Wenn es nach dem Willen von immerhin 58 Nationalrätinnen und Nationalräten geht, können Autofahrende bald auch im Winter über die Gotthard-Passstrasse ins Tessin. Die Volksvertreter haben einen Vorstoss unterschrieben, der vom Aargauer SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner eingereicht wurde. 

300 Millionen für Schutzgalerien und Tunnels

Der wintersichere Betrieb der Passstrasse würde eine wichtige Alternative zum Gotthard-Strassentunnel schaffen und die anderen Alpenübergange entlasten, heisst es im Vorstoss. Zudem bliebe damit die Anbindung der südlichen Region auch im Fall einer Tunnelschliessung – wie etwa im Jahr 2023 – gewährleistet. Die Kosten für den Ausbau mit Schutzgalerien und zusätzlichen Tunnels werden vom Bundesamt für Strassen (Astra) auf 300 Millionen Franken geschätzt. 

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Wie nicht anders zu erwarten, sehen Vertreter von Pro Alps (vormals Alpen-Initiative) bei dieser Aussicht rot. Der Vorstoss sei verkehrs-, klima- und verfassungspolitisch problematisch und schlicht absurd, erklärt Kommunikationsleiterin Katrin Dorfschmid.

Zentraler Punkt ihrer Kritik: Eine ganzjährige Öffnung der Passstrasse käme einer Kapazitätserhöhung für den alpenquerenden Verkehr gleich. Eine solche wäre aber verfassungswidrig, denn seit der Annahme der Alpeninitiative im Jahr 1994 steht im sogenannten Alpenschutzartikel der Bundesverfassung: «Die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet darf nicht erhöht werden.»

Spannungsverhältnis mit Alpenschutzartikel

Die Freiburger Rechtsprofessorin Astrid Epiney sieht den Vorstoss mindestens in einem «Spannungsverhältnis» zur Bundesverfassung. Auf der einen Seite gehe es nicht um eine Kapazitätserweiterung im «klassischen» Sinn, da es die Strasse bereits gebe und sie auch im Sommer befahren werde. Auf der anderen Seite führe eine Öffnung auch im Winter klar zu einer Kapazitätserhöhung im alpenquerenden Transitverkehr während dieser Zeit, was gegen Ziel und Zweck des Alpenschutzartikels verstossen dürfte.

Kanton Uri nicht begeistert

Auch der Kanton Uri ist vom Vorschlag nicht begeistert. «Für uns ist zentral, dass der Durchgangsverkehr die Bevölkerung nicht noch mehr belastet. Das wäre aber genau der Fall, wenn der Vorstoss umgesetzt würde», sagt Angel Sanchez von der Urner Baudirektion. Man müsse sich auch fragen, ob es Sinn ergebe, 300 Millionen Franken zu investieren, nur damit Reisende an Ostern ein paar Stunden früher im Süden ankämen.

Der Tessiner Staatsrat schreibt auf Anfrage des Beobachters, er habe den Vorstoss zur Kenntnis genommen, könne aber noch keine Position beziehen. 

Der Vorstoss wurde als Motion eingereicht und wird zuerst im Nationalrat behandelt. Wenn beide Kammern zustimmen, ist der Bundesrat verpflichtet, die Forderungen umzusetzen.

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