Ein Maulkorb für Mutige
Der Bundesrat will Whistleblower angeblich besser schützen. Tatsächlich baut er riesige Hürden für sie auf. Es ginge auch anders. Ein Kommentar von Beobachter-Redaktor Peter Johannes Meier.
Veröffentlicht am 28. März 2019 - 17:31 Uhr,
aktualisiert am 4. Juni 2019 - 13:33 Uhr durch
Sie prangern Missstände an, werden für ihren Mut gefeiert – und schlittern privat in die Katastrophe. Sie verlieren ihren Job, werden in Gerichtsverfahren verwickelt. Whistleblower sind tragische Helden, sobald ihre Identität auffliegt – oder sie freiwillig auf ihre Anonymität verzichten.
Seit zwölf Jahren werkelt der Bundesrat an einem besseren Schutz für sie. Jetzt muss sich das Parlament mit dem Vorschlag befassen. Nicht zum ersten Mal: 2015 fiel eine 76-seitige Botschaft der Regierung durch – zu unverständlich und zu komplex. Sie ging an den Absender zurück. Der Bundesrat präzisierte und entschlackte, änderte inhaltlich aber kaum etwas. Leider.
Whistleblower werden nach wie vor in sehr bescheidenem Umfang geschützt. Wenn ihnen gekündigt wird, soll das zwar missbräuchlich sein, aber nicht für ungültig erklärt werden. Der Whistleblower soll lediglich einen Schadenersatz von maximal sechs Monatslöhnen erhalten. Das ist kaum eine Motivation, einen Missstand nach Art des Bundesrats zu melden. Denn um den Schadenersatz überhaupt beanspruchen zu können, muss ein gesetzlich vorgegebenes, dreistufiges Vorgehen eingehalten werden. Und darin steckt eine weitere Misere der Vorlage.
- Ein «nachvollziehbarer Verdacht» muss zuerst dem Arbeitgeber gemeldet werden, konkret einer dort zur Entgegennahme befugten Person.
- Der Arbeitgeber hat neu 90 statt 60 Tage Zeit, um «genügende Massnahmen» zur Behandlung der Meldung zu ergreifen.
- Nur wenn diese Massnahmen ungenügend sind oder der Hinweisgeber wegen seiner Meldung entlassen wird, darf er sich an eine Behörde wenden.
- An die Medien darf sich der Whistleblower nur unter einer kuriosen Voraussetzung wenden: falls die eingeschaltete Behörde ihm keine «geeigneten Auskünfte» über die Behandlung seiner Meldung gibt. Warum sollte ihm die Behörde das verweigern?
«Die Vorlage atmet den Geist einer alten Schweiz, als Bankgeheimnis und Wegschauen noch Standortfaktoren waren.»
Peter Johannes Meier, Beobachter-Redaktor
Der Bundesrat nennt sein Werk «Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz». Nur schützt er damit nicht Whistleblower, sondern betroffene Firmen. Die Vorlage atmet den Geist einer alten Schweiz, als Bankgeheimnis und Wegschauen noch Standortfaktoren waren.
Wie weltfremd das ist, macht der Skandal um den Fleischhändler Carna Grischa deutlich. Systematisch hatte die Firma Fleisch umdeklariert: Tiefgekühltes wurde zu Frischfleisch, Importiertes war plötzlich aus der Schweiz, Pferde wurden zu Rindern. Ein Angestellter meldete das anonym der Staatsanwaltschaft. Doch erst als er sich an die Medien wandte, platzte die Beule. Hätte sich der Angestellte – wie vom Bundesrat geplant – an den Arbeitgeber gewandt , wäre der Skandal wohl vertuscht worden.
Whistleblower: Warum Julian Assange geschützt werden muss
Dass es anders geht, zeigt ausgerechnet die punkto Bürgernähe wenig beliebte Europäische Union. Im März präsentierte sie ihren Whistleblower-Schutz, der ebenfalls auf dem Kaskadenprinzip mit Meldungen an Arbeitgeber, Behörden und Öffentlichkeit aufbaut. Nur hat der Whistleblower dort viel weitgehendere Freiheiten, seinen Weg zu wählen, wie er einen Missstand thematisieren will. Etwa direkt bei einer Behörde oder bei den Medien, wenn er gute Gründe dafür hat. Das ist sinnvoll, denn je nach Schwere und öffentlichem Interesse an einem Fall drängt sich ein anderes Vorgehen auf.
Es gibt kein Patentrezept für Whistleblowing.
Sollte auch der Ständerat das untaugliche Gesetz zurückweisen, dürften viele Whistleblower einen anderen Weg wählen, um nicht als tragische Helden zu enden: Anonymität und professionelle Betreuung. Wie sie zum Beispiel der Beobachter auf sichermelden.ch bietet.