Beobachter: Wieso schaffen Sie, woran sich andere die Zähne ausbeissen?
Ursula Wyss: Wir haben als Erstes klare, messbare Ziele definiert. Der Veloverkehr soll verdoppelt, der Autoverkehr reduziert werden. Das ist die Voraussetzung, damit es auch künftig genug Platz gibt für alle Verkehrsteilnehmer auf den städtischen Strassen. Dann haben wir konkrete Massnahmen festgelegt. Der Fokus liegt dabei auf der Verbesserung der Infrastruktur, etwa mit sicheren und attraktiven Velorouten sowie zusätzlichen Veloabstellplätzen. Zudem testen wir viele Ideen sehr schnell direkt auf den Strassen.

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Klappt das immer reibungslos?
Nein, aber das ist ja auch der Sinn des Ausprobierens. Wir haben zum Beispiel auf der Suche nach einer Kompromisslösung bei breiten Trottoirs versuchsweise Velostreifen neben den Fussgängerbereich gesetzt. Doch die Reaktionen der Fussgänger waren sehr negativ. Sie fordern, dass der Platz den Autos weggenommen wird Breitere Strassen «Das setzt einen Teufelskreis in Gang» . Was auf dem Reissbrett machbar schien, erwies sich in der Praxis als ungenügend.


Sie fordern eine «eigene Infrastruktur» für Velos. Doch Gegner sagen, in der Schweiz sei zu wenig Platz für solch baulich abgetrennte Fahrbahnen, wie es sie in Kopenhagen gibt.
In Kopenhagen sind die Strassenquerschnitte genauso schmal wie bei uns. Das Platzproblem ist vorgeschoben. Sogar in Berlin sagte mir der Veloverantwortliche, es habe zu wenig Platz für Velos. Dabei kenne ich keine Stadt mit breiteren Boulevards. Der begrenzte Platz zwingt uns, Prioritäten zu setzen. Je enger es ist, desto mehr spricht für flächeneffiziente Verkehrsmittel wie zu Fuss gehen, ÖV und das Velo. Die abgetrennten Velowege sind essenziell für die Sicherheit.


Haben Sie diese Abtrennungen schon irgendwo umgesetzt?
Bis jetzt haben wir vor allem Velostreifen auf 2,5 Meter verbreitert, ohne bauliche Abtrennung. Das ging überall, wo man keine Fahrspur aufheben musste. Wo zu wenig Platz ist für 2,5 Meter breite Velostreifen, streben wir eine bauliche Abtrennung an. Da sind wir nun dran.


Sie heben auch Parkplätze auf. Wie viele bis jetzt?
Ein Parkplatzabbau in grossem Ausmass fand bisher nicht statt. Parkplätze werden insbesondere auf Verbindungsstrassen aufgehoben, dort erhöht sich dadurch die Sicherheit der Velofahrenden deutlich. Zugleich dient der Parkplatzabbau in diesen Strassen dem ÖV, da die neuen Platzverhältnisse einen flüssigeren Linienbetrieb ermöglichen.


Wie viele Parkplätze müssten weichen, damit ein sicheres, durchgängiges Velonetz möglich ist?
Der Berner Gemeinderat vertritt schon lange die Haltung, dass dort Parkplätze weichen müssen, wo es um Sicherheit und Förderung von Fuss- und Veloverkehr sowie ÖV geht. Mittelfristig will der Gemeinderat die Hälfte der öffentlichen Parkplätze aufheben. Das sind aber nur 8500 der total über 100'000 bestehenden Parkplätze.


Wie wichtig ist es, die Agglomeration ins Velonetz einzubinden?
Das ist entscheidend. Wir haben einen gesetzlichen Auftrag: Die Zersiedelung Zersiedelung Wie die Schweiz zubetoniert wird – und was dagegen hilft muss reduziert werden.


