Cervelats und Steaks waren gestern
Über dem Feuer kann man viel mehr als Cervelat und Steaks braten. Die Berner Feuerköche Chris Bay und Monika Di Muro hätten da so einige Ideen.
aktualisiert am 8. Juni 2017 - 15:09 Uhr
Als ich Chris Bay am Tag vor unserem Treffen anrufe, schneit es gerade zentimeterdick in die blühenden Tulpen. Ich halte es deshalb für eine gute Idee, den für den nächsten Tag geplanten Kochevent unter freiem Himmel etwas zu verkürzen. Doch als mir der Berner Feuerkoch den Siebengänger ausmalt, den er sich für uns ausgedacht hat, klingt alles so lecker, dass mein Magen vor Sehnsucht zu knurren beginnt und mir schlagartig zwei Dinge bewusst werden. Erstens: Abkürzen wäre ein fataler Fehler. Und zweitens: Ich habe es hier mit einem zu tun, der nicht im Traum an Abkürzungen denkt. Erst recht nicht wegen etwas schlechten Wetters.
Chris Bay macht eine Sache entweder gar nicht – oder dann richtig. Und als ob das Wetter so viel Herzblut honorieren würde, scheint anderntags die Sonne kräftig. Der Feuermeister hat den verwunschenen Ort, den er für unser Gelage ausgesucht hat, in eine wahre Oase verwandelt: Vor einer alten Mühle brennt ein grosses Feuer, daneben lodern Flammen in Schalen und asiatischen Streetfood-Feuerstellen aus gebranntem Ton. Auf einem gedeckten Tisch stehen Blumen und üppige Kräutersträusse. Wir befinden uns irgendwo zwischen Sense und Schwarzwasser. Oder anders gesagt: zwischen Bern und Schwarzenburg.
Bays Lebenspartnerin Monika Di Muro schneidet Knoblauchsrauke aus dem nahen Wäldchen für die Feuerbrote. «Brot röstet man in der Resthitze des Feuers», sagt sie und zeigt auf die weisse Ascheschicht, die sich mittlerweile auf dem Feuer gebildet hat. Grundsätzlich gebe es immer zwei Parameter, die die Hitze bestimmen: «Die Reife der Glut und der Abstand des Garguts zur Glut.» Das Rezept für die Frühlingszwiebeln, die Di Muro im Grillgitter übers Feuer hält, bis sie schwarz sind, stammt aus Katalonien. «In Spanien werden wir oft fündig», sagt sie. «Die Küche ist dort noch sehr ursprünglich.» Die verkohlten «Calsots» wickelt sie zum Fertiggaren und Auskühlen in Zeitungspapier, so lässt sich die äusserste Zwiebelschicht später leicht abziehen.
Während wir die butterzarten Zwiebeln in eine fantastische, feuergeröstete katalanische Romesco-Sauce tunken, erzählt uns der Gastgeber, er esse nie beim Kochen. Mit vollem Magen könne er keine Gerichte abschmecken. So fährt er nicht selten, nachdem er einen Tag lang für andere gekocht hat, hungrig heim – um dort noch einmal zu kochen. «Das klingt verrückt», sagt seine Frau und lacht. «Aber so ist es nun mal: Kochen und essen, das ist unser Leben.»
Vielleicht ist es nicht weiter erstaunlich, dass die beiden Quereinsteiger sind. «Wer ein Berufsleben lang in einem Durchschnittslokal hinter dem Herd steht», sagt Bay, «hat keine Energie mehr für ein Projekt wie das unsere.» Während Di Muro einst Oliven auf dem Markt verkauft hat, entwickelte und vertrieb Bay im Familienbetrieb Papierfaltmaschinen. Im Zuge der Digitalisierung litt das Geschäft – und nach zwölf harten Jahren entschied er: Ich will im Leben noch etwas anderes machen.
Chris Bay begann unter dem Namen Chillfood, Feuerkoch-Events und -Caterings anzubieten. An besonderen Orten, etwa in einem alten Waschhaus, in einem Industrieareal oder botanischen Garten. «Mich fasziniert das Natürliche an dieser Art des Kochens, das Langsame und Einfache», sagt Bay. Aber auch der Geschmack sei ein ganz anderer. «Das Spektrum der Hitze ist viel grösser als bei einem elektrischen Herd und lässt etwa Zutaten mit viel intensiveren Aromen karamellisieren.» Weil man ein richtiges Feuer aber nicht einfach hoch- und runterschalten kann, brennen in seinen Feuerstellen immer unterschiedlich grosse Feuer. So kann die Gusseisenpfanne, in der jetzt eine israelische Schakschuka köchelt, auf geringere Hitze gestellt werden, sobald die Wachteleier darin gar ziehen.
Bay bestreicht flache Steine aus der Sense mit Öl und belegt sie mit Zitronenschale und Forellenfilets. Dann schiebt er sie in die heisse Asche, an den Rand des Feuers. Die Hitze darf nicht zu gross sein, die Fische sollen nur garen, nicht grilliert werden. Sobald das Fischfleisch glasig – à point – ist, zieht er die Steine aus dem Feuer. «Fünf-Sterne-Küche mit archaischen Mitteln» nennt Bay das.
Für den nächsten Gang werden wir ermuntert, ein edles Stück Rindfleisch direkt in die glühende Holzkohle zu schmeissen. Aber Achtung: Sie muss qualitativ hochstehend sein wie die «Bärner Chole», die in einem der letzten Meiler der Schweiz gewonnen wird. Legte man das Fleisch auf billige Kohleeier, liesse sich der Kohlestaub nicht mehr vom Fleisch entfernen. So aber können wir das Häppchen vom Piemonteser Rind alle 20 Sekunden mit spitzer Zange ergreifen, leicht ausschütteln und wenden. Im Gegensatz zu Holz enthält Holzkohle kein Wasser mehr. Sie beginnt schneller zu glühen, entwickelt eine grössere Hitze und kaum Rauch. Zum Fleisch gibts Chimichurri-Sauce, eine argentinische Spezialität. «Dort weiss man, dass die Marinade erst nach dem Grillieren ans Fleisch gehört. Sonst verbrennt sie ja.»
Zum Abschluss entzünden wir in einer Schüssel ein Gemisch aus Grappa, Orangen- und Zitronenschale, Kaffeebohnen und Zucker, so dass der Schnaps zu einem Likör einkocht. Blau schiessen die Flammen in den nachtschwarzen Himmel. Falls sich an diesem idyllischen Ort doch noch irgendwo ein böser Geist versteckt haben sollte – mit diesem Ritual wäre er, wie es die galicische Legende will, bestimmt vertrieben worden.
Längst ist es kalt geworden. Aber das ist uns egal. Wir wärmen unsere Hände am Feuer, prosten uns zu und tunken geröstetes Brot in den flüssigen Camembert, den die Berner Feuerköche auf Lärchenholzbrettchen für uns geräuchert haben. Wir wissen: Wenn das Glück einen Geschmack hat, dann diesen.