Soll ich zum Brustkrebs-Screening?
Programme zur Früherkennung von Brustkrebs sind umstritten. Denn die Fehlerquote ist hoch. Also lieber auf die Vorsorgeuntersuchungen verzichten?
Sattes Pink überzieht seit 2007 jährlich Anfang September die Zürcher Letzigrund-Wiese, als wäre ein Monster-Kaugummi geplatzt. Kinder, Frauen und ein paar Männer in rosa Shirts treten den Charity Walk von Pink Ribbon an. 5000 Leute formieren sich zu einer rosa Schleife. Sie solidarisieren sich mit Brustkrebsbetroffenen und machen sich für die Früherkennung stark. Dazu gibt es Zumba und Showeinlagen – und nach dem Lauf pinkfarbene Gratisprodukte an den Beauty-Ständen.
Mich nervt Pink Ribbon. Zu viel Kleinmädchenrosa, Kommerz und Show, zu wenig neutrale Information. Trotzdem geht mich die Aktion etwas an: Ich bin 56, die Früherkennung von Brustkrebs ist in meiner Altersgruppe vermehrt Thema. Mit Einsetzen der Wechseljahre schlägt Brustkrebs viel öfter zu. Vier von fünf Betroffenen sind über 50. Als wichtigste Methode, um ein Karzinom frühzeitig zu erkennen, gilt die Mammografie – die Röntgenuntersuchung der Brust.
«Die Mammografie ist immer noch die beste Untersuchung, um einen krankhaften Befund abzuklären», sagt die Zürcher Gynäkologin Brida von Castelberg, Ex-Chefärztin der Frauenklinik des Zürcher Triemlispitals. Auch Frauen mit familiär erhöhtem Risiko oder Frauen, die gegen Menopause-Beschwerden Hormone nehmen, rät von Castelberg zur vorsorglichen Mammografie. Dieses freie Screening, bei dem sich gesunde Patientinnen auf eigenen Wunsch an einen Radiologen überweisen lassen, hat sich in der Schweiz weitgehend durchgesetzt.
Kritisch hingegen sieht die pensionierte Fachärztin das sogenannte Mammografie-Screening – die Praxis also, allen Frauen ab einem bestimmten Alter routinemässig die Brüste zu röntgen. Diese nach internationalem Vorbild organisierten Früherkennungsprogramme haben sich parallel zum freien Screening in den einigen Kantonen etabliert. Dabei werden Frauen zwischen 50 und 70 alle zwei Jahre zur Mammografie eingeladen.
Anfang 2014 kamen die Programme durch einen Bericht des Swiss Medical Board (SMB) mächtig unter Beschuss. Das interdisziplinäre Gremium, das unter anderem von der Ärztegesellschaft FMH und der Gesundheitsdirektorenkoferenz der Kantone getragen wird, stellte sich gegen die systematische Früherkennung und riet, bestehende Programme zu befristen. Es berief sich dabei auf «unerwünschte Wirkungen» des Screenings wie Überdiagnosen und falsch-positive Befunde.
Denn manchmal werden sogenannte Vorstufen diagnostiziert , die nicht krankhaft sind, aber trotzdem als Krebs behandelt werden. Pro 1000 gescreenten Frauen könnten nur ein bis zwei Todesfälle durch Brustkrebs verhindert werden. Diesem Nutzen stünden 100 Fehlbefunde gegenüber, die zu unnötigen Bangen, Abklärungen und Behandlungen führten.
Für mich eine schreckliche Vorstellung: mich wegen eines Befunds unters Messer zu legen, vielleicht gar die ganze Brust zu verlieren wegen Tumorzellen, die bei drei Vierteln der Betroffenen entweder von selbst wieder verschwinden oder ein Leben lang bedeutungslos bleiben. Die Kehrseite sind die 25 Prozent, bei denen aus den Vorstufen später Krebs entsteht.
Daneben gibt es Fehlalarme, die sich erst bei weiteren Abklärungen – meist Gewebeentnahmen – als solche herausstellen (siehe Grafik unten «Brustkrebs-Screening»). Laut SMB bereitet das den Betroffenen grossen Stress.
Brustkrebs-Screening
Seither führen Experten einen Glaubenskrieg um das Brust-Screening. Fast vergessen gehen dabei diejenigen, die es am meisten betrifft: die Frauen. Im Kanton Solothurn, wo ich wohne, wurde das Programm nach Erscheinen des SMB-Berichts sistiert.
Was nun? Da es in meiner Familie keine Brustkrebsfälle gibt und ich keine Hormone nehme, habe ich die Vorsorge bisher meiner Frauenärztin überlassen. Sie untersucht die Brust beim jährlichen gynäkologischen Check jeweils klinisch, das heisst: von Hand. Sollte ich besser doch zur Mammografie gehen?
