Das Lift-Problem: «Ohne fremde Hilfe schaffe ich es nicht»
Der Zugang zur Permanence in Zürich-Oerlikon funktioniert nur über ein digitales Tablet. Für eine 93-jährige Patientin mit Sehbehinderung ist das sehr schwierig. Ein häufiges Problem für Senioren.
Veröffentlicht am 5. Dezember 2024 - 17:01 Uhr
Auf der Website der Permanence Marktplatz Oerlikon steht: «Station für dringende Arztkonsultationen in Zürich Nord». Dringend war auch der Besuch von Danisia Wiederkehr: Die 93-Jährige rutschte im Oktober in der Badi aus und zog sich eine Platzwunde am Kopf zu.
Die Ambulanz brachte sie ins Spital, und die Wunde wurde genäht. Zur Nachsorge musste sie zu ihrem Hausarzt. Da dieser in den Ferien war, vereinbarte sie einen Termin bei der Permanence Marktplatz Oerlikon, erzählt sie dem Beobachter.
Allein wäre die 93-Jährige nicht in die Praxis gekommen.
«Zum Glück kam meine Freundin mit», sagt Wiederkehr. Ohne ihre jüngere Kollegin wäre die betagte Frau nicht in die Arztpraxis im Franklinturm in Oerlikon gekommen. Seit 13 Jahren ist sie sehbehindert. Dank mehrerer Operationen findet sie sich im Alltag zurecht, aber lesen kann sie nicht mehr.
Lift nur per Tablet zugänglich
In der grossen Eingangshalle der Permanence befinden sich im Parterre mehrere Lifte. Diese sind nur mit einem Tablet bedienbar.
«Ich komme mit solch technischen Dingen nicht draus.»
Danisia Wiederkehr, Patientin
Zwar verfügt das Tablet auch über Blindenschrift. Doch für Wiederkehr ist das zu kompliziert – zudem beherrscht sie die Blindenschrift nicht. «Ich komme mit solch technischen Dingen nicht draus», erklärt die Seniorin.
Bei der Permanence verweist man darauf, dass alle Geräte mit «dem höchsten Standard ausgestattet» seien. Jedes Tablet verfüge über «eine Taste mit ertastbarer Brailleschrift für Sehbehinderte».
Ältere Menschen mit Sehschwäche beherrschen kaum Brailleschrift
Nur nützt diese denjenigen Menschen nichts, die keine Blindenschrift beherrschen, weil sich erst im Alter ihre Sehkraft verschlechtert. Laut Pro Senectute, der Organisation für das Alter, ein häufiges Problem für betagte Personen.
«Personen mit Sehschwäche oder altersbedingten Einschränkungen sollen auch teilhaben können.»
Peter Burri, Sprecher Pro Senectute
«Öffentliche Räume wie Arztpraxen müssen so gestaltet sein, dass sich auch Personen mit Sehschwäche problemlos orientieren und zurechtfinden können», sagt Peter Burri, Mediensprecher von Pro Senectute.
Das gelte auch für digitale Lösungen, damit niemand vom sozialen Leben ausgeschlossen werde. «Insbesondere Personen mit Sehschwäche oder altersbedingten Einschränkungen sollen uneingeschränkt daran teilhaben können.»
Sie lieben den Beobachter – auch im Ohr?
In der Permanence muss man die Etage antippen, in die man will. Dann erscheint auf dem Tablet das entsprechende Stockwerk. «Ohne fremde Hilfe schaffe ich das nicht», sagt Wiederkehr.
Die rüstige Rentnerin fühlt sich diskriminiert. Zwar gebe es ein Treppenhaus, das aber sehr verwinkelt und nicht einfach zugänglich sei – keine Option für sie. Patientinnen wie Wiederkehr müssen in der Halle abgeholt oder im Voraus instruiert werden, wie sie in die Praxis kommen.
Die Stadt Zürich schreibt in Bezug auf das hindernisfreie Bauen vor, dass öffentlich zugängliche Bauten sowie Bauten mit öffentlich zugänglichen Dienstleistungen «allgemein zugänglich für Körper-, Seh- und Hörbehinderte» sein müssen. Das gilt zum Beispiel für Restaurants, Schulen und Arztpraxen.
Kontrollen noch nicht abgeschlossen
Beim zuständigen Gesundheits- und Umweltdepartement der Stadt Zürich heisst es: Der Bauherr verpflichte sich, die Vorgaben zur Hindernisfreiheit einzuhalten. Im Nachgang werde die Umsetzung kontrolliert.
«Da beim Franklinturm noch nicht alle Kontrollen abgeschlossen sind, können wir zu dem Gebäude zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskünfte geben», so der Mediensprecher.
Danisia Wiederkehr geht täglich schwimmen, meist etwa einen Kilometer. Sie hat schon 32-mal an der Zürcher Seeüberquerung teilgenommen – das letzte Mal diesen Sommer. Die 93-Jährige ist fit, nur ihre altersschwachen Augen und die Digitalisierung machen ihr zu schaffen. Vor allem auch, wenn sie nicht in die Arztpraxis gelangen kann.