geraten: Wenn sie über Missstände berichtet, die dem Bank- oder dem Finanzmarktgeheimnis unterstehen, kann sie in der Schweiz mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden. 

Die Rolle des Nationalrats

«Es gehört nicht zur Aufgabe von Journalisten, geheime, intime, persönliche Daten, die gestohlen wurden, in den Medien auszubreiten», sagte FDP-Politiker Andrea Caroni 2014 im Nationalrat, als die Regelung beschlossen wurde. Nach dem Fall CS rudert Caroni zurück und meint, möglicherweise sei der Regler nicht perfekt eingestellt. Umgehend fordert er aber weitere Einschränkungen des Quellenschutzes – etwa für vertrauliche Kommissionssitzungen. 

Die Forderung hat einen persönlichen Hintergrund. Caroni hatte als Präsident der Gerichtskommission 2021 grosse Mühe, einen neuen Bundesanwalt zu finden. Genervt darüber, wie die Medien über einzelne Kandidaturen berichteten, forderte er, dass Parlamentarier überwacht werden müssten und der Quellenschutz von Journalisten auszuhebeln sei. Das Problem waren aber weder Quellenschutz noch Medien, sondern die Mitglieder der Gerichtskommission. Sie hatten die Geheimhaltung zu wenig ernst genommen und Infos ausgeplaudert. Caroni hätte bei ihnen für Ordnung sorgen müssen – statt bei den Nachrichtenüberbringern.

Das gilt auch im Fall Credit Suisse. Das Problem sind nicht die Medien. Es sind die Banken, die trotz allen Skandalen die Herkunft von Kundengeldern zu wenig sorgfältig prüfen. Deshalb braucht es Whistleblower und Medien: weil die manchmal das letzte Mittel gegen blinde Flecke und tote Winkel sind. Sie sind es, die Licht ins Dunkel bringen – von allen Seiten und in alle Ecken. Damit das möglich ist, muss nicht nur das Banken- und Finanzinformationsgesetz geändert werden, sondern auch der Ausnahmekatalog des Quellenschutzes.

Haben Sie in Ihrem Unternehmen etwas beobachtet, das sie melden möchten? Korruption, Steuerhinterziehung oder sonstige unlautere Machenschaften?

Dann können Sie sich über die Whistleblower-Plattform sichermelden.ch an uns wenden – auch absolut anonym.

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Dominique Strebel, Chefredaktor
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