Reisegutschein statt Geld zurück?
Reiseveranstalter müssen Buchungen annullieren und bieten den Kunden nur Gutscheine an. Das ist eigentlich nicht zulässig. Doch auch die prekäre Lage der Reisebranche spielt eine Rolle.
Veröffentlicht am 6. April 2020 - 16:42 Uhr,
aktualisiert am 1. Oktober 2020 - 10:09 Uhr
Grenzen zu, Flugzeuge am Boden, Schiffe im Hafen: Die Coronakrise lässt Reiseträume platzen und setzt Veranstalter unter Druck. Zahlreiche Veranstalter sind dazu gezwungen, Reisen zu annullieren. Das Pauschalreisegesetz schreibt vor, dass Kundinnen und Kunden in diesen Fällen zwischen einer Ersatzreise oder der Rückerstattung sämtlicher bezahlten Beträge wählen können.
Die Veranstalter haben bereits Zahlungen an Leistungserbringer wie zum Beispiel Reedereien oder Hotels geleistet, die sie allenfalls nicht zurückerhalten, und müssen auf Wunsch des Kunden gleichzeitig den gesamten Reisepreis erstatten. Hinzu kommt, dass sie dadurch mehr Arbeitsaufwand haben und aufgrund der Unsicherheit über die Dauer der Coronakrise neue Buchungen ausbleiben.
Die Kunden auf der anderen Seite haben oftmals viel Geld für die gebuchten Reisen bezahlt und können keine Ersatzreise planen. So wissen zum Beispiel ältere Personen nicht, ob sie im nächsten Jahr fit genug sind. Oder Personen, die ihre Arbeitsstelle verloren haben, können nicht abschätzen, ob sie sich eine Ersatzreise noch leisten können.
Kunden melden dem Beratungszentrum des Beobachters, dass verschiedene Veranstalter dem Problem folgendermassen begegnen: Sie bieten ihren Reisekunden ausschliesslich Gutscheine an oder bloss eine teilweise Rückerstattung in bar. Das widerspricht den zwingenden Bestimmungen des Pauschalreisegesetzes. Dies bestätigt auf Anfrage Rechtsanwalt und Reiserechtsexperte Andreas Wiede.
Walter Kunz, Geschäftsführer des Schweizer Reise-Verbands (SRV) argumentiert aus Branchensicht: «Aussergewöhnliche Situationen benötigen aussergewöhnliche Massnahmen. In Ländern wie Italien, Holland oder Frankreich wurde entschieden, dass die Reisebüros die Rückzahlung in Form von Gutscheinen leisten dürfen.» Diese Lösung würde auch der SRV begrüssen. Zudem fordert der Verband eine Staatsgarantie für die Gutscheine.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco liess die Reisebranche aber Anfang April beim Thema staatlich abgesicherte Gutscheine abblitzen: Dafür fehlt ein Parlamentsbeschluss oder eine entsprechende Notverordnung. Dieses Ergebnis hat zur Folge, dass die Gutscheine über keinerlei Absicherung verfügen. Denn auch die Garantiefonds, die die Kundengelder im Konkursfall sicherstellen, decken Gutscheine nicht ab. Wenn der Veranstalter Konkurs geht, ist das Gutscheingeld also verloren.
Walter Kunz beobachtet dennoch, dass viele Kunden einen Gutschein annehmen, wenn das Reisebüro seine schwierige Situation offen kommuniziere. Wenn ein Gutschein oder eine kostenlose Umbuchung für den Kunden akzeptabel ist, dann hilft es also beiden Seiten, eine dieser Varianten anzunehmen.
Um das Verlustrisiko bei einem Gutschein im Konkursfall zu minimieren, sollte man aber möglichst rasch neu buchen und den Gutschein einsetzen. Wenn diese Lösungen aber aus irgendwelchen Gründen nicht annehmbar sind, können die Kunden weiterhin gestützt auf das Pauschalreisegesetz auf eine vollständige Rückerstattung in bar bestehen. Das braucht im Moment Geduld, denn das Parlament hat den Reiseveranstaltern einen Rechtsstillstand im Betreibungswesen bis Ende Jahr gewährt. Für die Forderungen der Kunden dürfen bis dahin keine Zahlungsbefehle aus- und zugestellt werden.
Beobachter löst den Fall: Geld zurück bei Hotelschliessung
Den Bauch auf Rhodos in die Sonne strecken – davon träumte Familie Haager* im Januar. Sie buchte einen Flug und ein besonders schönes Hotel bei einem Schweizer Reisebüro – für rund 5000 Franken. Als die Pandemie ausbrach, las Frank Haager auf der Website einen Hinweis, dass das Hotel die ganze Saison nicht öffnen werde. «Können wir vom Vertrag zurücktreten, und bekommen wir das Geld erstattet?», fragte er beim Beobachter-Beratungszentrum.
Wenn ein spezifisch gebuchtes Hotel nicht öffnet, ist das eine wesentliche Änderung der Pauschalreise. Kundinnen und Kunden können wählen, ob sie ein anderes Hotel oder das Geld zurückerhalten wollen. Anders wäre die Rechtslage, wenn Haagers ein beliebiges Strandhotel aus dem Katalog gewählt hätten.
Das Reisebüro versuchte, die Familie vom Rücktritt abzuhalten: Er sei gemäss den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ausgeschlossen. Beim Beobachter-Beratungszentrum verstand man zwar die Not des Reisebüros, riet Haagers aber, hart zu bleiben. Denn selbst wenn in den AGB ein entsprechender Passus stünde, wäre er ungültig – das Wahlrecht der Kunden ist gemäss Pauschalreisegesetz zwingend. So gab das Reisebüro nach und erstattete Haagers das gesamte Reisegeld.
*Name geändert
Autorin: Nicole Müller
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Wer über ein Reisebüro mindestens zwei Leistungen bucht, zum Beispiel Flug und Hotel, schliesst einen Vertrag als Pauschalreise ab. Das heisst, dass der Reiseveranstalter bei Problemen der Ansprechpartner ist. Beobachter-Mitglieder erfahren, wie ihre Rechte aussehen, wenn etwas Unvorhergesehenes den Reiseplan plötzlich durcheinanderwirbelt, sei es durch einen Sturm am Urlaubsort oder weil der Veranstalter selber Änderungen durchführt.