Zauberpilze als Glücksfaktor
Die Forschung setzt auf Psychedelika. Sie könnten bei Sucht, Depressionen und Ängsten helfen. Neue Resultate aus der Schweiz lassen hoffen.
Veröffentlicht am 25. Oktober 2019 - 08:44 Uhr
Die Studie sorgte für Schlagzeilen. «Uni organisiert Drogencamps!», titelte der «Blick» 2018. Die «Drogencamps» waren allerdings vom Bundesamt für Gesundheit bewilligte Versuche. Die Wirkung des psychedelischen Wirkstoffs Psilocybin auf Stimmung und Wohlbefinden wurde untersucht – insbesondere in Kombination mit Meditation. Die Resultate wurden jetzt in der renommierten internationalen Fachzeitschrift «Scientific Reports» publiziert.
«Die Testpersonen empfanden ihr Leben als sinnhafter.»
Franz Vollenweider, Psychiater und Hirnforscher
Die wichtigsten Erkenntnisse: Die Meditierenden , die Psilocybin einnahmen, fühlten sich markant stärker «eins mit der Welt» und «geborgen im Sein» als jene mit einem Placebo. Dass sich dabei die Grenzen zwischen Selbst und Umwelt auflösten, konnten sie angstfrei zulassen.
Vier Monate später zeigten sie zudem positive Lebensveränderungen. «Die Probanden empfanden ihr Leben als sinnhafter. Sie akzeptierten sich mehr, waren entspannter und erlebten stärkere Gefühle der Verbundenheit mit anderen Menschen und der Natur», sagt Franz Vollenweider, Psychiater und Hirnforscher an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
Ein Effekt zeigte sich sogar auf körperlicher Ebene. Die Gehirnaktivität der Testpersonen wurde vor und nach der Meditationswoche mittels Magnetresonanztomografie (MRI) gemessen. «Die Netzwerke im Gehirn, die mit dem Selbstbezug zu tun haben, haben sich gelockert», sagt Milan Scheidegger, Psychiater und Mitarbeiter im Forschungsprojekt. «Sie sind besonders während Depressionen, wenn Menschen in Gedanken um sich selbst kreisen , stärker aktiviert.»
Die Daten belegten, dass Meditation und Psilocybin die Gehirnaktivität positiv beeinflussten. Indem man beides kombiniere, könne man das Nervensystem wahrscheinlich in ein stabileres Gleichgewicht bringen und stressbedingten Veränderungen entgegenwirken.
In der Studie hatten 40 gesunde Freiwillige auf der Rigi während fünf Tagen meditiert . Am vierten Tag erhielt die Hälfte von ihnen eine Dosis Psilocybin, den bewusstseinserweiternden Wirkstoff sogenannter Magic Mushrooms. Die andere Hälfte bekam ein Placebo. Alle Probanden hatten langjährige Erfahrung in Zen-Meditation und waren geübt darin, mit den aufsteigenden Bildern, Emotionen und verdrängten Erinnerungen umzugehen.
In der Zen-Meditation wird nichtbewertende Achtsamkeit praktiziert. «Wir wollten klären, ob eine Psilocybin-Erfahrung sie vertieft – und ob sie hilft, mit den intensiven inneren Erlebnissen besser – das heisst angstfreier und flexibler – umzugehen», erklärt Franz Vollenweider.
Die zweite Frage war: Kann eine Psilocybin-Erfahrung langfristig die Grundstimmung und das Wohlbefinden verbessern? Um das zu klären, füllten die Probanden täglich Fragebögen aus – zu Achtsamkeitsleistung, Mediationstiefe, Emotionslage und Bewusstseinsveränderung. Nach vier Monaten wurden sie erneut befragt.
Franz Vollenweider untersucht seit über 20 Jahren mithilfe psychedelischer Substanzen wie LSD, Psilocybin und MDMA, wie das menschliche Gehirn das Gefühl eines Selbst erzeugt. «Solches Wissen kann helfen, psychische Erkrankungen besser zu verstehen, bei denen das Selbsterleben gestört ist.»
