Mit Mini-Magneten gegen Blutvergiftung
Elf Millionen Menschen sterben jährlich an einer Sepsis. Ein preisgekröntes Schweizer Start-up sagt dem Gesundheitsproblem nun den Kampf an – mit einer revolutionären Technik.
Veröffentlicht am 17. Dezember 2020 - 16:53 Uhr
Dieser Beitrag ist Teil unserer Artikelserie «Was 2020 sonst noch geschah – 12 Geschichten über erfreuliche Entwicklungen». Alle Artikel der Serie finden Sie am Ende dieses Artikels oder hier.
Hemotune hat Lukas Langeneggers Leben von Grund auf verändert. Das Projekt machte den Studenten zum Geschäftsführer. Es wird noch viele Leben verändern, da ist sich der 31-Jährige sicher. Mit Hemotune sagt er einem der grössten Gesundheitsprobleme den Kampf an: der Sepsis, auch Blutvergiftung genannt.
Rund 11 Millionen – so viele Einwohner hat Belgien. So viele Menschen sterben jährlich an einer Sepsis. Das sind 20 Prozent aller Todesfälle.
Blutvergiftungen gehören zu den schwersten Komplikationen bei Infektionskrankheiten. Auslöser sind Bakterien, Viren oder Pilze. Gelingt es dem Körper nicht, Krankheiten wie etwa einen Harnwegsinfekt oder eine Lungenentzündung abzuwehren, verteilt sich der Infekt über das Blut, und es kommt im ganzen Körper zu starken Entzündungen. Das Immunsystem reagiert so heftig, dass es sich gegen gesundes Gewebe, Organe und sich selbst richtet. Im schlimmsten Fall führt das zu einem septischen Kreislaufschock, zu Organversagen, zum Tod.
50 Millionen – so viele Einwohner hat Kolumbien. So viele Menschen infizierten sich 2017 mit einer Sepsis. Fast die Hälfte waren Kinder unter fünf, meist in armen Ländern mit schlechten Hygienebedingungen.
Medikamente gibt es keine. Viele Patienten benötigen Intensivpflege. Zu versuchen, Betroffene am Leben zu halten, ist alles, was man tun kann. Rund ein Viertel der im Spital behandelten Patienten sterben. Auf der Intensivstation steigt die Sterberate auf 40 Prozent. Die Behandlungskosten sind gewaltig, am teuersten sind die lebenserhaltenden Massnahmen.
Im Mai 2017 verabschiedet die WHO eine Resolution: Prävention, Diagnose und Behandlung einer Sepsis müssten verbessert werden. Schnell und global.
Im selben Jahr entsteht Hemotune, ein Spin-off der ETH Zürich. Damals ist Lukas Langenegger 28, hat Chemie- und Bioingenieurwissenschaften in Zürich und am MIT im amerikanischen Cambridge studiert. Er setzt sich das ambitionierte Ziel, Sepsis zu besiegen. Dafür holt er Carlos Mora an Bord, einen Mikrobiologen, der sich auf das Immunsystem spezialisiert hat. Das Team wächst, inzwischen tüfteln 15 Mitarbeitende an der revolutionären Maschine.
«Wir pumpen Blut aus dem Körper und reinigen es, ähnlich einer Dialyse. Wir verwenden dafür magnetische Kügelchen, die mit Bindungsstellen bestückt sind, an denen nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip nur bestimmte Stoffe haften bleiben. Ein magnetischer Filter entfernt dann die Kügelchen samt den Giftstoffen aus dem Blut», erklärt Langenegger. «Sie erwischen mehrere Botenstoffe und Giftstoffe gleichzeitig. So kann sich das Immunsystem schneller erholen.» (siehe Infografik weiter unten)
Im umkämpften Markt der Medizinaltechnik reicht eine gute Idee oft nicht aus. Doch Langenegger hat Glück und kann Wyss Zurich überzeugen, einen Start-up-Förderer der ETH und Uni Zürich. Fortan wird Hemotune unterstützt. 2020 gelingt der Durchbruch: Das Projekt gewinnt Preise, die Grossinvestoren anlocken. Im November folgt der Swiss Technology Award, der grösste Innovationspreis der Schweiz.
Derzeit bereitet Hemotune mit der Universität Bern eine klinische Studie vor, in der das Gerät ab Ende 2022 im Einsatz ist. Langenegger denkt schon weiter: «Irgendwann wollen wir unsere Technologie ausweiten: auf Autoimmunerkrankungen, Krebs oder Organtransplantationen.»
Infografik: So funktioniert Hemotune
Über eine Blutpumpe (A) wird das Blut aus dem Körper und später wieder zurückgepumpt.
Durch eine Spritzenpumpe (B) gelangen magnetische Kügelchen in das abgezapfte Blut, die Giftstoffe binden können.
Diese Nanomagnete werden dann im magnetischen Filter (C) zurückgehalten, sodass nur gereinigtes Blut zurück in den Blutkreislauf gelangt.
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1 Kommentar
Das Behandeln von Blut mittels elektromagnetischen Feldern ist nicht ganz neu. Neu wäre hier, dass diese Kügelchen zum Magnetismus auf der Oberfläche noch Bindungsstellen haben sollen, welche nach dem Schloss/Schlüssel Prinzip funktionieren sollten. Während Anwendungen wie die Plasmapherese oder andere Technologien, welche in China und Russland anerkannt sind, hier bisher belächelt wurden, freut es mich doch, das man nun endlich die Vorteile solcher Technologien beginnt erst zu nehmen. Prüfet alles, und nehmt von allem das Beste.