Mein ratloses Leben als Esche
Telefon-Lebensberater geizen nicht mit teuren Ratschlägen. Unsere Autorin machte die Probe aufs Exempel und erfährt Überraschendes über ihren nichtexistenten Koi-Karpfen.
Veröffentlicht am 7. Oktober 2019 - 17:09 Uhr
Meine Lieblingsseiten in Illustrierten: die bunten Kleinanzeigen der selbsterkorenen Lebensberater. Sie nennen sich Samara, Samira, Elvira. Oxana, Flora und Luna. Manche offerieren namenlos, nur mit Telefonnummer. Einige beschäftigen angeblich ein ganzes Team. Viele tun’s mit Karten, Kaffeesatz, einer Stimme (meiner/ihrer?). Sogar Bäume müssen herhalten.
Allen gemein ist, dass die Dienste kosten. Besonders beliebt: der Betrag von 1 Franken und 99 Rappen pro Minute. Geht aber auch billiger (selten) oder teurer (deutlich häufiger).
Es ist eine verwirrende Welt. Laut keltischem Baumhoroskop bin ich eine Esche. So stehts im Internet. Eschen gibt es wie Bäume im Wald. Also viele. So viele, dass ich schon zwei – kleinere – Exemplare gefällt habe. Sie waren mir im Weg, nahmen mir die Aussicht.
Was aber bedeutet das für mein eigenes Eschen-Leben? Ich weiss es nicht. Sollte ich jetzt 0901 366 366 wählen?
Die Neugier siegt, ich wähle. Meine vordringlichste Frage: Hat der doppelte Baummord negative Auswirkungen für meine Zukunft?
Geduld ist angesagt. Zuerst lande ich in einem Callcenter, wohl in Deutschland. Die Dame am Draht will meinen Namen und mein Anliegen. Dann verbindet sie mich mit dem Medium «Loretta».
«Was treibt dich um, Andrea?», fragt Loretta. Ich erkläre ihr mein Eschenproblem. Die ersten 3.98 Franken sind da schon weg.
Loretta hat Husten und eine durchaus wohlwollende Einstellung. «Andrea, das kann ja auch positiv sein. Verstehst du, was ich meine, Andrea?» Die Bäume, parliert sie weiter, stünden für Hindernisse in Beruf und Partnerschaft. Und die hätte ich jetzt ja ausgeräumt. Also alles gut. Nur vor Neid und Missgunst müsse ich mich in Acht nehmen, solle gewisse Leute auf Abstand halten. Und meine starke spirituelle Ader anerkennen, die sie in den Karten deutlich sehe. «Wusstest du, dass du ein spiritueller Mensch bist?», fragt Loretta. Ich verneine. «Das ist aber so, Andrea, verstehst du, was ich meine, Andrea?»
Ich solle ein Buch zum Thema kaufen gehen, rät sie mir zum Schluss. Das Gespräch dauert ohne mein grösseres Zutun 11 Minuten und 53 Sekunden. Der häufigste Satz: «Andrea, verstehst du, was ich meine, Andrea?» Gekostet hat der Spass 23.88 Franken.
Wie so oft in Fiktion und Realität ist das Thema Liebe auch im Geschäft mit den Leichtgläubigen allgegenwärtig. Insbesondere Partnerrückführungen preisen die Kleinstinserate an. Ob das Objekt der Begierde physisch zu mir zurückgeprügelt, entführt und fein säuberlich verschnürt frei Haus geliefert oder telepathisch zurückbeordert wird, erschliesst sich aus den Dreizeilern nicht. Sicher ist lediglich, dass mein Geld per 0901er-Nummer aus meinem Portemonnaie hin zum Anbieter fliesst.
Besonders faszinieren mich die Haustierhoroskope . Per Anruf! Versteht das Medium am anderen Ende des Drahtes das Knurren von Schäferhund Rex als die tragische Geschichte einer unerfüllten Liebe? Kann das Medium im Dienst des Übernatürlichen auch Vögelisch und Kätzisch? Hamsterisch? Und wie klagt der Koi sein stimmloses Leid?
Ich wähle wieder eine Nummer zur Zukunft. Wieder lande ich in einem deutschen Callcenter. Diesmal sind schon geschlagene 10 Franken weg, bis ich mit einem Medium verbunden werde. Die zuständige Dame sei erst zwischen 16 und 8 Uhr erreichbar. Aber mit hellsichtigem Tarot gehe das auch. «Wenn das für dich okay ist, Andrea». Ist es.
Die diesmal hustenfreie Dame heisst Eva und will wissen, was mein Problem ist. Ich erzähle von meinem Koi, will wissen, ob er bald stirbt. Denn dann würde ich ihn weiterverkaufen, bevor er das Zeitliche segnet. «Das geht natürlich nicht, da würdest du Betrug begehen. Verstehst du, was ich meine, Andrea», schilt mich Eva. Mit meinem Fisch reden will sie nicht. Aber so wie die Karten lägen, sagt sie, sei mein Koi tatsächlich krank. Ich hätte ihn von bösen Menschen bereits krank gekauft. «Von Betrügern!» raunt sie. «Verstehst du, was ich meine, Andrea?»
Ja, ich verstehe. Dass mein nicht existenter Koi sich in den Karten manifestiert, genauso wie seine leichte Erkrankung und irgendwelche Betrüger, die mich beim Verkauf des Fisches über den Tisch gezogen haben.
Eva lässt mich, nur widerwillig und unter der Anweisung, das Tier zum Tierarzt zu bringen, nach 13 Minuten und 52 Sekunden vom Haken. Die Karten haben ihr 27.86 Franken eingebracht.
Immerhin hat auch sie mir eine spirituelle Ader attestiert, die ich dringend ausloten soll. Aber wie trete ich mit meiner Spiritualität bloss in Kontakt? Vielleicht hilft ein Anruf bei Medium Doreen. Sie verspricht Abhilfe bei nichts Geringerem als Ratlosigkeit. Sie ist mit 2 Franken 50 pro Minute aber auch unter den teureren Anbietern.
Etikettenschwindel, falsche Preisangaben, haarsträubende Werbung oder sonst ein Reinfall: Für Ärger von Konsumentinnen und Konsumenten ist leider nur allzu häufig gesorgt. Auch Beobachter-Redaktorinnen und -Redaktoren fühlen sich öfters für dumm verkauft. Was sie dabei erleben, lesen Sie unter dieser Rubrik.
1 Kommentar
Leider sind die Scharlatane dafür verantwortlich, dass einzelne wirklich gute und seriöse Berater hier mit in den Sumpf gezogen werden. Klar ist jedenfalls, dass mit der Not der Menschen unverschämt Geld gemacht wird, aber was soll man machen, wenn man in dieser Welt leider gezwungen ist, Geld zu beschaffen, dass man überhaupt existieren kann?