Rolex, Bio, Artenschutz
Wurde die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher? Und wo gings rückwärts? Der Nachrichtenüberblick des Beobachters für die Woche vom 14. Juni 2024.
Liebe Leserinnen und Leser
Willkommen zu «Richtig wichtig». Hier ordnen wir immer freitags die wichtigsten Nachrichten der vergangenen Woche für Sie ein. Es sind diesmal mehr als gewohnt, denn gerade tagt das Parlament zur Sommersession. Wir haben Ihnen am Schluss dieses Überblicks eine Handvoll weiterer wichtiger Nachrichten aufgelistet.
Diesmal:
- Abstimmungen: Nach dem Nein zu den Gesundheitsinitiativen – was jetzt?
- Artenvielfalt auf Äckern: Wie der Ständerat die bereits beschlossene Sache versenkte
- Rolex und die Mitarbeitenden: Die Unia geht gegen den Uhrenhersteller vor
Aber zuerst:
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Das Zitat der Woche
Wem gehört das Bundeshaus? Formell ist es Grundeigentum der Eidgenossenschaft. Also uns allen ein bisschen – oder? Ja und nein. Die meisten von uns können jedenfalls nicht einfach reinspazieren. Und auch für unsere gewählten Volksvertreter gibts Regeln. Das haben diese Woche gleich zwei Vertreter der wählerstärksten Partei erfahren.
«[Wir appellieren] an die Eigenverantwortung und Selbstdisziplin der Ratsmitglieder für die Einhaltung der Richtlinien. [Wir erwarten] dabei, dass eigene Bedürfnisse aus Respekt gegenüber den Kolleginnen und Kollegen abgewogen werden.» – Die Verwaltungsdelegation des Parlaments
Freundlich, aber doch bestimmt wurde die SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher aufgefordert, das allerseits beliebte Sitzungszimmer 339 während der Session nicht dauerzubesetzen. Und ebenfalls bestimmt – aber dezidiert weniger freundlich – hinderten Bundespolizisten Martullo-Blochers Parteikollegen Thomas Aeschi und Michael Graber daran, eine Treppe zu nutzen, die gerade für einen Fototermin gesperrt war. Ob sich die National- und Ständeräte immerhin an den Ämtliplan halten, ist nicht bekannt.
Abstimmungen: Nach dem Nein zu den Gesundheitsinitiativen – was jetzt?
Darum gehts: Am Sonntag hat das Stimmvolk die beiden Gesundheitsinitiativen abgelehnt. Damit greifen nun die beiden indirekten Gegenvorschläge – solange keine Referenden ergriffen werden. Die Frist dafür läuft bis Mitte September.
Warum das wichtig ist: Die Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien steigen in der Schweiz, ohne dass die Löhne im Niveau mithalten können. Es braucht also Mechanismen, die den stetigen Anstieg der Gesundheitskosten bremsen und Personen mit geringem Einkommen entlasten. Beim Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative heisst das konkret, dass der Bundesrat alle vier Jahre vorgibt, wie hoch die Gesundheitskosten steigen dürfen. Dazu werden die Akteure des Gesundheitswesens miteinbezogen. Kommt es trotzdem zu einer Überschreitung, muss der Bundesrat gegensteuern. Der Gegenvorschlag der Prämien-Entlastungs-Initiative führt dazu, dass Kantone automatisch mehr an die Prämienverbilligung ausbezahlen, sobald die obligatorischen Versicherungskosten steigen. Der Bund rechnet dabei mit Mehrkosten von 360 Millionen Franken für die Kantone. Und: Die Kantone sollen selbst festlegen, wie viel Prozent des Einkommens die Krankenkassenprämien ausmachen dürfen.
Das sagt der Beobachter: Auch wenn der Gegenvorschlag zur Prämien-Entlastungs-Initiative in die richtige Richtung geht, ist er doch sehr viel weniger ambitioniert. Denn: Viele Kantone erfüllen die neuen Vorgaben bereits. Und die zusätzlichen 360 Millionen Franken sind im Vergleich zu den 3,5 bis 5 Milliarden Franken, die der Bund für die Initiative berechnet hatte, kaum nennenswert. Die Einordnung unseres Redaktors: «Die Chance ist verpasst.»