Wie gehen Sie dabei vor?
Wir orientieren uns stark an den Niederlanden. In der ganzen Region rund um Amsterdam sind die Städte miteinander verbunden, das müssen wir auch hier schaffen. Am besten mit Mobilitätshubs Öffentlicher Verkehr Wo die SBB ihre Weichen stellen müssen , also Terminals bei jeder Autobahnausfahrt. Bei denen kann man das Auto parkieren und mit dem öffentlichen Verkehr oder mit dem Velo in die Stadt weiterfahren.
 

«Beim Verkehr planen nach wie vor berufstätige Männer für berufstätige Männer.»

Ursula Wyss, Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün in der Stadt Bern

In Bern versucht das Gewerbe, Ihre Velooffensive zu bremsen. Verbände haben zum Beispiel gegen die Einführung von Tempo-30 Kommentar Warum es Tempo 30 braucht -Zonen Einsprache erhoben. Insgesamt sind 13 Beschwerden eingegangen. Was sagen Sie dazu?
Es ist legitim, dass sich gewisse Interessengruppen auch über Beschwerden einbringen. Wenn die rechtlichen Mittel aber dazu genutzt werden, generelle Verhinderungspolitik zu betreiben und die Umsetzung von breit abgestützten Bevölkerungsanliegen – etwa der Sicherheit der Schulwege – zu verzögern, finde ich das schade.


Der Chef des lokalen Handels- und Industrievereins wirft Ihnen vor, Sie hätten Anliegen ignoriert und Abmachungen missachtet.
Das klassische Ladengewerbe kämpft ums Überleben, es muss einen Strukturwandel vollziehen. Wir wollen das Gewerbe unterstützen, indem wir den Wirtschaftsverkehr bevorzugt behandeln. Parkplätze vor dem Laden sind in der Stadt allerdings nicht mehr so entscheidend wie früher. Ich wünsche mir, dass sich auch die vielen Berner Gewerbler mehr Gehör verschaffen, die die von der Bevölkerung gewünschten Verkehrsberuhigungen als eine wirtschaftliche Chance sehen. «Das Gewerbe» ist ja zum Glück sehr vielfältig.


Haben Sie auch verwaltungsintern Gegenwind gespürt? Es heisst, Sie hätten sich von Angestellten getrennt, die bei Ihren Veloplänen nicht auf Kurs waren.
Dass bei Veränderungen nicht immer alle von Beginn weg begeistert sind, ist normal. Es kann aber nicht genug betont werden, wie wichtig die Verwaltung ist bei der Umsetzung einer zielführenden Politik. Das Konzept «öffentlicher Raum» sowie die «Velooffensive» wurde deshalb von den betroffenen Fachpersonen selbst entwickelt und wird heute breit mitgetragen.


Was raten Sie anderen Städten?
Sie sollten mehr Frauen in die Stadt- und Verkehrsplanung Selbstfahrende Autos Mit Hightech in den Verkehrskollaps bringen. Ich bin überzeugt, dass der öffentliche Raum anders aussehen würde. Nach wie vor planen berufstätige Männer für berufstätige Männer. Deswegen ist die Verkehrsplanung noch immer hauptsächlich auf die Spitzenzeiten morgens und abends, von Montag bis Freitag, ausgelegt. Was dazwischen passiert, wird untergeordnet. Das trifft insbesondere ältere Menschen oder Mütter, die mit Kindern im öffentlichen Raum unterwegs sind.


Sie treten Ende Jahr ab – was passiert dann mit der Velostadt Bern?
Darüber mache ich mir keine Sorgen. Die Bevölkerung hat hohe Erwartungen und wacht darüber, dass die Verbesserungen für Velos umgesetzt werden. Bei jeder Strasse, die wir verbessern, fragen fünf andere Quartiere, warum das bei ihnen noch nicht passiert ist. Wenn die Leute einmal die Vorteile einer zukunftsgerichteten Verkehrspolitik erlebt haben, wollen sie nicht mehr zurück.
 

Zur Person

Ursula Wyss ist Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün in der Stadt Bern

Ursula Wyss ist Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün in der Stadt Bern. Die Ökonomin war von 1999 bis 2013 SP-Nationalrätin.

Quelle: Marco Zanoni
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