Sexy oder sexistisch?
Wenn eine Reklame Frauen oder Männer auf sexistische Art diskriminiert, kann man diese beanstanden, wie diese acht beispielhaften Fälle zeigen.
Veröffentlicht am 12. Oktober 2021 - 08:08 Uhr
Vier Frauen liegen auf dem Bauch, dahinter ein Holzstapel. Sie tragen Dirndl mit tiefem Décolleté. Dazu der Spruch: «Wir haben Holz vor der Hütte. … greifen Sie zu!»
Gegen dieses Werbeplakat (siehe Bild 3 unten) hat eine Privatperson Beschwerde eingereicht. Die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK), ein Selbstkontrollorgan der Werbebranche, hat die Beschwerde im November 2020 gutgeheissen. Dem Urheber, einem Engadiner Sägewerk, empfahl sie, künftig auf das Sujet zu verzichten.
Die Begründung: Zwischen den Frauen mit tiefem Décolleté und dem beworbenen Produkt – Holz – gebe es «keinen sachlich natürlichen Zusammenhang». Mit dem doppeldeutigen Spruch werde «für den Durchschnittsadressaten auf den Brustumfang der abgebildeten Frauen hingewiesen». Die Frauen würden «rein als dekorativer Blickfang eingesetzt». Deshalb sei die Werbung geschlechterdiskriminierend und damit unlauter.
Für das Verbot sexistischer Werbung gibt es keine direkte gesetzliche Grundlage – ausser wenigen Regelungen auf Kantons- und Gemeindeebene für den öffentlichen Raum. In der Bundesverfassung steht nur allgemein, dass niemand wegen des Geschlechts diskriminiert werden darf. Doch seit 1993 enthalten die Grundsätze der Lauterkeitskommission einen spezifischen Absatz zum Thema: «Kommerzielle Kommunikation, die ein Geschlecht diskriminiert, indem sie die Würde eines Geschlechts verletzt, ist unlauter.» Diese Regelung geht auf eine Intervention des damaligen Konsumentinnenforums zurück.
«Werbefirmen wollen provozieren, Aufsehen erregen, Grenzen ausloten.»
Anja Derungs, Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK)
Die Schweiz setzt bei diesem Thema auf die Selbstregulierung der Werbebranche – wie viele andere Länder auch. Das bekräftigte der Bundesrat 2012 in seiner Antwort auf eine parlamentarische Interpellation und verwies auf die SLK (siehe unten «Selbstkontrolle der Werbebranche»): «Diese Selbstkontrolle funktioniert nach Auffassung des Bundesrats gut.» Somit sei es «nicht opportun, gesetzgeberisch tätig zu werden».
Beschwerden gegen sexistische Werbung gehören zu den häufigsten Verfahren, die die SLK durchführt. 2018 und 2019 lagen die Sexismusbeschwerden sogar mit Abstand an der Spitze. Sie machten in den letzten fünf Jahren zwischen 12 und 37 Prozent der Verfahren aus. Das sind im Schnitt zehn pro Jahr. «Das verwundert nicht», meint Anja Derungs, SLK-Fachexpertin für sexistische Werbung. «Werbefirmen wollen provozieren, Aufsehen erregen, Grenzen ausloten.»
Bei ihrer Beurteilung, ob eine Werbung sexistisch, also diskriminierend, ist, prüft die Schweizerische Lauterkeitskommission folgende Kriterien:
- Einem Geschlecht werden stereotype Eigenschaften zugeschrieben , und damit wird die Gleichwertigkeit der Geschlechter in Frage gestellt.
- Es wird Unterwerfung oder Ausbeutung dargestellt oder zu verstehen gegeben, dass Gewalt oder Dominanzgebaren tolerierbar seien.
- Zwischen der das Geschlecht verkörpernden Person und dem beworbenen Produkt besteht kein natürlicher Zusammenhang.
- Die Person wird in rein dekorativer Funktion als Blickfang dargestellt.
- Es liegt eine unangemessene Darstellung von Sexualität vor.
Der Beobachter hat die Beschwerden der letzten fünf Jahre ausgewertet. Dabei zeigt sich: Die Kriterien «kein natürlicher Zusammenhang zum Produkt» und «dekorativer Blickfang» führen weitaus am häufigsten dazu, dass eine Beschwerde gutgeheissen wird.
