Der geplante Defekt
Kaum ist die Garantie abgelaufen, gibt das Gerät den Geist auf. Kann das immer nur Zufall sein? Tatsächlich steckt oft Kalkül dahinter.
Veröffentlicht am 21. September 2012 - 11:01 Uhr
Wer kennt das nicht: Der Drucker ist gerade ein Jahr in Betrieb, und plötzlich klemmt die Mechanik, der Geschirrspüler läuft noch keine zwei Jahre, und schon rastet der Türverschluss nicht mehr ein. Mancher Konsument hat sich schon geärgert über solche Mängel, die pünktlich gerade dann auftreten, wenn die Garantiefrist abgelaufen ist. Und manchem Konsumenten kommt der böse Verdacht, dass der Hersteller die Schwachstelle gezielt eingebaut hat. Kein Wunder, schiessen Verschwörungstheorien ins Kraut – meist zwar ohne stichhaltige Beweise. Doch Komponenten mit geringer Lebensdauer einzubauen hat für die Hersteller durchaus eine gewisse Logik.
In den vierziger Jahren arbeiteten Wissenschaftler des amerikanischen Chemiegiganten DuPont nachweislich daran, ein eigenes Produkt zu verschlechtern – weil es schlicht zu gut war. DuPonts Problem: Seine Chemiker hatten mit Nylon eine extrem robuste Faser entwickelt. DuPonts Nylonstrümpfe bekamen kaum noch Laufmaschen und hielten zu lange. Gut für die Damenwelt, ganz schlecht für den Umsatz. Also mussten die Chemiker tüfteln, wie sie die Faser, auf die sie doch so stolz waren, schlechter machen konnten. Sie veränderten tatsächlich die Rezeptur der Zusatzstoffe so, dass das UV-Licht der Sonne das Material leichter angriff und damit schneller Laufmaschen entstanden. Was DuPont damals betrieb, nennt man «geplante Obsoleszenz». Die Strategie zielt darauf ab, bewusst Schwachstellen in Produkte einzubauen oder extra minderwertige Rohstoffe und Bauteile zu verwenden. Die Produkte sollen zu gegebener Zeit – möglichst nach Ablauf der Garantiefrist – kaputtgehen oder zumindest nicht mehr vollumfänglich genutzt werden können.
«Ein Artikel, der nicht verschleisst, ist eine Tragödie fürs Geschäft.» Dieses offene und deutliche Statement stammt aus einem renommierten Werbemagazin von 1928. Getreu diesem Motto handelten etwa zur selben Zeit auch die Männer vom Phoebus-Kartell in Genf. Glühbirnenfabrikanten wie Osram, Philips und andere waren damals unglücklich damit, dass Glühbirnen 2500 Stunden lang brennen konnten. Also definierte das Kartell ein Ziel: Glühbirnen sollten maximal 1000 Stunden brennen. Auch hier wurde in den Labors lange experimentiert und die Lebensdauer der Glühbirnen kontinuierlich gesenkt – bis zu Beginn der vierziger Jahre die Standardlebensdauer von 1000 Stunden erreicht war. Das Kartell flog jedoch 1942 auf, und 1953 verbot ein Gerichtsbeschluss den Herstellern, die Lebensdauer von Glühlampen zu beschränken. Seltsam ist nur, dass Glühlampen bis heute eine Brenndauer von 1000 Stunden beibehalten haben.
Und auch heute gilt noch: Ein Produkt, das nicht kaputtgeht, ist der Alptraum des Kapitalismus, denn es widerspricht der Logik des steten Umsatzwachstums. So erstaunt es nicht, dass auch heute noch diverse Fälle von geplanter Obsoleszenz ans Tageslicht kommen. Dazu gehört etwa ein Drucker von Epson, bei dem in einem Chip die Anzahl der maximalen Druckvorgänge gespeichert war – wurde dieser Wert erreicht, streikte der Drucker ohne ersichtlichen Grund. Die Reparatur wäre jeweils derart teuer gewesen, dass ein Neukauf günstiger kam. Auch dies gehört zum Prinzip der «geplanten Obsoleszenz». Ein russischer Internetfreak entwickelte daraufhin eine einfache Software, die den Epson-Zähler auf null setzte – und die Drucker liefen wieder einwandfrei.
Ein jüngerer Fall betraf die ersten iPods von Apple, deren Akkus nach rund 18 Monaten den Geist aufgaben und nicht austauschbar waren. In den USA wurde daher 2003 eine Sammelklage eingereicht. Zu einem Urteil kam es nicht, da sich Apple mit den Klägern aussergerichtlich einigte und unter anderem einwilligte, einen Austauschservice für die Akkus einzurichten und die Garantiezeit auf zwei Jahre zu verlängern. Und heute? Apples Akkus, etwa in den 3GS-iPhones, haben zwar eine längere Lebensdauer, sind aber nach wie vor so verbaut und verleimt, dass Laien sie kaum ausbauen und ersetzen können. Im Gegensatz zu vielen Smartphones der Konkurrenz, bei denen der Akku mit zwei Handgriffen gewechselt ist.
