So meistern Sie die Arbeit zu Hause
In Zeiten von Home-Office und sozialer Distanz fühlen wir uns oft allein. So engt Sie die neue Alltagssituation in Ihren vier Wänden nicht ein.
aktualisiert am 27. März 2020 - 11:21 Uhr
Leserfrage: «Ich halte es im Home-Office kaum aus und fühle mich zu Hause eingeschlossen. Was kann ich tun?»
Wir alle haben in den letzten Wochen eine ziemliche Entwicklung hinter uns. Die ersten Bilder aus China und Südkorea waren einfach Bilder am Fernsehen, weit weg von unserem Leben. Mit Italien änderte sich das langsam. Es wurde persönlicher. Viele von uns kennen Menschen, die in Mailand oder Bergamo leben.
Wirklich reagiert haben die meisten von uns aber erst, als wir alle mit Bildern aus Intensivstationen konfrontiert wurden. Schritt für Schritt folgten Massnahmen , die den Alltag immer stärker veränderten. Dabei merken wir, dass unsere relative Krisenlosigkeit der letzten Jahrzehnte eher nachteilig ist. Länder mit SARS-Erfahrung reagierten schnell und vehement, wir wohl zu ruhig und zu besonnen.
Home-Office, kein Händeschütteln und soziale Distanz sind mittlerweile Alltag. Und doch ist es eben ein sehr anderer Alltag. Die Vierzimmerwohnung mit zwei Kindern wird plötzlich sehr eng, die Loftwohnung, in der man allein lebt, wirkt einfach nur leer.
Nun, was kann ich Ihnen raten? Eigentlich geht es darum, Kernelemente aus dem alten Leben in das neue zu transportieren. Dazu gehören Routinen, ab und zu ein Ausbrechen und vor allem Zwischenmenschliches.
Unser Alltag war geprägt von vielen kleinen Routinen. Aufstehen, Duschen, Frühstück mit den Kindern, die Velofahrt zum Bahnhof, der kleine Schwatz im Zug, der Halt am Espressostand. Ohne uns gross Mühe zu geben, trafen wir pro Tag 20 Leute. Jetzt braucht es eine neue Routine . Aufstehen, Duschen, Anziehen und das Frühstück mit den Kindern können wir beibehalten.
Bei der Arbeit müssen wir aber schauen: Der Arbeitsplatz sollte etwas getrennt sein vom normalen Privatraum. Hat man kein separates Zimmer, hilft es schon rein symbolisch, wenn man den Esstisch, der nun zum Arbeitstisch wird, etwas verschiebt. Es braucht auch jetzt einen kleinen Schwatz mit Arbeitskollegen . Ein paarmal pro Tag empfehlen sich kurze Teamchats oder Telefonkonferenzen, wo man auch mal die Pause zusammen verbringt. Auf dem Balkon ist es vielleicht sogar schöner als im Pausenraum im Betrieb.
«Am meisten hilft das Gemeinschaftliche, das Solidarisierende.»
Thomas Ihde, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH
Schön ist, dass wir mehr Zeit mit den Menschen haben, mit denen wir zusammenleben. Damit wir dies auch schätzen können, müssen wir diese Zeit begrenzen. Die Familie braucht eine Art Stundenplan mit Zeitfenstern, in denen die Mutter eben mit ihrer besten Freundin Zeit verbringt – halt am Telefon und mit einem Stoppschild an der Schlafzimmertür.
Da unser Alltag vielleicht etwas eintöniger wird, braucht es auch spezielle Dinge, starke Erlebnisse, die sich einprägen. Sie lassen uns wieder etwas Luft zum Atmen . Jetzt ist die Zeit, alte, vielleicht sogar etwas kühne Träume zu verwirklichen. Nur müssen sie halt isolationskompatibel sein.
Wer schon immer mal Finnisch oder Russisch lernen wollte, soll dies jetzt online tun. Am besten zusammen mit einer Freundin, so kann man sich darüber austauschen und bleibt auch dran. Sich in etwas vertiefen hilft gegen das Gefühl des Eingeschlossenseins. Vielleicht entstauben Sie auch die alte Briefmarkensammlung, die Sie eigentlich entsorgen wollten. Dabei tauchen Erinnerungen auf. Viele von uns haben ja plötzlich mehr Zeit. Wir lesen zwar noch stundenlang über die Pandemie , aber die meisten haben langsam Ermüdungserscheinungen. Diese Zeit kann man besser nutzen.
Auch wenn es viele gut verstecken: Das Ganze macht Angst – Angst um uns, Angst um Angehörige in den Risikogruppen, Angst um Freunde, die im Gesundheitswesen arbeiten, Angst um jene, die ihre Stelle verloren haben oder noch verlieren könnten. Dagegen hilft schon das Relativieren oder auch das Meditieren . Am meisten hilft aber das Gemeinschaftliche, das Solidarisierende. Da kann uns Italien ein gutes Beispiel sein. Die Bilder der Menschen, die auf dem Balkon gemeinsam singen, weisen uns den Weg.
Was aber trotzdem bleibt, ist das Gefühl der Distanz. Die räumliche Distanz zu allen, diese zwei Meter, sie fühlen sich sonderbar an. Es fehlt etwas. Man kann das drehen und wenden, wie man will. Gerade jene, die allein oder von ihren Liebsten getrennt sind, merken das sehr. Es schmerzt, die Mutter oder den Partner am anderen Ende der Schweiz nicht einfach besuchen zu können , sie oder ihn nicht zu riechen, die weiche oder haarige Haut nicht zu spüren. Das ist schmerzhaft. Aber es macht uns allen sehr bewusst, was wirklich zählt im Leben.