Velofahrer gegen Fussgänger gegen Autofahrer
Auf manchen Velowegen sind gleichzeitig Rennvelofahrer und Fussgänger, E-Biker und Spaziergänger unterwegs. Gezwungenermassen.
Veröffentlicht am 4. Oktober 2018 - 17:57 Uhr,
aktualisiert am 5. Oktober 2018 - 16:26 Uhr
Hätten Sie’s gewusst? Gibt es entlang einer Strasse einen blau-weiss signalisierten Veloweg, müssen Velofahrer ihn benutzen. Immer. Das gilt auch für E-Bike-Fahrer , selbst für die «schnellen», die mit bis zu 45 Kilometer pro Stunde unterwegs sind und am Velo eine gelbe Nummer tragen müssen. Wer auf der Strasse fährt, riskiert eine Ordnungsbusse von 30 Franken.
Viele Velofahrer empfinden diese Regel als ungerecht, aber auch als unsinnig. «Wir kämpfen seit Jahren für die Abschaffung der Benützungspflicht», sagt Thomas Schneeberger von der Vereinigung Pro Velo Bern.
Schneeberger stört sich vor allem daran, dass die Pflicht auch für jene Velowege gilt, die zugleich ein Trottoir sind. Die unterschiedlichsten Nutzer müssen sie teilen: Rennvelofahrer und spazierende Mütter mit ihren Kindern, Grossväter auf E-Bikes und ältere Damen, die ihren Hund Gassi führen. Auch für Mofa-Fahrer ist ihre Benutzung Pflicht. Nicht nur kommen die Velofahrer auf solchen Wegen kaum vorwärts. Vor allem die Fussgänger fühlen sich durch die Velos gefährdet. Mit dem Aufkommen der E-Bikes erst recht. «Fahrzeuge, die 45 Kilometer pro Stunde fahren über Trottoirs zu leiten, ist gemeingefährlich» sagt etwa Christian Thomas vom Fussgängerverein Zürich.
«Gemeinsame Rad- und Fusswege» auf Trottoirs gibt es in vielen Städten und Dörfern; mal über längere Strecken, mal nur auf kurzen Abschnitten. Besonders häufig sind sie in der Stadt Zürich. Dort sah sie die Verwaltung bis vor kurzem als die geeignete Lösung an, um den «Langsamverkehr» der Fussgänger und Velofahrer vom Autoverkehr zu trennen.
Signalisation gemeinsamer Rad- und Fussweg
Mitte September hat der Fussgängerverein Zürich nun aber einen Erfolg erzielt, der auf die ganze Schweiz Auswirkungen haben könnte. Der Verein hatte stets beteuert, dass Velowege auf Trottoirs nicht erlaubt seien – bis die Stadt Zürich ein juristisches Gutachten in Auftrag gab. Dieses kam zum Schluss: Trottoirs sind gemäss Gesetz tatsächlich den Fussgängern vorbehalten .
Zwar dürfen Velos in begründeten Ausnahmefällen auf ihnen fahren, etwa im Bereich einer Schule. Der Weg darf dann aber nicht als Veloweg ausgeschildert sein, sondern als Fussweg mit dem Zusatz «Velos gestattet». Auf solchen Wegen haben Fussgänger Vortritt.
Signalisation Fussweg mit Zusatz «Velos gestattet»
Die Stadt Zürich will ihre Velowegpolitik aufgrund des Gutachtens nun ändern. Zwar könne man nicht von heute auf morgen alle Velowege auf Trottoirs aufheben, teilte Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) mit. In Zukunft werde man aber versuchen, die Velos grundsätzlich getrennt von Trottoirs zu führen.
Doch ob sich an der Situation tatsächlich etwas ändern wird, ist fraglich. Denn ausserhalb der Stadt Zürich beteuern die meisten Planungsbehörden, dass man schon seit einigen Jahren versuche, die Wege von Velos und Fussgängern zu trennen. «Wir sind über die Erkenntnisse des Gutachtens erfreut und hoffen, dass dieses dazu führt, dass Velo- und Fussverkehr wo immer möglich entflechtet werden», schreibt etwa die Koordinationsstelle Veloverkehr des Kantons Zürichs. Ähnlich klingt es bei den jeweiligen Stellen in Bern und Basel. Das Problem ist: Wo die Velos hin sollen, wenn nicht aufs Trottoir, wissen die Planer häufig nicht.
