Absolution für den Cappuccino
Wer in Italien nachmittags Cappuccino trinkt, erntet bisher böse Blicke. Jetzt stellt die älteste Barista Italiens neue Regeln auf.
Veröffentlicht am 25. April 2025 - 17:59 Uhr
«Ich habe auch Stammgäste, die nach zwölf noch gern einen Cappuccino trinken. Und die bekommen ihn auch, egal, wie spät es ist»: Anna Passi, Italiens älteste Barista, in ihrem Café «Bar Centrale».
«Die Frage, ob ein Cappuccino auch noch nach der Mittagsstunde getrunken werden darf, gehört in der Kaffeewelt zu den grossen Streitfragen.»
«Tages-Anzeiger», 10. März 2025
Flat White mit Hafermilch, kreative Latte Art im Kartonbecher – fast täglich öffnet in der urbanen Schweiz ein neues Parterrefenster, um Kaffee für ein kleines Vermögen zu verkaufen. Von früh bis spät stehen Leute Schlange für die heissen Kalorienbomben.
In Italien – der Geburtsstätte des populären Heissgetränks – gilt das als Sakrileg, denn da wird nachmittags nur noch Espresso getrunken. Wer sich nicht an das heilige Gebot hält, erntete bisher böse Blicke.
«Wer bin ich, dass ich meinen Gästen vorschreiben muss, wann sie welchen Kaffee zu trinken haben?»
Anna Possi, die älteste Barista Italiens
Aber Rettung naht: Die 100-jährige Anna Possi, die seit 1958 oberhalb des Lago Maggiore eine Cafébar betreibt, hat gegen einen nachmittäglichen Cappuccino nichts einzuwenden.
«Wer bin ich, dass ich meinen Gästen vorschreiben muss, wann sie welchen Kaffee zu trinken haben?», erteilt Possi der Deutschen Presse-Agentur ihr urbi et orbi. «Ich habe auch Stammgäste, die nach zwölf noch gern einen Cappuccino trinken. Und die bekommen ihn auch, egal, wie spät es ist.»
Die Kasteiung durch bittere Espressi endet – Anna Possi hat gesprochen, und alle Dämme brechen. Heute Abend servieren wir zu verkochten, ungesalzenen Nudeln – der Begriff Spaghetti ist gestorben – Ketchup und einen «Cappuchino» aus dem Vollautomaten.
Die Teigwaren werden mit Gabel und Löffel gegessen oder in mundgerechte Stücke geschnitten. Lang lebe die Pizza Hawaii! Dazu «Mini Chuchi, dini Chuchi» schauen oder was das Schweizer Fernsehen sonst halt so sendet um sechs.
Die Kaffeepäpstin hat gesprochen
Oder sind wir da einer gewieften 100-Jährigen auf den Leim gegangen? Kaffeebar-Besitzerin Possi hat Blutdruckprobleme und trinkt seit den Siebzigerjahren gar keinen Kaffee mehr. Kein Wunder also, erlaubt sie, Kaffee zu trinken. Ganz egal, wie und wann.
Nur in Kombination mit einem Orangensaft oder unmittelbar nach dem Mittagessen – da kennt die Kaffeepäpstin keine Gnade: Da gibts nur Espressi. Für alles andere sei der Magen dann zu voll.
- «Tagesanzeiger»: Cappuccino nach zwölf ist in Ordnung, sagt Italiens älteste Barista