«Wenn wir über eine Werbung diskutieren, sind Gesamteindruck und Grundaussage massgebend», erläutert Ursula Gross Leemann, die für das Konsumentenforum SLK-Mitglied ist. «Zudem stellen wir auf Durchschnittsadressaten ab, also auf das Verständnis einer durchschnittlich verständigen, aufgeklärten und informierten Person der adressierten Zielgruppe.»
Beschwerden gab es auch gegen einen Radiospot. «Wetsch, das dini Alt dihei mal wider äs scharfs Häsli wird?», dazu ein Peitschenknall am Schluss – so wurde 2018 für Dessous geworben. Die SLK urteilte: entwürdigend. «Die herablassende Bezeichnung ‹Alte› für die Partnerin ist respektlos und erniedrigend.» Das Peitschengeräusch, das auf Gewaltspiele und Dominanz anspiele, «verstärkt den herabwürdigenden Charakter». Der Spot sei sexistisch und damit unlauter, denn er stelle Sexualität unangemessen und verbunden mit einem Dominanzgebaren dar.
Erst zögerlich gibt es Beschwerden wegen Diskriminierung von Männern. «Vielleicht liegt das auch daran, dass sie weniger in Interessengemeinschaften organisiert sind», sagt Marc Schwenninger, juristischer Sekretär der SLK. Seit 2016 hat die SLK acht solche Beschwerden erhalten.
Die SLK fällt keine Urteile, die rechtlich durchsetzbar sind, sondern gibt Empfehlungen ab. «In der Regel halten sich die Gerügten an die Beschlüsse», sagt Ursula Gross Leemann. «Denn sie wollen negative Publizität vermeiden.» Das ist denn auch die einzige Sanktionsmöglichkeit der Lauterkeitskommission: Sie kann ihren Entscheid öffentlich machen, wenn ein Urheber die Werbung trotz Rüge weiterführt.
#1: Datingportal
- Beurteilung:
Diese Werbung für ein Erotik-Datingportal ist nicht unlauter.
- Was ist zu sehen?
Sie zeigt eine Frau von hinten in Slip und BH auf dem Schoss eines Mannes; er öffnet ihr den BH.
- Begründung:
Die Lauterkeitskommission stellte 2019 fest, dass es «nicht widerrechtlich» sei, erotische Dienstleistungen anzubieten und zu bewerben. Der «sachliche Zusammenhang mit dem beworbenen Produkt» sei gegeben. «Eine unangemessene Darstellung von Sexualität ist nicht erkennbar.»
- Entscheid:
Die Beschwerde wurde abgewiesen.
#2: Strumpfhosen
- Beurteilung:
Dieses Plakat für Strumpfhosen ist nicht unlauter.
- Was ist zu sehen?
Es zeigt Frauen mit nacktem Oberkörper, die ihre Brüste mit verschränkten Armen bedecken.
- Begründung:
Die Lauterkeitskommission urteilte 2015, es müsse möglich sein, Strumpfhosen mit einer Frau zu bewerben, die sie trägt. Der nackte Oberkörper werde auf diesem Plakat «mit der gebotenen Zurückhaltung» abgebildet.
- Entscheid:
Die Beschwerde wurde abgewiesen.
#3: Sägewerk
- Beurteilung:
Diese Plakatwerbung für ein Sägewerk ist unlauter.
- Was ist zu sehen?
Sie zeigt vier Frauen mit tiefem Décolleté vor einem Holzstapel, dazu den Spruch: «Wir haben Holz vor der Hütte. … greifen Sie zu!»
- Begründung:
Zwischen den Frauen und dem beworbenen Produkt gebe es «keinen sachlich natürlichen Zusammenhang», urteilte die Lauterkeitskommission 2020. Mit dem doppeldeutigen Spruch werde «für den Durchschnittsadressaten auf den Brustumfang der abgebildeten Frauen hingewiesen». Die Frauen würden «rein als dekorativer Blickfang eingesetzt».
- Entscheid:
Die Werbung ist geschlechterdiskriminierend. Dem Betrieb wurde nahegelegt, inskünftig auf das Sujet zu verzichten.
#4: Bügeleisen
- Beurteilung:
Diese Werbung für ein Bügeleisen ist unlauter.
- Was ist zu sehen?
Sie zeigt einen Mann mit nacktem Oberkörper, verbunden mit dem Text «Heisses Gerät».
- Begründung:
Die Aussage «heisses Gerät» lasse sich auf den Mann wie auf das abgebildete Bügeleisen beziehen. Dabei diene der Mann «lediglich als Blickfang». Die Lauterkeitskommission sah darin 2017 eine Verletzung der Würde des männlichen Geschlechts.
