Man muss Google schon ein bisschen beneiden. Kaum eine Firma hat geschafft, was der kalifornische Suchmaschinenriese geschafft hat: vom Nomen zum Verb zu werden.

Umso seltsamer, dass der Konzern gern mal die Anwälte vorbeischickt, wenn jemand «googeln» in ein Wörterbuch schreiben oder zum Wort des Jahres erklären will. So geschehen, als der Merriam-Webster-Verlag 2006 «to google» in sein Lexikon aufnehmen wollte.

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Hat alles nichts genützt. Die Suchmaschine ist heute ein Synonym geworden für «Ich geh jetzt schnell ins Internet und finde raus … was gegen Pickel hilft … wie alt Martina Hingis ist … oder wie der Ölfleck aus dem Sofa kommt.»

Auch auf die Fragen der Menschen, die Corinne Strebel am Telefon hat, wüsste Google eigentlich oft eine Antwort. Etwa: Muss mein Ex-Mann mir die Alimente bezahlen? (Ja, muss er, Sie können ihn betreiben.) Oder: Kann ich meine Kinder enterben? (Nein, ganz leer ausgehen lassen können Sie Ihren Sohn nicht.) Und trotzdem.

Die Beobachter-Beraterinnen geben im Jahr um die 35’000 Auskünfte zu rechtlichen Fragen.

Corinne Strebel leitet das Beratungszentrum des Beobachters, das grösste seiner Art in der Schweiz. Strebel und ihre 30 Kolleginnen – Juristinnen, Finanzfachleute und Sozialarbeiter – geben im Jahr um die 35’000 Auskünfte zu rechtlichen Fragen. Und es werden nicht weniger, es werden mehr.

Warum? Warum extra einen Menschen anrufen, wenn man auch Google fragen kann?

Mehrere Gespräche mit Corinne Strebel und ihrem Team, Reinhören an der Beratungs-Hotline und Wühlen durch Kundenrückmeldungen haben drei Erkenntnisse ergeben.

Beginnen wir mit der seltsamsten.

Erkenntnis Nummer 1: Man ruft an, obwohl man die Antwort schon weiss

Kennen Sie den?

Treffen sich zwei Psychologen. Sagt der eine zum anderen: «Hallo – dir gehts gut. Wie gehts mir?» 

Daniel Leiser ist Redaktor und Berater beim Beobachter. Spezialgebiete: das Recht von Vereinen und Strassenverkehr. In beiden Gebieten gilt: Entspricht da mal was nicht dem guteidgenössischen Lauf der Dinge, sind die juristischen Konsequenzen selten allzu heftig, die emotionalen dafür umso mehr.

Man denke an den Groll über den wirklich hinterhältig versteckten Blitzer am Dorfausgang. Oder über den Tüpflischiisser an der Mitgliederversammlung, der die Statutenänderung partout nicht abnicken will.

Gefühltes Unrecht schluckt sich leichter, wenn man es nicht allein verdauen muss.

«In solchen Fällen erkläre ich erst mal die Rechtslage», sagt Daniel Leiser. «Und dann höre ich oft als Nächstes: ‹Merci – hani scho dänkt›.» 

Hani scho dänkt, dass ich das zahlen muss. Hani scho dänkt, dass der Franz drauf bestehen kann. Aber gälled Sie. Kann doch eigentlich nicht sein!

Für viele Anruferinnen sei der Beobachter eine echte Instanz, sagt Leiser, bei der sie sich rückversichern können. Oder einfach auch mal was abladen. Gefühltes Unrecht schluckt sich leichter, wenn man es nicht allein verdauen muss.

Erkenntnis Nummer 2: Man ruft an, damit man sich entscheiden kann

Shawn McBride ist ein amerikanischer Paartherapeut. Davor war er Pastor – und er redet immer noch so. Sagt Sätze, die klingen, als hätte sie jemand vor langer Zeit in eine Marmortafel gehauen. Zum Beispiel: «Wenn jemand am Ertrinken ist, wirfst du ihm keine Fakten zu!»

Wenn Paare bei ihm sind, sagt McBride, dann muss er sie erst mal dazu bringen, einander wirklich zuzuhören. Beziehungen zerbrechen nicht an unaufgeräumten Waschmaschinen. Sondern daran, dass man einander nicht mehr beweist, dass man sich wichtig ist.

Um ein Problem zu lösen, muss man es erst mal klar sehen.

