Die Ansage kam schnell und klar: «Ich will kein Mitleid!», stellte meine Bekannte in der Runde klar. Sie hatte vor einiger Zeit eine schwierige Diagnose erhalten und sich nun entschlossen, diese mit uns zu teilen. Wir alle wurden spürbar stiller. Als ob die Nachricht über die Diagnose an sich nicht schon für genug Sprachlosigkeit gesorgt hätte.

Dieses klare Verbot von Mitleid wird häufig ausgesprochen, wenn Menschen Schwieriges meistern müssen . Es blockt eine Reaktion, die bei vielen automatisch kommt und nicht selten mit einem ehrlichen Herzensgefühl verbunden ist. Das Mitleid wäre also gut gemeint. Aber wie sagt man so schön? Das Gegenteil von «gut» ist oft «gut gemeint».

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Warum tut Mitleid vielen Leidgeplagten weh? Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig, denn nicht alle Mitleid-Blockierer erleben dieselbe Geschichte. Einer der häufigsten Gründe ist, dass Mitleid von den Betroffenen als Nährboden für unerwünschtes Verhalten erlebt wird. Sie befürchten, dass sie in eine Opferrolle gedrängt werden, dass sie auf ihr Problem reduziert werden. Sprich, dass sie nicht mehr sich selbst sein dürfen.

Für Menschen, die ihre Schwierigkeiten offenlegen, ist Mitleid nicht selten auch ein unerbetener Realitätscheck. Das Mitleid wird zum Spiegel, der sie damit konfrontiert, dass ihr Problem echt ist und sich nicht wegwischen lässt. Ob die Leidgeplagten so einen Realitätscheck überhaupt brauchen, ist jedoch offen.

«‹Ich will kein Mit­leid› heisst also oft nichts anderes als ‹Ich leide schon genug›.»

Caroline Fux, Psychologin

Zugegeben: Es gibt tatsächlich Leidgeplagte, für die solche Konfrontationen wichtig sind. Weil sie viel zu viel wegdrücken und sich in einer schwierigen Phase unerwünschte Emotionen nicht erlauben. Wenn aber Dinge wie Wut, Trauer Verhalten im Todesfall Wie geht man mit Trauernden um? , Leere oder Erschöpfung komplett blockiert werden, geraten wichtige persönliche Prozesse ins Stocken. Das Mitleid der anderen mag in so einem Fall wehtun, es kann aber auch helfen, sich einzugestehen, dass tatsächlich etwas nicht in Ordnung ist und man sich besser um sich selbst kümmern muss.

Die meisten Herausgeforderten brauchen aber definitiv keine Erinnerung daran, dass etwas nicht gut läuft. Sie leiden schon genug, nicht selten im Stillen. Sie legen täglich einen Balanceakt hin, wann und wie viel Leid sie sich erlauben können oder wollen, und kämpfen damit, dass ihnen die Probleme ihr Glück und ihr Leben wegfressen. Auf diesem Drahtseil kann man nicht jeden beliebigen Passagier gebrauchen. «Ich will kein Mitleid» heisst also oft nichts anderes als «Ich leide schon genug». Und das haben Aussenstehende zu respektieren.

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Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Leiden ist oft auch etwas sehr Privates, Intimes. Und das wird von vielen, die ihr Mitleid ungefiltert rüberschieben, masslos unterschätzt. Sie drängen sich, gewollt oder ungewollt, als Katastrophentouristen in einem Prozess auf, in dem sie rein gar nichts zu suchen haben.

Was aber kann man denn anbieten, wenn man eine Person vor sich hat, die eine grosse Challenge meistern muss? Eine hilfreichere Variante des Mitleids ist in der Regel das Mitgefühl. Weil es eine emotionale Verbundenheit signalisiert, der betroffenen Person aber mehr Raum lässt und in seiner Auslegung viel offener ist als das viel gefürchtete Mitleid.

Manchmal ist es sinnvoll, noch einen Gang runterzuschalten und statt Mitgefühl das weniger emotionale Verständnis anzubieten. Dieses baut darauf auf, dass man die Sicht und die Situation des Gegenübers in seine eigenen Überlegungen miteinbezieht. Nicht gefühlskalt, aber aus respektvoller Distanz. Richtig gelebt, schenkt Verständnis somit Interesse und Achtsamkeit Stressfrei dank Meditation «Raus aus negativen Gedankenspiralen» , ohne Grenzen zu missachten.

Ich habe mich an jenem Abend von meiner Bekannten mit den Worten verabschiedet: «Ich bin da, wenn du mich brauchst.» Sie wird ihren Weg gehen. Sie wird ihn selbst wählen, genau wie die Gesellschaft, die sie unterwegs dabeihaben möchte.

Zur Person

Caroline Fux

Caroline Fux schreibt für den Beobachter über ihre Arbeit als Psychologin und die tägliche Konfrontation mit sich selbst. Ausserdem ist sie Co-Autorin der Beobachter-Bücher «Was Paare stark macht», «Guter Sex» und «Das Paar-Date».

Quelle: Paul Seewer

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