«Überzeugen Sie die Regierung Ihres Kantons, ein Screening-Programm einzuführen.»
Beat Thürlimann, Chefarzt Brustzentrum St. Gallen
Ich beschliesse zu recherchieren. Als Erstes wende ich mich an Beat Thürlimann, Leiter des Brustzentrums am Kantonsspital St. Gallen. Der Onkologe ist vehementer Verfechter der organisierten Mammografie. Das zeigt sich bei unserem Gespräch: «Überzeugen Sie die Regierung Ihres Kantons, ein Screening-Programm einzuführen», sagt er. Nur ein Programm nütze den Frauen auf lange Sicht – nicht aber eine einzelne Mammografie.
Thürlimann sagt, was er auf jedem Podium, in jedem Interview mantraartig betont: Nur ein Programm stelle die nötige Qualität sicher, weil dort jedes Mammogramm nach dem Vier-Augen-Prinzip gelesen werde; die Arbeit der Radiologen unterliege einer strengen externen Kontrolle; ein Mammogramm koste rund dreimal weniger als nach dem Ärztetarif. Und: «Screening-Programme senken erwiesenermassen das Risiko, an Brustkrebs zu sterben.» Nach Abwägen aller Aspekte bleibe den Frauen ein Nutzen.
Zu Überdiagnosen und falsch-positiven Befunden sagt Thürlimann wenig. Ein guter Radiologe schaue genau hin, meint er nur, das ergebe halt einen gewissen «Kollateralschaden».
Also frage ich Bettina Borisch an der Uni in Genf. Die Professorin für Global Health hat 2003 das Schweizer Brustkrebsforum Europa Donna gegründet. 2011 lotste sie in einer aufsehenerregenden Aktion 100 Brustkrebsbetroffene auf einen Viertausender bei Zermatt.
«Männer, die Frauen erklären, wie sie sich zu fühlen haben – das ist paternalistisch.»
Bettina Borisch, Universität Genf
Auch Borisch ist für Screening-Programme. Das freie Screening hält sie für kommerziell getrieben, den angeblichen psychischen Stress nach Risikobefunden für überbewertet. «Da sind viele paternalistische Projektionen im Spiel – Männer, die Frauen erklären, wie sie sich zu fühlen haben», sagt sie.
Klar löse ein Befund Angst aus, auch wenn er sich später als harmlos herausstelle. Aber: «Die meisten betroffenen Frauen halten solche Situationen aus.» Sie seien ja nicht unerfahrene Teenager, sondern Frauen, «die mit ihrem Körper seit der ersten Regelblutung vertraut sind, die Schwangerschaften durchgemacht, Kinder geboren und später die Turbulenzen der Wechseljahre überstanden haben». Solche Frauen wollten «es» wissen, auch wenn es schwierig wird.
Während ich der zierlichen Professorin mit der toughen Haltung zuhöre, wird mir bewusst: Mit diesen Aussagen bin auch ich angesprochen. Aber wie würde ich auf ein positives Mammogramm reagieren? Würde ich kühlen Kopf bewahren? Oder würde ich in einem Strudel von Furcht versinken, unfähig, den nächsten Schritt zu tun? Oder würde ich gar von Anfang an den Kopf in den Sand stecken?
Hier haken die neuen Kommunikationsstrategien des organisierten Screenings ein. Nikola Biller-Andorno, Direktorin am Institut für biomedizinische Ethik an der Uni Zürich, die 2014 Jahren den SMB-Bericht mitverfasst hat, stellt bei den Programmverantwortlichen ein Umdenken fest: «Sie sind nicht mehr bestrebt, die Frauen um jeden Preis von den Vorteilen der Früherkennung zu überzeugen und sie in die Programme zu drängen.»
Die Einsicht gewinne an Boden, dass man die Frauen nüchtern über alle Vor- und Nachteile des Mammografie-Screenings informieren müsse. Beispielhaft seien die neue Broschüre der Krebsliga (siehe Infobox unten «Entscheidungshilfe für das Brust-Screening») oder die animierten Informationen auf der Helsana-Website. «So kann jede Frau einen wohlüberlegten, freien Entscheid treffen – für oder gegen das Screening», sagt Biller-Andorno.
Frauen können auch selbst etwas tun: Bei meinen Recherchen stosse ich auf die App «Brust-Selbstcheck», die zur Selbstuntersuchung der Brust anleitet. Entwickelt wurde sie auf private Initiative von Brida von Castelberg, Stephanie von Orelli und Elisabeth Garzoli von der Frauenklinik des Triemlispitals. «Wir wollen damit nicht das Screening konkurrenzieren, sondern die Wahrnehmung der Frauen stärken, ein Anfreunden mit der eigenen Brust provozieren», sagt die Chefärztin der Zürcher Triemli-Frauenklinik, Stephanie von Orelli. Denn die meisten Frauen entdecken ihren Brustkrebs selbst.
