Die Gefahr steckt noch immer in der Dose
Die EU verbietet das gesundheitsgefährdende Bisphenol A im Kontakt mit Lebensmitteln. Die Schweiz lässt sich Zeit.
Veröffentlicht am 3. Februar 2025 - 09:19 Uhr
Bisphenol A in Konservendosen: Es drohen Schäden bei Fruchtbarkeit, Hormon- und Immunsystem.
Auf Babyflaschen steht schon eine Weile «BPA free». Überall sonst ist Bisphenol A noch weit verbreitet – zumindest in der Schweiz bleibt es das noch eine Weile, wie eine Nachfrage des Beobachters zeigt.
BPA ist die Abkürzung für Bisphenol A, eine Chemikalie aus der Gruppe der Bisphenole. Sie wird für die Herstellung von Kunststoffen wie Polycarbonat verwendet und kommt oft in Wasserspendern, Mehrweg-Getränkeflaschen und Lebensmittelbehältern vor. BPA ist auch in Epoxidharzen drin, mit denen Trinkwasserleitungen ausgekleidet werden. Und in Beschichtungen von Konserven- und Getränkedosen.
Bisphenole gehen in Lebensmittel über
Bisphenole können sich aus dem Material lösen und in die Lebensmittel übergehen. Und das ist ein Problem, denn die Chemikalien stellen wegen ihrer hormonähnlichen Wirkung ein Gesundheitsrisiko dar. Schon in kleinsten Mengen richten sie Schaden an. Zum Beispiel können sie die Fruchtbarkeit beeinträchtigen und das Hormonsystem sowie das Immunsystem schädigen. Sie können Allergien auslösen, zu Diabetes, Adipositas und vielen anderen Problemen führen.
Die Europäische Umweltagentur EEA zeigte 2023 mit einer Untersuchung, dass praktisch die gesamte europäische Bevölkerung einer BPA-Belastung über dem gesundheitlich unbedenklichen Mass ausgesetzt ist.
Neuer Bisphenol-Grenzwert 20’000-mal tiefer
Einzelne Verbote für BPA wie etwa für die Anwendung in Babyflaschen und Thermopapier gelten schon seit ein paar Jahren, auch in der Schweiz. Nachdem sich in den letzten zwei Jahrzehnten Hunderte von Studien mit den Gefahren von BPA befasst haben, hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit 2023 eine neue Risikobewertung gemacht und den Grenzwert stark gesenkt: Der neue ist 20’000-mal niedriger als sein Vorgänger von 2015.
Angesichts dessen hat die EU jetzt Bisphenol A in allen Lebensmittelkontaktmaterialien verboten, weil Menschen dem Stoff hauptsächlich über Speisen und Getränke ausgesetzt sind. Das Verbot gilt seit Anfang 2025, mit einer Übergangsfrist von 18 Monaten.
«Das ist ein Meilenstein für den Konsumentenschutz», findet Jane Muncke, Umwelttoxikologin und Leiterin des Food Packaging Forums in Zürich. Jahrelang sei das Thema hart umkämpft gewesen. Die chemische Industrie habe lange versucht zu beweisen, dass die Substanz unbedenklich sei.
«Das ist ein Meilenstein für den Konsumentenschutz.»
Jane Muncke, Umwelttoxikologin und Leiterin des Food Packaging Forums in Zürich
«Heute besteht kein Zweifel mehr, dass BPA hormonaktiv ist. Und die Dosis macht hier nicht das Gift, im Gegenteil. Kleinste Mengen sind möglicherweise sogar gefährlicher, als wenn man hohen Dosen ausgesetzt ist – weil sie andere Wirkungen im Körper haben, wenn sie bei kleiner Dosis mit dem Hormonsystem interagieren. Das ist intuitiv nicht einfach verständlich, aber ein etabliertes Prinzip der Endokrinologie», sagt Muncke.
Veraltete Vorstellungen bei der Giftigkeit
Das widerspreche den veralteten Vorstellungen der Toxikologie, wegen derer auch die Behörden lange von der wissenschaftlich falschen Annahme ausgegangen seien, dass eine geringe Exposition mit BPA unbedenklich sei. «Das ist ein fundamentales Problem bei der Risikoeinschätzung von Chemikalien. Man testet nämlich häufig mit einer unrealistisch hohen Konzentration und ignoriert dabei die sehr komplexe Funktionsweise des Hormonsystems sowie die tatsächliche Belastung des Menschen, die im Niedrigdosisbereich liegt.»