⇒ Jetzt lesen: Diese Chance ist verpasst. Was nun?
Über «Das war richtig wichtig»
Was hat die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher gemacht? Und wo gings eher rückwärts? Wo weiterlesen, wenn Sie es genauer wissen möchten? Wir liefern Ihnen immer freitagmittags drei bis vier wirklich wichtige Nachrichten – kompakt, verständlich und mit Haltung aufgeschrieben. Auch als E-Mail abonnierbar.
Artenvielfalt auf Äckern: Wie der Ständerat die bereits beschlossene Sache versenkte
Darum gehts: Bäuerinnen und Bauern sollten auf ihren Äckern mehr Flächen zur Förderung der Biodiversität schaffen. Eine entsprechende Regel hatte der Bundesrat eigentlich eingeführt. Am Dienstag hat nun aber der Ständerat einer Motion zugestimmt, die diese Vorgabe wieder streichen will.
Warum das wichtig ist: Der Bundesrat hatte im April 2022 die neue Vorschrift beschlossen, dass Landwirte auf 3,5 Prozent ihrer Ackerfläche die Artenvielfalt fördern müssen. Also Orte schaffen, wo Insekten und andere, oft unscheinbare Tier- und Pflanzenarten wieder Lebensraum finden. Die Massnahme sollte eigentlich seit 2023 in Kraft sein. Zuerst wurde die Einführung aber wegen des Ukrainekrieges und der unsicheren Versorgungslage auf Anfang 2024 verschoben, Ende 2023 verlangte Ständerätin Esther Friedli (SVP SG) eine Verschiebung auf 2025, weitere Vorstösse folgten, nun wurde die Vorschrift ganz versenkt.
Das sagt der Beobachter: Der Bundesrat hatte die 3,5-Prozent-Regel kurz vor der Abstimmung über die Trinkwasserinitiative eingeführt. Sie galt als Teil des informellen Gegenvorschlags und sollte die Bevölkerung überzeugen, die Initiative abzulehnen. Dass sie bereits zwei Mal verschoben wurde, bewog sogar Landwirtschaftsminister und SVP-Bundesrat Guy Parmelin letzten September dazu, zu sagen, das Vorgehen verstosse gegen Treu und Glauben. Dabei ist es höchste Zeit, den Rückgang der Artenvielfalt zu stoppen, wie die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) jüngst bekräftigte. Wer nun argumentiert, die Schweiz habe noch immer sehr viel Grünflächen, dem möchten wir ein lesenswertes Interview mit Daniela Pauli vom Forum Biodiversität Schweiz zur Lektüre empfehlen. Auch zwei Jahre nach der Publikation hat es nicht an Gültigkeit verloren.
⇒ Jetzt lesen: Wenn eine Art ausstirbt, droht eine Kettenreaktion
Rolex und die Mitarbeitenden: Die Unia geht gegen den Uhrenhersteller vor
Darum gehts: Die Gewerkschaft Unia will nach Belästigungsvorfällen beim Arbeitsgericht Klage einreichen gegen den Uhrenhersteller Rolex. Seit Jahren seien der Gewerkschaft Fälle von wiederholter Belästigung in der Abteilung des Servicegeschäfts in Genf gemeldet worden. 50 Fälle seien dokumentiert.
Warum das wichtig ist: Die Unia hat in den vergangenen Jahren ihren Angaben zufolge immer wieder versucht, mit der Firma Rolex Lösungen zu finden, sei aber «auf Blockaden» gestossen. Mitarbeitenden, die sich gegen einen Vorgesetzten wehrten, der sie schikaniert hatte, wurde gekündigt. Deshalb geht die Unia nun einen Schritt weiter und will den Fall vors Arbeitsgericht ziehen.
