Mehr Lebensqualität im Alltag
Wer aus Scham keine Hörhilfe trägt, schadet sich gleich mehrfach. Denn je früher man sie nutzt, umso mehr Lebensqualität gewinnt man zurück.
aktualisiert am 9. Februar 2023 - 14:27 Uhr
Nur wenige zeigten ihre Hörhilfe so offen wie Madame de Meuron. Das Hörrohr, das an ein kleines Alphorn erinnerte, war ein Markenzeichen der stadtbekannten Berner Aristokratin. Dabei hätte es damals, in den Sechzigerjahren, bereits viel bessere Geräte gegeben. Doch es war ihr egal, dass alle sehen konnten, dass sie schwer hörte.
Heutige Hörgeräte sind so klein, dass sie nahezu unsichtbar hinter dem oder im Ohr verschwinden. «Doch falsche Scham lässt oft wenig Platz für eine solche Hörhilfe. Weil das Gerät einen möglicherweise alt oder invalid aussehen lässt, man sich aber noch jung fühlt», sagt Heike Zimmermann von Pro Audito Schweiz, der unabhängigen Organisation für Menschen mit Hörproblemen.
So trägt von den geschätzt 1,3 Millionen Leuten in der Schweiz, die nicht gut hören, nur die Hälfte ein Hörgerät. Die anderen unternehmen nichts. «Dabei gehört schlechteres Hören genauso zum Älterwerden wie schlechteres Sehen oder faltige Haut.» Ein Hörgerät sei daher nicht peinlich – vielmehr sei es das ständige «Wie bitte?»-Nachfragen. Zudem altere man ohne Hörgerät schneller, so die Expertin.
Selbst wer sich für ein Hörgerät entscheidet, tut das in der Regel erst spät. Betroffene warten meist mehrere Jahre zu. «Viel zu lange», sagt Heike Zimmermann. Denn nicht nur das Gehör, auch das Gehirn spielt im Hörprozess eine wichtige Rolle. Wenn Hirnzellen länger nicht beansprucht werden, bilden sie sich zurück. «Je früher Betroffene also Hilfe suchen, desto weniger sind diese Abbauprozesse im Gehirn bereits fortgeschritten.»
Hörverlust – und die Folgen
Denn mit der Zeit verlernt das Hirn, auch leise und hohe Töne zu hören, und kann dann die akustischen Eindrücke, die das Hörgerät verstärkt, nicht mehr richtig verarbeiten. Das enttäuscht und überfordert viele, und das Gerät landet schnell in der Schublade.
Zwei Drittel der Leute, die ein Hörgerät tragen, sagen, sie hätten sich früher darum kümmern sollen.
Ein Grund für das lange Zuwarten: Viele bemerken den meist schleichenden Hörverlust selbst nicht. Und Angehörige oder Freunde realisieren zwar, dass die Person immer häufiger nachfragt, der Fernseher ständig zu laut ist oder sie sich sogar zurückzieht. Doch sie trauen sich oft nicht, darauf hinzuweisen . «Es ist wichtig, dass die nahe Umgebung solche Beobachtungen neutral, nicht abwertend und ohne Druck mitteilt – und Unterstützung anbietet», so Zimmermann.
Um die Hemmschwelle zu senken, bietet Pro Audito einen anonymen Online-Hörtest an. Wenn er eine geminderte Hörleistung zeigt, sollte man zur Ohrenärztin.
Zuwarten ist noch aus anderen Gründen schlecht. Wenn das Gehör abnimmt, nehmen andere Probleme zu: Unsicherheit im Alltag und im Verkehr, höheres Risiko für Altersdemenz und Depression, weil soziale Kontakte abnehmen . Denn viele ziehen sich in die Isolation zurück, wenn sie sich nur schwer verständigen können. «Besser hören heisst: besser teilnehmen können, selbständiger sein, sozial integriert sein. Es führt also zu mehr Lebensqualität. Und zu gesundem Altern», sagt Zimmermann. Zwei Drittel der Leute, die ein Hörgerät tragen, sagen, sie hätten sich früher darum kümmern sollen. 90 Prozent finden, ihre Lebensqualität habe sich verbessert.
Dafür braucht es keinen Rolls-Royce (siehe Artikel unten «In drei Schritten zum Hörgerät»). Für die meisten reicht ein Standardgerät, das sie selbst gut bedienen können. Es empfängt auch, was die Höranlagen in immer mehr Kinos, Theatern, Kirchen oder Vortragssälen direkt übertragen. Telefonieren und Fernsehen wird durch direkten Ton ebenfalls wieder leichter.
Wer dagegen häufig mit vielen Leuten kommuniziert, etwa bei Sitzungen in grossen Räumen, oder viel telefoniert, wer Musik oder Hörbücher direkt aufs Hörgerät geliefert bekommen oder die Feineinstellungen des Geräts per App vornehmen will, kann auf leistungsstärkere Hörgeräte zurückgreifen. Situationen, die auch für ein gesundes Gehör schwer verständlich sind, überfordern allerdings auch diese.