Bisphenol A: Fahrplan für ein Schweizer Verbot noch unklar
Auch Schweizer Behörden behaupteten bis vor kurzem, dass kleine Mengen Bisphenol A unbedenklich seien, wie etwa das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in einer Mitteilung im Jahr 2015. Auf Nachfrage des Beobachters heisst es, diese Einschätzung habe auf den damals vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht.
Man nehme jedoch die Neubewertung der EU-Behörden sehr ernst und überprüfe derzeit, ob und wie diese in die schweizerischen Vorgaben einfliessen müsste und ob man die neue EU-Regelung übernehme.
Die Gefahr ist hierzulande aber noch eine Weile nicht aus der Dose verbannt: Der Fahrplan für ein Schweizer Verbot des Hormongifts ist nämlich noch unklar, zeigt die Nachfrage beim BLV. Man habe noch nicht bestimmt, ob eine Vernehmlassung stattfinde. Je nach gewähltem rechtlichen Verfahren sei mit unterschiedlichen Fristen bis zur Umsetzung zu rechnen. Deshalb könne man keinen Zeithorizont nennen.
«Das Problem ist lösbar»
Würde ein Verbot überhaupt eine Verbesserung für die schon breit mit BPA belastete Bevölkerung bringen? Ja, sagt Expertin Jane Muncke. Bisphenol A werde – im Gegensatz zu den extrem stabilen Ewigkeitschemikalien PFAS – wieder aus dem Körper ausgeschieden. Die Belastung sei heute nur so hoch, weil wir den Stoffen ständig ausgesetzt seien. Das Problem sei also durchaus lösbar.
Für Muncke hat das EU-Verbot von BPA allerdings einen bitteren Nachgeschmack: Man habe nur Bisphenol A und ein paar häufig eingesetzte und ebenso problematische Ersatzstoffe aus der Gruppe der Bisphenole (Bisphenol S und F) verboten, aber nicht die gesamte Chemikaliengruppe. «Damit wird den Leuten leider eine falsche Sicherheit vorgegaukelt. Die Industrie kann weiterhin andere Bisphenole einsetzen – auch solche, deren Toxizität nicht vollständig untersucht ist, wo aber negative Effekte zu vermuten sind aufgrund der chemischen Ähnlichkeit mit BPA.»
- Meiden Sie Konserven- und Getränkedosen. Kaufen Sie die entsprechenden Produkte lieber in Gläsern oder frisch.
- Achten Sie darauf, in Kontakt mit Lebensmitteln keine Polycarbonat-Gefässe zu verwenden. Das gilt zum Beispiel für Wasserkocher, Trinkflaschen und diverse Kunststoffbehälter.
- Das grösste Risiko besteht dort, wo Lebensmittel erhitzt oder heiss abgefüllt werden. Denn die Wärme begünstigt den Übergang von BPA (und anderen Chemikalien) aus dem Plastik in die Lebensmittel. Keramik, Edelstahl oder Glas sind sicherere Alternativen.
- Ältere Plastikbehälter und solche mit deutlichen Gebrauchsspuren entsorgen: Wenn das Material spröde ist, können daraus mehr Chemikalien entweichen.
- Leitungswasser kurz laufen lassen, bis es kalt ist. Falls es in den Leitungen Epoxidharz hat, geht es eher in warmes Wasser über, in kaltes dagegen kaum. Um kein Wasser zu verschwenden, kann man es zum Blumengiessen oder Putzen auffangen.
- Risikobewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa): Bisphenol A in Lebensmitteln stellt ein Gesundheitsrisiko dar
- Human-Biomonitoring der Europäischen Umweltagentur (EEA): Die Exposition der Bevölkerung gegenüber dem weit verbreiteten Bisphenol A übersteigt den gesundheitlich unbedenklichen Grenzwert
- Medienmitteilung des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) von 2015: Bisphenol A: Kein Risiko für Konsumentinnen und Konsumenten
- EU-Verordnung vom 19. Dezember 2024: 2024/3190
- «Öko-Test»: Bisphenol A: Tipps, wie man die Aufnahme im Alltag verringern kann