Warum aus Russenzöpfen jetzt Freiheitszöpfe werden
Schweizer Konditoreien taufen den Russenzopf um. Bloss trifft das einmal mehr die Falschen.
Veröffentlicht am 5. Januar 2023 - 14:00 Uhr
«Neue Zürcher Zeitung», 2. November 2022:
«Weshalb der Russenzopf nun Friedenszopf heisst. Die Entrussifizierung des Gebäcks hat begonnen.»
Es gibt den Russischen Salat, die Charlotte russe und den Russenzopf. Letzterer wurde in manchen Schweizer Konditoreien nur bis Ende Februar 2022 angeboten. Da befahl der russische Präsident Putin seiner Armee, die benachbarte Ukraine anzugreifen.
Die öffentliche Meinung stellte sich gleich auf die Seite der Ukraine
. Und manche Schweizer Kunden von Schweizer Konditoreien von Thun bis Basel fühlten sich beim Wort «Russenzopf» unwohl. Grund genug, das harmlose Hefegebäck umzutaufen. Und so heisst es nun in manchen Konditoreien Hefezopf, Hefestollen oder Freiheitszopf.
Solche Umdeutungen sind nicht neu. Als Frankreich nicht mit den USA in den Krieg gegen den Irak ziehen wollte, bot die Kantine des US-Kongresses die French Fries als Freedom-Fries – Freiheitsfritten – an. Dass die Pommes frites alias French Fries ihren Ursprung in Belgien haben, war nebensächlich. Der Begriff «Freiheitsfritten» setzte sich allerdings nicht durch, und es blieb auch beim French Kiss, dem Zungenkuss.
Wichtig blieb die Botschaft: Einkaufen ist politisch, und es verschafft sofortige Befriedigung. Ein Aufkleber an der Stossstange genügt, und die Fahrt zum Einkaufszentrum mit seinen Fashion-Shops voller Billigware kann guten Gewissens angetreten werden. Dass das Erdöl aus Ländern stammt, die Menschenrechte verletzen: egal. Dass die Billigware von Menschen mit jämmerlichen Löhnen genäht wird: egal. Es zählen die symbolische Aussage und der angebliche Triumph moralischer Überlegenheit. Ich weiss, was richtig ist!
Reden wir Tacheles
Zurück zum Russenzopf: Das Hefegebäck gehört seit Jahrtausenden zum Speisezettel der Juden. Der Zopf heisst Challa oder Barches oder Shtritsl und wird in seiner süssen Variante mit Vorliebe am Sabbat oder an höheren Feiertagen wie dem Rosch ha-Schana gegessen, dem jüdischen Neujahr. Aschkenasische Juden aus Russland, aus der Ukraine oder aus Litauen brachten das Gebäck mit in den Westen. In Österreich heisst der Russenzopf bis heute Striezel.
Man kann den Hefestollen umtaufen und ihn – wie vor 20 Jahren im Irakkrieg die Fritten – mit dem Wort «Freiheit» garnieren. Die Frage ist: Was opfern wir dabei? Was tun wir für die Freiheit? Nichts. Wir schliessen unser Portemonnaie und verstauen den Stollen im Jutebeutel und verlassen die Konditorei mit einem guten Gefühl. Das ist alles.
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2 Kommentare
Alles wiederholt sich. Solche Scheinübungen haben Tradition in der Schweiz, gerade in der Schweiz. Anlässlich der letzten PUK, das ist schon eine Weile her, wurde von der illegal operierenden Polizei und ihren Kollaborateuren in den berühmten Fichen so Unsinn festgehalten wie: "... trinkt abends gerne ein Bier...", "... hat sich einen russischen Salat bestellt..." etc. Damals haben die Bürgerlichen vor allem die Linken mit solchem Unsinn denunziert (dass dieselben Denunzianten den Linken "Moskau einfach" gewünscht haben, wurde damals nicht festgehalten). Jetzt läuft der blanke Unsinn genau umgekehrt, das Verhalten kann man auch als Wokeness bezeichnen. Wir sind dabei, den Russenzopf in Freiheitszopf umzubenennen, aber wenn es darum geht, etwas für die Freiheit zu tun, dann machen wir es uns sofort bequem hinter der so genannten Neutralität. Diese Neutralität Schweizer Machart gehört schon lange auf die Schutthalde der Geschichte und der Russenzopf wieder auf den Ladentisch. Bin gespannt, ob sich die neueste PUK auch mit den Russengeldern der CS befasst. Aber das haben sie sich wohl nicht auf die Fahne geschrieben.
wie unfassbar richtig!👍