Die Schweizer Milchbauern spritzen Kühen rekordmässig Kuhmilch Schweizer Bauern spritzen rekordmässig Antibiotika Antibiotika. Warum soll mich das als Mensch beunruhigen?
Andreas Widmer:
Je mehr Antibiotika man einer Kuh spritzt, desto grösser ist die Gefahr, dass Bakterien der Kuh resistent werden. Diese resistenten Bakterien können dann auf den Menschen gelangen.

Wie geschieht das?
Es gibt verschiedene Wege. Rohmilch kann solche Bakterien enthalten. Oder auch rohes Fleisch, vor allem bei Hühnern. Weiter gelangt der Dung der Tiere in Bäche und Seen und von dort können Bakterien den Weg ins Trinkwasser schaffen. Am häufigsten aber geschieht die Übertragung auf den Menschen über den Kontakt: wenn Bauern, Veterinäre oder Schlachthofmitarbeiter mit den Tieren in Berührung kommen.

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Wer resistente Tiere berührt, wird Antibiotika-resistent?
Nicht automatisch. Und auch nicht sofort. Aber wenn viele Tiere mit resistenten Krankheitserregern befallen sind, steigt die Wahrscheinlichkeit stark an, dass Leute, die über längere Zeit mit Tieren in Berührung kommen, von solchen Keimen befallen werden. Von diesen Leuten gelangen die Keime auf andere Menschen, auf Familienmitglieder, oder – wenn etwa ein Bauer ins Spital muss – auf Mitpatienten, deren Abwehr häufig geschwächt EHEC-Bakterien Gefahr im Darm ist.
 

«Im schlimmsten Fall wird eine Behandlung unmöglich.»
 

Führen Bakterien, die Tiere krank machen, auch bei Menschen zu Infektionen?
Oft nicht, es ist aber möglich. Die Krankheitskeime können sich an den Menschen adaptieren. Das heisst, der Krankheitserreger hat zwar lieber Tiere, in 10 Prozent der Fälle führt er aber auch bei Menschen zu einer Infektion. Auch kann es zu Gen-Transfers kommen.

Wie geht das vor sich?
Bakterien tausche ihr Gen-Material Antibiotika Dem Resistenz-Gen auf der Spur aus, wenn sie in Bedrängnis geraten. Greift ein Antibiotikum sie an, holen sie sich von anderen Bakterien Hilfe.

Für den Menschen ungefährliche Bakterien können also andere, für den Menschen gefährliche Bakterien, resistent gegen Antibiotika machen?
Ja.

Was für Folgen hat eine Antibiotika-Resistenz bei Menschen?
Infektionen zu behandeln wird schwieriger, langwieriger oder im schlimmsten Fall sogar unmöglich. Das heisst: Leute sterben wieder an Krankheiten wie Tuberkulose. Das Antibiotikum, das sie bisher in kurzer Zeit geheilt hat, wirkt nicht mehr Bakterien Wenn Antibiotika nicht mehr wirken .
 

«In Indien droht eine Katastrophe.»
 

Wie viele Menschen sind in der Schweiz Antibiotika-resistent?
Zum Glück erst ganz wenige, und die sind gegen gewisse Antibiotika resistent. Meist kann man ihre Infektionen, zum Beispiel eine Blasenentzündung, mit einem anderen Antibiotikum behandeln. In anderen Ländern ist es bedeutend schlimmer. In Indien etwa sind derart viele Menschen resistent, dass die Resistenz kaum mehr einzudämmen ist. Dort droht eine Katastrophe Killer-Keime Das Ende der modernen Medizin? . Aber auch in Europa gab es bereits Tote wegen Antibiotika-Resistenzen, etwa in Italien oder Griechenland.

Welche Rolle spielt dabei die Tierindustrie?
Der Hauptgrund für Antibiotika-Resistenz bei Menschen ist, dass sie selbst zu viel und zu breitflächig Antibiotika konsumieren. Im Vergleich dazu ist der Einfluss durch bakterielle Übertragung von Tieren noch gering.

Besteht die Gefahr, dass in Indien infizierte Menschen die Resistenz-Bakterien in die Schweiz einschleppen?
Natürlich. Letzthin hatten wir einen Patienten, der hatte sich das Bein in Sri Lanka bei einem Unfall mit einem Tuktuk verletzt. Er war mit fünf verschiedenen Arten von resistenten Bakterien befallen. Es ist wichtig, dass man solche Fälle schnell erkennt, registriert und verhindert, dass sie andere Patienten anstecken.

Wie konkret?
Indem man sie von anderen Patienten absondert und das Personal sich besonders gut schützt.

Wie kann man generell die Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen verhindern?
Leider gibt es kein Universalrezept. Ein Bündel von Massnahmen ist nötig: Information der Bevölkerung, Schaffung von Referenzzentren für solche Resistenzen, eine schweizweit standardisierte Ausbildung der Fachpersonen, klare Richtlinien für die Antibiotikatherapie, eine rasche Diagnostik. Vieles machen wir hierzulande bereits.


«Je später man einen Resistenz-Herd entdeckt, desto teurer wird es.»
 

Macht die Schweiz genügend?
Nein, zumindest nicht in allen Bereichen. Gut ist, dass in der Schweiz an Menschen vergleichsweise wenig Antibiotika verabreicht wird und gezielt. Da sind wir fast Spitze. In der Veterinärmedizin hingegen sind uns andere Länder wie Holland oder Dänemark weit voraus, dort wird viel weniger Antibiotika eingesetzt.

Braucht es strengere Auflagen für die Veterinäre und die Schweizer Landwirte?
Ja. Wichtig sind aber auch bessere Kontrollen, welche Tiere bereits mit welchen resistenten Keimen befallen sind. Das kostet aber viel Geld.

Ist die Resistenz-Bekämpfung eine Geld-Frage?
Auch. Nicht nur in der Landwirtschaft, genauso in den Spitälern. Ein Scanning, ob jemand ein Resistenz-Bakterium in sich trägt, kostet schnell einmal 150 Franken. Die Krankenkassen zahlen das aber nicht, da es nicht zur Fallpauschale gehört. Die Spitäler, die unter hohem ökonomischem Druck stehen, bleiben auf den Kosten sitzen.

Was sind die Folgen?
Mittelfristig steigen die Kosten an. Patienten zu scannen, sie gegebenenfalls zu isolieren, sie gesondert zu behandeln, das alles ist teuer. Aber je später man einen Resistenz-Herd entdeckt, je mehr Leute betroffen sind, desto teurer wird es. Noch haben wir in der Schweiz alles im Griff. Aber wenn wir nichts tun, könnte sich eine Lawine entwickeln, die wir nicht mehr stoppen können.

Zur Person

Andreas Widmer

Andreas Widmer ist Professor für Infektiologie und Spitalhygiene am Universitätsspital Basel sowie Mitglied der Weltgesundheitsorganisation WHO. Zudem präsidiert er das schweizerische Zentrum für Infektprävention Swissnoso, das die Behörden im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen berät.

Quelle: ZVG
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