Ziel ist es, den Velos einen separaten Bereich auf der Strasse zu gewähren, zum Beispiel mit einem Velostreifen. Damit diese für Velofahrer attraktiv und sicher sind, müssten die Streifen aber breiter sein als heute. Bei einem herkömmlichen Streifen von 1,5 Meter Breite etwa muss ein Velo auf die Autospur ausweichen, wenn es ein anderes Velo überholen will. Velostreifen auf wichtigen Achsen sollten deshalb 2,5 Meter breit sein, sagen Fachleute.
Dafür fehlt jedoch oft der Platz . Man müsste ihn den Autos wegnehmen – eine politisch umstrittene Frage. Zwar besteht mittlerweile Konsens, dass der Velo- und Fussgängerverkehr grundsätzlich gefördert werden soll. Zu welchem Preis, darüber gehen die Meinungen aber auseinander.
Nicht in allen Städten nimmt der Autoverkehr generell ab wie in Bern. Dort wird zum Bespiel auf der Lorraine-Brücke eine Autospur gestrichen und dafür der Velostreifen auf 3 Meter verbreitert. In Zürich hingegen will der Stadtrat nichts wissen von einer Spurreduktion auf der Bellerivestrasse zugunsten des Veloverkehrs. Das Verkehrsaufkommen auf dieser Hauptstrasse entlang des rechten Seeufers lasse das schlicht nicht zu. An vielen Orten ist eine Spurreduktion auch nicht möglich, weil es bereits heute nur eine Spur gibt.
«Unter der jetzigen autoaffinen Leitung ist vom Bundesamt für Strassen wenig zu erwarten.»
Christian Thomas, Fussgängerverein Zürich
Sowohl Pro Velo als auch der Fussgängerverein sehen ein, dass die Situation für die Planer oft nicht einfach ist. Trotzdem wollen sie nicht klein beigeben in ihrem Kampf um freie, separate Wege für Velofahrer und Fussgänger. Beide Vereinigungen sehen das Bundesamt für Strassen (Astra) gefordert. Es soll die Trennung von Velo und Fussgängerverkehr grundsätzlicher festlegen. «Unter der jetzigen autoaffinen Leitung ist vom Astra allerdings wenig zu erwarten», sagt Christian Thomas vom Fussgängerverein. Tatsächlich machte das Bundesamt kürzlich mit der Idee Schlagzeilen, die Strassen zu verbreitern , weil die Autos immer breiter würden.
Das Astra antwortet: Die Planung und Realisation von Velowegen sei nicht Bundessache. Zwar seien Trottoirs grundsätzlich den Fussgängern vorbehalten. Unter gewissen Bedingungen könne man aber Velos auf Trottoirs fahren lassen. «Dies ist dann möglich, wenn die Situation es erlaubt oder gar anzeigt, sei es aus Sicherheitsüberlegungen, aufgrund der Breite des Trottoirs, der Breite der Fahrbahn oder des Verkehrsaufkommens.»
Um die Benutzungspflicht für Velowege aufzuheben, bräuchte es einen Beschluss des Bundesrats. Dasselbe gilt für ein Veloweg-Verbot für «schnelle» E-Bikes , wie es zum Beispiel in Deutschland existiert. Im Einzelfall gebe es für beides Spielraum, schreibt das Astra. «Will die zuständige Behörde die Benutzungspflicht für einen Veloweg aufheben, kennzeichnet sie ihn als Fussweg mit dem Zusatz ‹Velos gestattet›. Will sie einen Veloweg für schnelle E-Bikes sperren, kann sie ein Fahrverbot für Motorfahrräder signalisieren.»
Mit anderen Worten: Velofahrer und Fussgänger müssen weiterhin in jeder einzelnen Gemeinde dafür kämpfen, dass sie genügend Platz bekommen.
Wie bei den Vierrädern gelten auch für Zweiräder gewisse Regeln. Erfahren Sie als Beobachter-Mitglied, welche speziellen Verkehrsregeln Velofahrer beachten sollten, wie Sie und Ihre Kinder mit dem Drahtesel am sichersten unterwegs sind und ob auf dem Velo eine Helmpflicht gilt.
1 Kommentar
Gemeinsame Wege für Fussgänger und Velos sind Schwachsinn. Das Velowege mindestens 2.50 breit sein sollen, damit jederzeit überholt werden kann, wäre zwar schön, aber auch der Autofahrer muss warten, bis er eine Gelegenheit zum Überholen findet, ausser er fährt auf der Autobahn.