Genau zuhören muss man auch am Beratungstelefon des Beobachters. Damit man merkt, in welchen Fällen jemand nicht eine Auskunft sucht, sondern einen Ausweg. Um ein Problem zu lösen, muss man es erst mal klar sehen. 

Meist fallen dann solche Sätze: «An meiner Stelle … was würded Sie dänn mache?»

Da war zum Beispiel die Dame aus dem Mittelland, die seit Monaten auf ihre Miete gewartet hatte. Schwierige Geschichte. Offenbar hatte ihre Mieterin mit dem Sozialamt Ärger. Die Dame war ja lange geduldig. Aber irgendwann musste sie halt die Schlösser wechseln. Und jetzt? Betreiben? Kann man – Fakt. Aber eben.

Sie waren jetzt wirklich lange kulant, sagt die Beobachter-Beraterin. Ob Sie von dem Geld wirklich mal noch etwas sehen würden – zweifelhaft. Und wenn Sie es als allerletzte gute Tat abbuchen, der Mieterin das Geld nun zu erlassen? Am anderen Ende: hörbare Erleichterung.

«Recht zu bekommen, ist nicht immer wichtiger als die Energiebilanz.»

Corinne Strebel, Leiterin Rechtsberatung

«Wir können nicht für die Menschen entscheiden», sagt Strebel. Aber nachdem wir erst mal genau herausgefunden haben, was das eigentliche Problem ist, können wir auch darüber reden, wo man denn hinmöchte. «Und ja, manchmal ist die beste Lösung sogar, die Sache einfach loszulassen. Recht zu bekommen, ist nicht immer wichtiger als die Energiebilanz.»

Erkenntnis Nummer 3: Man ruft an, weil man sich auf die Antwort verlassen kann

Was macht eine Suchmaschine, nachdem sie so dermassen übermächtig geworden ist, dass sie keine echte Konkurrenz mehr hat? Sie wird zur Antwortmaschine.

Die Chefin der Suchabteilung von Google sagte dazu neulich einen ziemlich bemerkenswerten Satz: «Lassen Sie Google das Googeln für Sie übernehmen.»

Viele Fragen beantwortet Google unterdessen direkt, ohne seine Kunden auf andere Webseiten zu schicken. Sprich: Googles künstliche Intelligenz liest die Abermillionen Webseiten, die es archiviert hat. Und generiert daraus einen passenden Text.

Was im Moment noch mässig gut funktioniert. So wollte neulich jemand wissen, wie Käse besser auf der Pizza kleben bleibt. Und Google riet ihm, ein Tässchen Bastelkleber in den Belag zu mischen. Jemand anderem sagte Google, es wäre gut für seinen Vitaminhaushalt, pro Tag einen Kieselstein zu verspeisen.

Oder wusste: «Ärzte empfehlen zwei bis drei Zigaretten während der Schwangerschaft.»

Kinderkrankheiten. Das wird sicher noch besser. Was sich aber kaum ändern wird: Das Internet ist ein Ozean, in dem es neben Streifendelfinen und Seeanemonen auch giftige Würfelquallen gibt. Und Plastikmüll.

Bleibt man im Bild, wäre das Beratungszentrum dann ein Bergteich. Gut belüftet, Frischwasseranschluss. Nicht riesig. Aber gesund und algenfrei.

Ein Teich, in dem über die Jahre und die Hunderttausenden Anrufe ein einzigartiges Ökosystem an brauchbaren Antworten anwachsen konnte.

Da war etwa der Moment, als Rosmarie Naef, Expertin für Wohnfragen, jemandem riet, die Leitungen im Haus doch mal nach altem Bauschutt durchsuchen zu lassen, auch wenn das äusserst selten sei. Eigentlich war die Frage, ob der Mieter für deren Reparatur aufkommen muss oder der Vermieter.

Aber nach rund 20 Jahren Hotline weiss man, dass womöglich stattdessen der Hausbauer schuld sein könnte.

«Über die Jahre baut man sich einen Erfahrungsschatz auf.»

Rosmarie Naef, Beobachter-Rechtsberaterin

«Über die Jahre baut man sich einen Erfahrungsschatz auf», sagt Naef. Es gebe Tage, da habe sie 30 Telefonate allein zum Thema Wohnen. «Das macht, dass wir nicht einfach die Gesetze verstehen, sondern eben auch die Praxis.»

«Toilette verstopft Schweiz» – googeln Sie das mal!

Wobei … in dem Fall wirklich besser nicht.

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Quelle: Beobachter Bewegtbild