- Entscheid:
Die Beschwerde wurde gutgeheissen. Die SLK empfahl, auf die Verwendung des Sujets zu verzichten.
#5: Arzneimittel
- Beurteilung:
Dieses Plakat für einen Nasenspray ist nicht unlauter.
- Was ist zu sehen?
Es zeigt einen Mann, der seinen Kopf auf den Schoss einer Frau gebettet hat. Dazu den Spruch: «Männerschnupfen? Entschärfen Sie das Drama.»
- Begründung:
Die Lauterkeitskommission sah darin 2020 keine Herabwürdigung des männlichen Geschlechts. Dem Mann werde zwar eine stereotype Eigenschaft zugeschrieben, aber «mit klar erkennbar überzeichnetem und humorvollem Charakter».
- Entscheid:
Die Beschwerde wurde abgewiesen.
#6: Erotikclub
- Beurteilung:
Diese Werbung für einen Erotikclub ist unlauter.
- Was ist zu sehen?
Sie zeigt eine Frau in knapper Unterwäsche und High Heels auf einem thronähnlichen Sessel.
- Begründung:
Die Lauterkeitskommission taxierte das 2016 als «angemessen». Doch sie beanstandete den Claim «Tag der offenen Beine». Die Anspielung auf einen «Tag der offenen Tür», bei dem Besucher üblicherweise unbeschränkt und kostenlos Zugang bekämen, erwecke in Kombination mit dem Spruch «Sex, sooft du kannst» den Eindruck, dass an diesem Tag Erotikdienstleistungen ohne Rücksicht auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen verfügbar seien und «der Kunde frei machen könne, was er wolle». Das taxierte die SLK als «herabwürdigend».
- Entscheid:
Die Beschwerde wurde gutgeheissen und der Club aufgefordert, auf den Claim zu verzichten.
#7: Parkettboden
- Beurteilung:
Diese Werbung für einen Parkettboden ist unlauter.
- Was ist zu sehen?
Sie zeigt eine sich erotisch präsentierende Balletttänzerin unter dem Titel «Bodenlust + Wandgenuss … Sie werden ihn lieben».
- Begründung:
Die Lauterkeitskommission befand 2018, die Frau habe eine rein dekorative Funktion und keinerlei Sachzusammenhang mit dem beworbenen Produkt.
- Entscheid:
Die Beschwerde wurde gutgeheissen. Auf das fragliche Sujet soll inskünftig verzichtet werden.
#8: Gerätebenzin
- Beurteilung:
Dieses Inserat für Gerätebenzin ist unlauter.
- Was ist zu sehen?
Es zeigt eine leicht bekleidete Frau, die mit weit gespreizten Beinen auf einem Fass sitzt und mit ihrem Haar spielt.
- Begründung:
Die Lauterkeitskommission beurteilte das Inserat 2017 als «klassischen Fall von geschlechterdiskriminierender Werbung». Dass die Frau einen Forsthelm und Schutzhandschuhe trage, ändere nichts daran, dass es keinen natürlichen Zusammenhang zwischen der Frau und dem beworbenen Gerätebenzin gäbe. «Es ist offensichtlich, dass die Frau einzig als Blickfang zum Einsatz kommt, um Aufmerksamkeit für das Inserat zu erregen.» Das Sujet habe einen sexistischen Charakter.
- Entscheid:
Die Beschwerde wurde gutgeheissen. Die SLK empfahl, inskünftig auf die Abbildung zu verzichten.
Die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK) ist als Stiftung organisiert. Sie wird von der Kommunikationsbranche finanziert. Ihre Aufgabe ist die Selbstkontrolle der Werbung. Sie ist unabhängig und paritätisch zusammengesetzt aus Vertreterinnen und Vertretern der Werbung, der Konsumentenorganisationen und Medien. Diese prüfen zusammen mit Fachleuten die eingereichten Beschwerden. Grundlage für die Tätigkeit der SLK sind ihre Grundsätze, in Verbindung mit internationalen Richtlinien für die Werbepraxis. Grundsätze gibt es etwa zu irreführender, täuschender oder vergleichender Werbung oder zu aggressiven Verkaufsmethoden. Jede Person kann eine Beschwerde einreichen – grundsätzlich kostenlos. Ausnahmen: Konkurrentenbeschwerden und Beschwerden über Firmen, die den Briefkastenkleber oder den Stern im Telefonbuch ignorieren. Dafür wendet man sich besser ans Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
Info: Beschwerdeformular auf www.faire-werbung.ch (mit Erläuterungen)
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