Ich stelle mich unter die Dusche und folge den Instruktionen der App: Ich streiche über die Brüste, suche nach Verhärtungen oder Knoten. Um Veränderungen in der Tiefe besser zu ertasten, folge ich mit leicht trommelnden Fingern den Brustdrüsen, von aussen nach innen. Die Bewegungen sind mir seit Jahrzehnten vertraut. Wie meine Brüste, die drei Kinder gestillt haben. Alles scheint gut.
Jede Frau soll selber entscheiden, ob sie an einem Brust-Screening-Programm teilnehmen will oder nicht. Zu dieser Erkenntnis gelangt die Forschung immer mehr. Doch eine solche Entscheidung ist gar nicht so einfach. Im Folgenden eine Checkliste, wie sie die Krebsliga seit 2017 zur Verfügung stellt.
Nein, ich will nicht am Brustkrebs-Screening teilnehmen, weil
- ich symptomfrei bin und mich erst dann mit einer eventuellen Brustkrebsdiagnose auseinandersetzen will, wenn ich Beschwerden habe. Dabei ist mir bewusst, dass dann das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, höher ist.
- ich es nur schwer ertragen würde, mit einer eventuellen Brustkrebsdiagnose konfrontiert zu sein, falls ich einen abklärungswürdigen Befund erhalte.
- ich keine unnötigen Belastungen ertragen könnte und möchte, falls im Screening ein Brustkrebs diagnostiziert wird, der in meinem weiteren Leben eventuell gar keine Symptome hervorrufen würde (Überdiagnose).
- ich bereit bin, zu akzeptieren, dass ohne Mammogramm ein Brustkrebs erst spät entdeckt wird und eventuell weniger erfolgreich behandelt werden kann.
Ja, ich will am Brustkrebs-Screening teilnehmen, weil
- ich wissen will, ob ich Brustkrebs habe, auch wenn noch keine Symptome aufgetreten sind.
- ich gut mit der Belastung weiterer Abklärungen und eventuell sogar einer Biopsie umgehen kann, falls der Befund meines Mammogramms auffällig ist.
- ich bereit bin, die psychische Belastung aufgrund einer Brustkrebsdiagnose und die belastenden Wirkungen einer Krebstherapie auf mich zu nehmen in der Hoffnung, länger zu leben.
- ich bereit bin, zu akzeptieren, dass ich eine Brustkrebsdiagnose erhalte, auch wenn der Brustkrebs bei mir zu Lebzeiten ohne Screening gar nie aufgefallen wäre.
Bei der Mammografie wird die Brust mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. So werden auch kleinste Tumoren sichtbar, noch bevor der Frauenarzt sie mit der Hand ertasten kann. Zwölf Kantone setzen die Mammografie systematisch zur Früherkennung von Brustkrebs ein (Basel-Stadt, Bern, Freiburg, Genf, Graubünden, Jura (inkl. Berner Jura), Neuenburg, St. Gallen, Tessin, Thurgau, Waadt und Wallis). Dazu wird jede Frau zwischen 50 und 70 alle zwei Jahre zur freiwilligen Untersuchung eingeladen – Screenings nennt man solche Brust-Checks im grossen Stil.
Die Kosten werden von der Krankenkasse übernommen, wenn die Früherkennungs-Mammographie im Rahmen eines Programms oder bei einem erhöhten familiären Brustkrebsrisiko ist.
3 Kommentare
Brust selber auf Knoten abtasten ist ein Märchen. Selbst die Frauenärztin hat beim Abtasten bei meiner Frau nichts gefunden. Sie bestand dann auf eine Mammographie und man erblickte im Triemli Spital einen kleinen Knollen. Nächste Untersuchung, reinstechen und eine Probe vom Knöllchen wurde unabhängig in 2 verschiedene Labors untersucht. Es war bösartiger Krebs. Dann OP, danach 25 Bestrahlungen. Zum Glück keine Chemo.
Auch bei meiner Mutter wurde seinerzeit, leider etwas zu spät, als sie etwa 70 war Dank der Vorsorgeuntersuchung Brustkrebs festgestellt. Eine Brust wurde dann komplett weg operiert. Dank Vorsorgeuntersuchung, Mammographie, wurde auch bei meiner Frau Brustkrebs festgestellt. Glücklicherweise im Frühstadium, so konnte der kleine böse Knollen herausoperiert werden.