Das sagt der Beobachter: Die Firma Rolex ist eine Schweizer Institution, weltweit bekannt und mit ausgezeichnetem Renommee – ähnlich wie das Universitätsspital Zürich. Und die beiden Firmen haben offenbar noch eine Parallele: Bei beiden prangern Arbeitnehmerinnen das Arbeitsklima an. Im Fall des Unispitals Zürich wirft die Nachwuchsprofessorin dem Betrieb Mobbing vor, was diese jedoch bestreitet. Wie ein solcher Fall abläuft, hat unser Autor Yves Demuth kürzlich in einem Artikel aufgezeigt:
⇒ Jetzt lesen: Mobbing-Vorwurf am Unispital Zürich
Auch sonst war diese Woche viel los. So hat das Parlament unter anderem diese Entscheide gefällt, die uns wichtig erscheinen:
- Der Ständerat hat neue Massnahmen gegen die steigenden Gesundheitskosten beschlossen. Er setzt auf verstärkte Koordination, vertrauliche Preismodelle und günstigere Medikamente.
- Mieterinnen und Mieter sollen künftig einen Anspruch auf eine Elektroauto-Ladestation haben. Dasselbe soll für Personen mit Stockwerkeigentum gelten. Dafür hat sich der Nationalrat ausgesprochen.
- Wer ein Haus kauft oder neu baut, soll künftig länger Zeit haben, Baumängel zu melden. Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat einer entsprechenden Revision des Kauf- und Werkvertragsrechts zugestimmt.
- Elektronische Einwegzigaretten sollen in der Schweiz verboten werden. Der Nationalrat hat eine entsprechende Motion am Mittwoch angenommen.
- Der Nationalrat will die psychiatrische Betreuung von Kindern und Jugendlichen sicherstellen. Der Bundesrat soll eine nationale Tarifstruktur schaffen, welche die Kosten in der spital-ambulanten Kinder- und Jugendpsychiatrie deckt.
Geschrieben haben diesen Überblick diesmal Riana Engeli, Oliver Fuchs und Chantal Hebeisen.
Bis nächste Woche. Wir bleiben für Sie dran.
2 Kommentare
JA zur Biodiversitätsinitiative: Direktzahlungen für Landwirtschaft auf Erhaltung der Lebensgrundlagen umleiten!
Die Landwirtschaft muss vermehrt in die Pflicht genommen werden, um die Biodiversität zu fördern. Dazu müssen in erster Linie Mittel der Direktzahlungen auf die Förderung von biodiversen Flächen umgeleitet werden.
Dass – gemäss Abstimmungsbüchlein – zusätzliche Bundes-Fördermittel von 400 Millionen Franken nötig sein sollen, hat sich der Bundesrat aus den Fingern gesogen. Immer wieder versucht der Bundesrat mit solchen (Fehl-) Prognosezahlen Abstimmungen in seinem Sinne zu beeinflussen (siehe z. B. Auswirkungen der Personenfreizügigkeit).
JA zur Biodiversitätsinitiative: Eine neue Hauptaufgabe der Landwirtschaft
Es ist mir unerklärlich, wieso sich die meisten Vertreter der Landwirtschaft so vehement gegen die Erhaltung der Biodiversität in der Schweiz wehren. Die Landwirtschaft erhält doch auch für die landwirtschaftliche Produktion enorm hohe Subventionen; Subventionen kriegt sie ja auch für die Anlage, Erhaltung und Pflege von Biodiversitätsflächen. Konkurrenz bei dieser Aufgabe muss sie nicht befürchten.
Die Versorgung der Schweiz in Notfällen ist kein Grund für das Beharren auf einer möglichst grossen Produktion in der Schweiz, mit entsprechend hohen Schäden an der Umwelt. Die masslos überbevölkerte Schweiz ist auch in Notfällen auf die Belieferung aus dem Ausland angewiesen, wie beispielsweise weiterhin bei der Energie und im Handel allgemein.