So arbeitet das Hörgerät
Auch die Optik ist für viele mitentscheidend. Ein Gerät hinter dem Ohr sorgt aber oft für eine angenehmere Hörerfahrung als eines, das im Ohr sitzend den Gehörgang komplett abdichtet.
Wichtiger ist, dass Fachleute das Gerät nachjustieren können, wenn die Altersschwerhörigkeit zunimmt. Bei günstigen, fertig vorkonfigurierten Hörgeräten ist das nicht möglich.
Wenn man mal eins hat, heisst es: Das Hörgerät tagsüber möglichst lange tragen – nicht nur beim Arzt oder wenn Besuch kommt. Nur dann werden jene Areale des Gehirns wieder trainiert, die über Jahre brach lagen. «Im Prinzip ist es wie ein Muskel, der neu wiederaufgebaut und danach regelmässig trainiert werden muss», sagt Heike Zimmermann. Denn durch das Hörgerät werde zu Beginn erst mal alles lauter, aber nicht besser verständlich. Ausserdem muss das Gehirn wieder lernen, Störgeräusche herauszufiltern. Je länger dem Gehirn Hörsignale fehlten, desto mehr Verbindungen sind verkümmert – umso länger benötigt es, sich entsprechend umzustrukturieren.
Studien zeigen, dass das Zeit braucht. «Die Regel lautet: 12 Wochen à 12 Stunden pro Tag konsequent tragen – so lange braucht das Gehirn, bis sich ein gutes Hören wieder einstellt.»
Pro Audito bietet einen kostenlosen Online-Hörtest, eine unabhängige Gratisberatung sowie die Broschüre «Der Weg zum richtigen Hörgerät» an (Telefon: 0800 400 333).
So kommt Schall ins Gehirn
Von schönen Gesten und klaren Zeichen
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1 Kommentar
Zu den Hörgeräten… gute und schlechte Erfahrung. Zuerst war ich froh, dass in der Covid-Sperre ich ein Anbieter (Audibene) fand, der alles Material zuschickte, die Tests dann machte usw. Alles ging gut, bis ich sagte ich sei IV-Rentnerin, kein Problem „ich leite alles in fie Wege“. Ich bekam keine Nachricht von der IV, der Spezzialist bei Audibene, sagte es ginge immer sehr lang, mich machte es stutzig, den nie hat er nach meiner IV-Nummer oder welche Stelle zuständig ist, gefragt. Dazu kam, dass die Geräte immer verrutschten, sodass ich Angst hatte diese zu verlieren. Ich fragte ob es nicht möglich sei einen Ohrabdruck zu machen usw. Laut der Kontaktperson anscheinend nicht. Aber.. ich erhielt sofort die Rechnung, welche ich schriftlich verweigerte zu bezahlen solange die Hörgeräte nicht richtig angepasst seien und ich diese wirklich tragen könnte. Es gab viel Hin- und Her auch mit dem Kundendienst. Schlussendlich schickte man mir eine Aussendienst Mitarbeiterin (diese ist wirklich top) sie nahm die Sache in die Hand, musste von null auf alles wieder machen, weil ihr Kollege nie mein Dossier nie weitergeleitet hat. Siehe da, als sie übernommen hat ging alles Ruck-Zugg, ich bekam die Bestätigung der IV, sie nahm Abdrücke meiner Hörgänge und ich habe fast einem Jahr Hin und Her, seit einer Woche funktionierende, nicht rutschende Hörgeräte😃. Ein bMoll aber, seit Ende Juni, obwohl ich schriftlich konstestiert hatte, bekam ich die Rechnung, Mahnung und nochmals Mahnung, wieso sollte ich über 5000 Fr für etwas bezahlen was nicht funktioniert? Als ich wütend dort anrief, sagte man mir, sie hätten bereits aus Kullanz akzeptiert, die „alten Hörgeräte zurückzunehmen“ ich müsste daher eine Anzahlung machen😡. Ich bin natürlich bereit die Geräte zu bezahlen, aber erst jetzt wo es wirklich stimmt. Irgendwie als ich die Lage überdenkt habe, hatte ich das Gefühl die wollen bloss verkaufen, zum Glück kümmert sich jetzt die Aussendienst Mitarbeiterin, welche mit meinem Gedankengang einverstanden ist, un mein Dossier. Aber zu all denen die vielleicht nicht merken, dass sie weniger gut hören, wenn ihr Umfeld meint ihr redet zu laut oder ihr fragt dreimal „was hast du gesagt“ dann ist es Zeit. Ich höre jetzt Dinge, welche ich gar nicht mehr wahrnahm ES LOHNT SICH. S. Schmidli, Champéry