Man muss nicht immer zum Arzt
Seit Anfang Jahr dürfen Apothekerinnen verschreibungspflichtige Medikamente abgeben – auch ohne Arztrezept. Für Patienten hat das einen Haken.
Veröffentlicht am 5. Dezember 2019 - 11:04 Uhr
Manchmal ist der Gang zum Arzt ein Umweg. Zum Beispiel bei anhaltenden Reflux-Beschwerden. Oder bei hartnäckigen Hämorrhoiden. Im ersten Fall helfen Pantozol-Tabletten, im zweiten eine Salbe Doxiproct plus – beides verschreibungspflichtig. Trotzdem darf die Apothekerin die Medikamente seit Anfang Jahr ohne Rezept herausgeben. So will es die Revision des Heilmittelgesetzes.
Mit der neuen Regelung gewinnt die Apothekerin ein Stück Freiheit, der Arzt wird entlastet, die Patientin kommt schneller zum Medikament. Was sich gut anhört, hat aber einen Haken: Nur mit Arztrezept wird das Medikament von der Krankenkasse vergütet.
Krankenkassen kommt die Revision des Heilmittelgesetzes entgegen, denn sie sparen gleich doppelt: Erstens verursachen Patienten im Idealfall keine Arztkosten, zweitens zahlen sie die Medikamente selber.
Der Krankenkassenverband Santesuisse sieht trotzdem Vorteile für Patientinnen: «Die Regelung trägt zum einfachen Bezug von Medikamenten bei, die für die Patienten im Einzelfall sinnvoll sind», sagt Matthias Müller, Leiter Kommunikation. Es handle sich um vergleichsweise kleine Geldbeträge; alleine der Selbstbehalt beim Arzt wäre höher, wenn man nur für ein Rezept dort vorbeigehen müsste. Auch das Bundesamt für Gesundheit betont die Einsparungen.
Tatsächlich kann es sich in einigen Fällen lohnen, direkt in die Apotheke zu gehen. Wer eine hohe Franchise hat, spart so die Kosten eines Arztbesuchs.
Doch nicht immer ist die Abkürzung sinnvoll. Patienten mit tiefer Franchise zahlen schnell aus eigener Kasse, wie ein Beispiel zeigt: Eine 74-Jährige hat 300 Franken als Franchise gewählt. Sie hat einen Reizdarm und ist häufig auf Medikamente angewiesen. Deshalb ist die Franchise schnell überschritten und die Krankenkasse zahlt. Lässt sie sich jedes Mal beim Arzt untersuchen, wenn Beschwerden auftreten, übernimmt die Krankenkasse das verschriebene Medikament. Wählt die 74-Jährige aber den direkten Weg in die Apotheke, bezahlt sie selber.
Die neue Regelung ist für Laien schwer überschaubar. «Patienten müssen zuerst recherchieren, wo sie ihr Medikament zu welchen Konditionen erhalten und sich dann für eine von zwei schlechten Varianten entscheiden», kritisiert Ivo Meli von der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). «Wollen sie das eigentlich kassenpflichtige Medikament nicht selber bezahlen, müssen sie einen unnötigen und teuren Arztbesuch auf sich nehmen.» Der Konsumentenschutz fordert, dass kassenpflichtige Medikamente auch dann vergütet werden, wenn eine Apotheke sie ohne Rezept abgibt.
Der Krankenkassenverband unterstützt die Forderung nicht: «Es ist grundsätzlich richtig, dass der Arzt in der Regel als Gatekeeper fungiert. Das ist gesetzlich so vorgegeben und dient der medizinischen Sicherheit.» Es liege in der Verantwortung der Patienten zu entscheiden, in welchem Fall sich der Gang zu einem Arzt aufdrängt und wo der direkte Bezug des Medikaments beim Apotheker sinnvoll ist.
Eine gute Zwischenlösung können Telemedizin-Modelle sein: Patienten beschreiben ihre Beschwerden telefonisch, schicken im Zweifelsfall Bilder und werden von einem Arzt beraten. Dieser schickt das Rezept direkt in eine Apotheke, das Medikament wird von der Krankenkasse vergütet. Die Patientin muss also weder den Arzt aufsuchen noch selber für die Arznei aufkommen. «Wer sich für ein solches Modell entscheidet, erhält zudem einen deutlichen Prämienrabatt », so Müller.
Die Revision des Heilmittelgesetzes betrifft vor allem Arzneimittel für häufig auftretende Krankheiten. Das Bundesamt für Gesundheit führt eine Liste der Indikationen, die laufend ergänzt wird. Darauf befinden sich vor allem Arzneien gegen Magen-Darm-Beschwerden, akute Atemwegserkrankungen, saisonale Erkältungen oder Allergien. Einige Wirkstoffe waren auch vor 2019 schon rezeptfrei erhältlich – allerdings nur in einer kleineren Verpackung.
Zudem gab es eine Änderung bei Arzneimitteln zur Weiterführung einer Dauermedikation: Vor der Revision war die Maximaldauer von Arztrezepten kantonal unterschiedlich geregelt. Nun ist gesetzlich verankert, dass Patienten ihre Medikamente ein Jahr nach der Erstverschreibung durch einen Arzt in der Apotheke abholen dürfen. Diese werden erstattet.
Das Heilmittelgesetz definiert, für welchen Zeitraum und in welcher Menge die Wirkstoffe abgegeben werden dürfen. Jede Abgabe muss dokumentiert werden.
1 Kommentar
Neben dem Telemedizin-Modell gibt es auch das klassische Hausarzt-Modell. Für Versicherte gibt es einen ähnlichen Rabatt, darüber hinaus aber eine Hausärztin/einen Hausarzt, der die Patientin oder den Patienten kennt und begleitet. Hier gibt es keine bösen Überraschungen mit unbezahlten Medikamenten. Vor allem aber kennt die Hausarztpraxis die gesamte Medikation und kann eingreifen, bevor es wegen Wechselwirkungen gefährlich wird.