Food is life
Lisa Christ ist Kabarettistin, Satirikerin und Moderatorin – und Beobachter-Kolumnistin. Diesmal erklärt sie, warum sie so altern möchte, wie es ihr passt.
Veröffentlicht am 2. März 2023 - 09:00 Uhr
Als ich kürzlich vor dem Spiegel stand, sah ich, dass sich auf meinem Gesicht Pickel gebildet hatten. War ich etwa über Nacht verjüngt?! Doch nein, ein Blick auf mein Haupt verriet mir, dass alles beim Alten geblieben war: Einzeln schimmerten graue Haare durchs Braun. Auch sonst entdeckte ich keine Anzeichen eines «Benjamin Button»-Effekts. Warum aber dann diese Pickel?! Hatte ich zu früh mit der Anti-Aging-Creme angefangen? War meine Haut jetzt auf dem Weg zurück in die Pubertät?
Zu den aktuellen Modetrends würde das jedenfalls passen. It’s coming full circle: Die Mode meiner Jugend ist nun schon zum zweiten Mal angesagt. Low-Waist-Jeans, Baggy Pants, superdünne Augenbrauen und vor allem superdünne Bäuche, die unter superkurzen Oberteilen hervorschauen. Oder eben nicht hervorschauen, sondern sich dem Blick konkav entziehen.
Kaum habe ich mich mit 32 Jahren einigermassen mit meinem Bauch angefreundet, entsteigen die Schönheitsideale meiner Prägungszeit dem Grab der Verdammnis und rütteln an alten Komplexen. Ich gratuliere allen recht herzlich, die um die Jahrtausendwende Teenie waren und keine Körperkomplexe entwickelt haben. Ich gehöre nicht dazu. Aber ich habe sie mir abtrainiert. Das war zähe Arbeit, die nicht zuletzt dank meiner alles überragenden Liebe zu gutem Essen geglückt ist.
Apropos gutes Essen: Der Satz «Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt», den Kate Moss 2009 von sich gab (allerdings mittlerweile revidiert hat), war für mich schon damals unverständlich. Ich meine: Was gibt es Besseres als gutes Essen?! Food is life! Für nichts auf der Welt gäbe ich es her, mir an einem Sommertag einen saftigen Caprese mit frischer Burrata auf der Zunge zergehen zu lassen oder meinen Magen nach einem Winterspaziergang mit einer selbstgemachten Suppe zu wärmen.
In den ganz schlechten Phasen meiner Long-Covid-Erkrankung konnte ich wochenlang fast nichts essen. Das war schlimm. Ich hatte überhaupt keinen Appetit. Nichts bereitete mir Freude. Ich verlor Gewicht. Als ich nach zwei Monaten wieder mal auf der Waage stand, war mein einziger Gedanke: «Oh nein. Meine ganze Kraft ist weg.» Nichts da mit: «Wow, abgenommen!» Da wusste ich: Mein Verhältnis zu meinem Körper ist endlich stabil.
Ja, sogar mit den grauen Haaren komme ich gut aus. Das erste habe ich vor einigen Jahren ganz stolz meiner irritierten Mutter präsentiert. Aber das mit den Pickeln müsste nicht sein, find ich. Deswegen lass ich die Anti-Aging-Creme ab jetzt weg – und altere so, wies mir passt.