«Geplante Obsoleszenz gibt es, und sie ist ein junges Phänomen», sagt Christian Kreiss, Professor an der Hochschule im deutschen Aalen, der sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat. In gesättigten Märkten sei die Verkürzung der Lebensdauer von Produkten eine der wenigen Möglichkeiten, den Umsatz wieder anzukurbeln, erklärt er. Seiner Einschätzung nach betreffe dies mehr als die Hälfte aller Produkte auf dem Markt. «Natürlich darf der Kunde das nicht merken», führt Kreiss aus. Deshalb werde die Lebensdauer meist langsam, aber stetig verkürzt. Erst kürzlich, erzählt er, sei in einem Fachblatt die folgende Frage thematisiert worden: Wie schnell darf eine Ware verfallen, ohne den Kunden zu enttäuschen? Etwas in Schutz nehmen möchte Christian Kreiss die Ingenieure aber doch: «Oft ist es schlicht der Termin- und Kostendruck, der dazu führt, dass billigste Teile verwendet werden oder Unausgereiftes auf den Markt kommt.» Das wäre dann also kein böswillig geplanter Defekt, aber immerhin einer, der bewusst in Kauf genommen wird.
Nicht an das Phänomen geplante Obsoleszenz glaubt hingegen Ingenieur Günter Grossmann von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). Der Aufwand, in ein Gerät einen geplanten Defekt einzubauen, wäre viel zu hoch, sagt er. Logisch sei hingegen, dass der «krankhaft hohe Preisdruck» zu Produkten mit geringerer Lebensdauer führe. «Früher produzierte man so gut wie möglich, heute so gut wie nötig.»
Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz, ist hingegen von geplanter Obsoleszenz als Masche der Industrie «völlig überzeugt». «Wir gehen davon aus, dass alle Elektronikgeräte auf eine bestimmte Zeitdauer ausgelegt sind und mindestens eine Sollbruchstelle eingebaut haben.» Sie wisse aus erster Hand von einem Stabmixer, bei dem bewusst eine Komponente installiert worden sei, die mit der Zeit verschleisse und zum Defekt führe.
Egal, ob Geräte durch einen geplanten Defekt oder wegen Billigproduktion früher als nötig kaputtgehen: Die Massenherstellung braucht enorme Ressourcen und produziert einen gigantischen Müllberg. «An grenzenloses Wachstum auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen glauben nur Verrückte und Ökonomen.» Dies sagt Serge Latouche, ehemaliger Professor für Ökonomie der Universität Paris, im Film «Kaufen für die Müllhalde». Der Dokumentarfilm thematisiert die geplante Obsoleszenz und die Folgen davon. So zeigt Filmemacherin Cosima Dannoritzer eindrücklich, wie Berge von Elektroschrott – obwohl an sich verboten – in die Dritte Welt abgeschoben werden. Dort landet der Müll auf illegalen Halden, wo von einer umweltgerechten Entsorgung keine Rede sein kann.
Gegen die Logik des masslosen Konsums und gegen die Wachstumsgesellschaft formiert sich Widerstand. Latouche etwa fordert seit längerem eine «Wachstumsrücknahme». Eine Gegenbewegung nennt sich Repair Revolution; sie verlangt das Recht auf Geräte, die geöffnet und repariert werden können, und stellt Reparaturanleitungen ins Netz (www.ifixit.com). Auf www.murks-nein-danke.de werden Fälle von verdächtig frühen Defekten gesammelt. Und Anbieter wie Manufactum oder Biber haben gemerkt, dass es einen Markt für Qualitätsprodukte gibt, die zwar teurer sind, dafür aber auch länger halten. Die Frage ist wahrscheinlich nicht: Können wir uns solche Qualitätsprodukte leisten? Sondern eher umgekehrt: Wie lange können wir uns die Billigware und die kurzlebigen Produkte noch leisten?
Weitere Infos
Buchtipp
Cosima Dannoritzer, Jürgen Reuss: «Kaufen für die Müllhalde. Das Prinzip der geplanten Obsoleszenz»; Orange Press, 224 Seiten, CHF 29.90 (erscheint im November 2012)
Film
«Kaufen für die Müllhalde»; Arte-Dokumentation von Cosima Dannoritzer (nicht auf DVD erhältlich, aber zu finden auf www.youtube.com)
Links
- www.ifixit.com (englischsprachige Internetseite)
- www.murks-nein-danke.de
- www.manufactum.ch
- www.biber.ch
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