Gefährliche Mischung
Psychopharmaka können mit vermeintlich harmlosen Substanzen gefährlich wechselwirken – sogar mit ganz normalen Lebensmitteln.
Veröffentlicht am 22. Juli 2020 - 14:44 Uhr
«Hören Sie jetzt bloss nicht mit dem Rauchen auf!», sagte der Arzt. Doch er meinte es keineswegs schlecht mit dem Patienten Urs Graf*. «Er hat sich nur unglücklich ausgedrückt», sagt er.
Der Westschweizer raucht ein Päckchen Zigaretten pro Tag. Weil er an einer Depression erkrankt ist, muss er regelmässig Antidepressiva nehmen. Das plötzliche Absetzen der Zigaretten könnte gefährlich werden. Denn Nikotin und Antidepressivum beeinflussen sich gegenseitig.
«Das Nikotin beschleunigt den Abbau von Antidepressiva», weiss Patient Graf. «Deshalb dosiert man bei uns Rauchern höher.» Wenn er unvermittelt aufs tägliche Päckchen verzichtete, könnte das unter anderem seinen Blutdruck gefährlich abfallen lassen.
Psychopharmaka können – wie alle Medikamente – problematische Wechselwirkungen haben. Viele Patientinnen und Patienten sind sich dessen zu wenig bewusst. «Laien fehlt oft das Wissen, um Interaktionen zu meiden», sagt Psychiater Thomas Müller, Chefarzt der Privatklinik Meiringen. Deshalb klären sie ihre Ärztinnen und Ärzte auch zu wenig darüber auf, welche anderen Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel sie noch zu sich nehmen. Auch potenziell folgenreiche Einschnitte im Lebenswandel – wie einen Rauchstopp – lassen sie unerwähnt.
Einige, die unter Depressionen und Angststörungen leiden, nehmen neben den verschriebenen auch frei verkäufliche Präparate zu sich. Besonders beliebt sei Johanniskraut, sagt Psychiater Müller. Er warnt: «Nur weil diese Präparate pflanzlich sind, heisst es nicht, dass sie keine Wechselwirkungen mit Psychopharmaka verursachen.» Es drohen Schwankungen des Blutdrucks, Störungen des Bewusstseins und der Koordination bis hin zu lebensbedrohlichen Effekten. Einige Wirkungen können sofort, andere erst mit der Zeit zum Problem werden.
Eine Ursache für Wechselwirkungen, die oft unterschätzt wird: Alkohol. «Für gewöhnlich verstärkt er die Wirkung der Psychopharmaka», sagt Müller. So können Medikamente, die beruhigend wirken sollen, mit Alkohol sehr müde machen. Das kann zum Beispiel im Haushalt gefährlich werden.
Bei Wechselwirkungen wird entweder die Aufnahme oder der Abbau des Medikaments gestört. Das kann auch durch normale Lebensmittel geschehen. Grapefruitsaft etwa kann den Abbau von Antidepressiva verlangsamen – und zu Vergiftungen führen.
«Wir wissen allerdings noch zu wenig über die Zusammenhänge zwischen Psychopharmaka und den Inhaltsstoffen von Nahrungsmitteln», sagt die Pharmazeutin und Ernährungsexpertin Helena Jenzer, Leiterin der Spitalapotheke an der Psychiatrischen Uniklinik Zürich. Ihr Rat: In sich hineinhorchen – wenn einem ein Nahrungsmittel nicht guttut, sollte man es in Zukunft vorsichtshalber meiden.
Ältere Leute müssen besonders vorsichtig sein. «Bei ihnen funktioniert der Stoffwechsel langsamer», sagt Thomas Müller. «Auch das kann Wechselwirkungen begünstigen.» Zudem nehmen die meisten über 65-Jährigen täglich mehrere Medikamente. Deshalb ist es wichtig, sich an die ärztlichen Vorgaben zu halten – und Auskunft über sämtliche Medikamente und deren Dosis zu geben. Wenn sich eine Medikation ändert, sollten alle behandelnden Ärztinnen und Ärzte davon erfahren.
«Dass die Kolleginnen und Kollegen nicht voneinander wissen, ist eines der Hauptprobleme bei der Behandlung mit Psychopharmaka», sagt Thomas Müller. Personen mit bipolarer Störung etwa nehmen Lithium ein. Das hilft, Krankheitsphasen zu verhindern. Allerdings sollten Herzkranke, die Blutdrucksenker zu sich nehmen, die Lithium-Einnahme sofort mit ihrem Kardiologen besprechen. Sonst kann es zu einer Vergiftung kommen.
Fachleute machen auch auf genetische Unterschiede aufmerksam: Manche Menschen können trotz niedriger Dosis eines Psychopharmakons einen hohen Wirkspiegel im Blut aufweisen – und umgekehrt. «Leider können wir heute noch keine personalisierten Therapien anbieten», sagt Pharmazeutin Helena Jenzer. Noch müssen Betroffene die Medikamente erst einmal einnehmen, um festzustellen, ob sie aufgrund genetischer Veranlagungen zu bestimmten Wechselwirkungen neigen. Aber bei allen Beschwerden können – und sollten – Betroffene ihren Arzt aufsuchen.
* Name geändert
Psychopharmaka – Wirkung, Nutzen, Gefahren
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4 Kommentare
Es gibt Tabellen über das Cytochrom P450 Enzymsystem der Leber welche Auskunft geben über womöglich Induktoren und Inhibitoren der Enzyme, welche Medikamente im Blut abbauen oder erst zur Wirkung bringen durch Umbau in eine andere Substanz. Wird ein Medikament durch ein Leberenzym abgebaut, welches bereits durch den Abbau einer anderen Substanz beschäftigt ist, dann verstärkt das eine Medikament die Wirkung des anderen. Dasselbe kann auch umgekehrt geschehen. Ich kann jedem empfehlen, sich in die Flockhart Tabelle ein zu arbeiten, Eigenverantwortung ist heute wichtiger denn je. Auf dem Server der University of Indiana finden Sie kostenlos aktualisierte Tabellen. Auch können Substanzen wie die Abbauprodukte von Alkohol die Wirkung von Medikamenten blockieren, indem sie die Enzymproduktion in der Alkohol-Entzugsphase in gewissen Bereichen so stark anregen, das die Medikamente dann für eine gewisse Zeit nicht wirken.
Der grosse, vertuschte Bereich der Psychiatrie!? Wer weiss denn schon, was hinter solchen "Mauern" alles läuft...? Vor allem, wer kontrolliert jeden Bereich im Schweizer "Gesundheits-Un-Wesen"?? Niemand! Es geht um GELD, sehr viel Geld und damit auch um skrupellose Habgier!
Es sollte endlich mal darüber berichtet werden, das praktisch jedes Spital auch den über 80jährigen, mental gesunden Patienten, Psychopharmaka (Seroqoel) in der Nacht verabreicht wird, dies ohne Kenntnus des Patienten. Es wird als leichtes Schlafmittel "verkauft", hat aber fatale Nebenwirkungen (Halluzinationen, flachere Atmung).
Die Beratung durch Ärzte und Apotheker zu Psychopharmaka ist oft miserabel. ‘Melden sie sich bei ihrem Arzt’ heisst, man wird mit Schulterzucken abgespeist oder fühlt sich wie ein Versuchskaninchen: ‘ja, dann nehmen sie doch jetzt dieses andere Medikament’ usw. und dies in einer Lebensphase, in der man emotional besonders verletzlich ist. Da liegt noch sehr viel im Argen in der medizinischen Zunft!