Er fand heraus, dass ein bestimmter Serotoninrezeptor zentral ist beim Erleben des Selbst. Wenn dieser Rezeptor stimuliert wird, können Gefühle der Einheit mit der Welt auftreten. Wird er überstimuliert, beginnt die Person zu halluzinieren. Wird er blockiert, fördert das bei Schizophrenie eine ausgeglichene Selbstwahrnehmung.
Basierend auf den Resultaten, hat eine Pharmafirma ein Medikament entwickelt, das erfolgreich bei Psychosen mit Halluzinationen eingesetzt wird, wie sie bei Parkinsonpatienten auftreten können.
Die Schweiz hat in der Forschung mit Psychedelika seit je eine Vorreiterrolle. 1943 entdeckte der Chemiker Albert Hofmann in Basel LSD. Ein paar Jahre später wurde die Substanz in Psychotherapien eingesetzt. Bis in die späten sechziger Jahre erschienen über 1000 Studien und Berichte über ihre Wirkung.
«Mit der modernen Tomographie lässt sich untersuchen, wie Psychedelika Wahrnehmung, Denkprozesse oder Gefühle beeinflussen.»
Franz Vollenweider, Hirnforscher
Als LSD mit der 68er-Bewegung auf die Strasse kam und sich weltweit verbreitete, wurde die Substanz in den meisten Ländern verboten – auch in der Schweiz. Die Forschung kam praktisch zum Erliegen. Seit der Jahrtausendwende erlebt die Psychedelika-Forschung nun ein weltweites Revival. Dabei sind neben der Schweiz die USA und England tonangebend.
Der Aufschwung hat viel mit neuen bildgebenden Verfahren zu tun. Moderne Tomografiemethoden erlauben vertiefte Einblicke in die Gehirnprozesse . «So lässt sich untersuchen, wie Psychedelika Wahrnehmung, Denkprozesse oder Gefühle beeinflussen», sagt Franz Vollenweider. Die Forschung liefert die Grundlage für mögliche Anwendungen, etwa bei Depressionen, Angst- oder Suchterkrankungen.
Aktuelle Studien aus den USA und England bestätigen etwa, dass Psilocybin Angst und depressive Symptome bei Krebspatienten oder bei therapieresistenten Depressionen stark reduzieren kann – schon nach ein bis zwei Dosen für bis sechs Monate.
Weltweit wird an über 30 Universitäten mit Psilocybin geforscht. Ob die Schweiz ihre Vorreiterstellung behalten kann, ist offen. Insbesondere sind mit dem neuen Humanforschungsgesetz von 2014 die Herstellungskosten für Psilocybin um ein Vielfaches in die Höhe geschossen.
Die neuen Richtlinien erfordern eine hochreine Herstellung und stellen hohe Anforderungen an die Qualitätskontrolle. «Universitäre Institutionen können so die Kosten kaum mehr stemmen und müssen sich noch viel intensiver um Forschungsgelder bemühen», sagt Vollenweider. Gleichzeitig flössen von der Pharmaindustrie kaum Mittel in die Forschung, weil sich die klassischen Psychedelika nicht mit Patenten schützen lassen. Ein Interesse bestehe allerdings an patentierbaren Modifikationen.
Franz Vollenweider ist dennoch zuversichtlich. «Verschiedene Studien zeigen, dass diese Substanzen zur Behandlung verschiedener psychiatrischer Erkrankungen grosses Potenzial haben. Wir haben kürzlich auch einen EU-Forschungszuschuss für ein Projekt erhalten, in dem wir die Grundlagen untersuchen, wie Psilocybin für die Behandlung von Alkoholabhängigkeit genutzt werden kann.»
Forschung: «Psychedelika helfen bei Depression und Sucht»
Langfristig wirken Meditation und der Zauberpilz-Wirkstoff Psilocybin zusammen achtmal stärker als Meditation allein, sagt der Zürcher Hirnforscher Franz Vollenweider. Zum Artikel.