Wie hilft man einem Betroffenen?
Bei einer Schizophrenie verändert sich die Persönlichkeit grundlegend. Doch die psychische Störung belastet nicht nur Erkrankte, sondern auch das Umfeld.
aktualisiert am 13. September 2018 - 11:42 Uhr
Leserfrage: «Mein älterer Bruder leidet seit 15 Jahren an Schizophrenie. Er hat sich aufgegeben. Was kann ich tun?»
In Ihrer E-Mail beschreiben Sie eindrücklich die Biografie Ihres grossen Bruders, der sich plötzlich im letzten Jahr des Gymnasiums so veränderte. Sie beschreiben seine Schwierigkeiten im Umgang mit der Erkrankung. Dass er krank war, liess er nie wirklich an sich heran. Nach einem Klinikaufenthalt setzte er jeweils sämtliche Medikamente wieder ab.
Nach ein paar Jahren habe er eingelenkt, Termine beim Arzt ausgemacht, Medikamente genommen. Sie und Ihre Eltern hätten sich anfänglich darüber gefreut. Heute stellten sie fest, dass er damals wohl resigniert habe.
Für Sie als kleine Schwester muss das schwierig gewesen sein. Zu sehen, wie der ältere Bruder die Kontrolle über sein Leben verliert. Seine Energie, seine Tatkraft, seine Selbstüberzeugung machten ihn zu einem Helden in Ihrer Jugend. In der Krise
stellte ihm gerade das ein Bein. Er konnte nicht akzeptieren, dass sich etwas grundsätzlich verändert hatte und nun etwas anderes gefragt war. All das haben Sie in einer Zeit miterlebt, in der es eigentlich darum ging, sich von der Familie zu lösen.
«Schwierig ist, dass Betroffene sich nicht als krank empfinden.»
Thomas Ihde, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH
Nun merken Sie, dass der Bruder noch immer in Not ist. Er erlebt sich als hoffnungslos, perspektivlos, er hat weder Träume noch Ziele. Seine einzige Freude sei das Rauchen
und das Essen, dabei sind zwei Päckchen Zigaretten und 40 Kilo
Übergewicht leider alles andere als gesund. Jetzt, da die Eltern nicht mehr da sind, hängt die Verantwortung an Ihnen. Sie haben jedoch auch eine Familie mit Kindern und einen Teilzeitjob.
Die Schizophrenie ist die psychische Belastung, über die wir am wenigsten wissen. Man hat versucht, genau zu verstehen, was sich im Gehirn verändert und wie die genetische Veranlagung aussieht. Und man hat vielleicht schon 49 Puzzle-Teile gefunden, das Puzzle hat aber wohl 1000 Teile. Die Forschung hat bis heute leider noch kaum Konsequenzen für eine erfolgreiche Behandlung gehabt. Medikamente helfen, die Symptome zu reduzieren, wieder schlafen zu können
, den Kontakt zur äusseren Realität nicht zu verlieren. Bei einzelnen helfen sie sehr gut, bei anderen weniger.
«Ihr Bruder braucht Hoffnungsträger.»
Thomas Ihde
Eine grundsätzliche Schwierigkeit der Schizophrenie ist, dass Betroffene sich nicht als krank erleben. Ihre innere Wahrnehmung lässt sich für sie nicht von der äusseren unterscheiden. Beides wirkt genauso reell. Die innere Wahrnehmung wirkt aber intensiver, dringender. Deshalb setzen Betroffene die Medikation oft wieder ab. Sie wollen die innerlich wahrgenommene Aufgabe realisieren, etwa, dass sie eine göttliche Botschaft umsetzen müssen. Das führt zu Konflikten.
Die Ärzte sprechen dann nur noch davon, dass Betroffene ihre Erkrankung ernst nehmen sollen, dass es eine schwere Erkrankung sei und dass sie nun lebenslang Medikamente einnehmen müssten. Dass sie Pläne wie ein Studium oder auch eine eigene Wohnung aufgeben müssten. Das führt zu Resignation. Irgendwann glaubt der Betroffene selbst auch, dass er sich damit abfinden muss, dass Zigaretten und Essen noch die einzigen Freuden im Leben sind – wie Ihr Bruder.
- Suchen Sie den Austausch mit anderen Angehörigen, das kann nähren. Kontakte finden Sie zum Beispiel beim Angehörigenverband psychisch Kranker.
- Es ist wichtig und richtig, dass Sie Ihrem Bruder helfen. Überlegen Sie aber, wie viel Zeit Sie ihm «schenken» möchten. Auch Sie brauchen Freizeit und Erholung. Es ist völlig legitim, wenn Sie zum Beispiel wöchentlich einen Abendbesuch machen und er einmal pro Monat den Sonntag bei Ihnen verbringt.
- Ihr Bruder braucht kleinere Aufgaben, bei denen er sich nützlich und gebraucht fühlt. Am Anfang kann das der Umgang mit einem Haustier sein, dann kann er vielleicht ein paar Stunden bei einer Hilfsorganisation helfen und irgendwann auch wieder einen kleineren oder grösseren Teilzeitjob ausüben.
- Ihr Bruder braucht Hoffnungsträger. Die Prognose für Menschen auch mit schweren psychischen Belastungen ist wesentlich besser, als man denkt. Einige gesunden vollumfänglich. Andere haben zwar ab und zu Schwierigkeiten, gesunden aber in dem Sinne, dass sie wieder Teil der Gesellschaft sind, Aufgaben übernehmen und eine Identität haben, die nicht nur durch die Krankheit bestimmt ist. Es gibt in der Schweiz sogenannte Peers. Sie befinden sich auf Gesundungswegen und haben in einer Ausbildung gelernt, andere Betroffene zu unterstützen. Sie verkörpern Hoffnung.
- Peers finden: www.promentesana.ch, Suchwort «Peer»
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