Vorn im Kirchenschiff treten vier junge Menschen vor ein Mikrofon. Sie erzählen von den letzten gemeinsamen Sommerferien und davon, dass jemand nun fehlt. Sie stützen sich gegenseitig, legen die Arme auf die Schultern des anderen. Sie spielen einen Song ab: den Soundtrack zu warmem Sand, Sangrianächten und dem Schmieden von Zukunftsplänen. 

Die Beerdigung, von der ich schreibe, fand vor über 20 Jahren statt. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Eine Freundin war als Beifahrerin bei einem Autounfall umgekommen. Sie war 17 Jahre alt. 

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Raser können wieder milder bestraft werden

Damals zählte man in der Schweiz pro Jahr noch fast 600 Verkehrstote. Zu viel, fanden Bundesrat und Parlament und handelten. 2013 wurde das Strassenverkehrsgesetz verschärft und ein neuer Raserartikel geschaffen: Via Sicura hiess das Gesetzespaket; sicherer Weg. Das zeigte Wirkung. 2019 gab es auf Schweizer Strassen erstmals weniger als 200 Verkehrstote. «Via Sicura rettet Leben», schrieb der Bundesrat schon fast euphorisch in einem seiner Berichte.

Gesetze, die nützen, muss man nicht ändern, könnte man meinen. Ist aber nicht so. Am 1. Oktober tritt ein neues Strassenverkehrsgesetz Strassenverkehr Gnade für Raser in Kraft. Richterinnen können Raser dann weniger hart bestrafen. Bisher drohte Angeklagten eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, der Führerausweis war für zwei Jahre weg. Neu können Gerichte auch milder urteilen, zum Beispiel eine bedingte Geldstrafe aussprechen.

Tempoexzesse werden auf Social Media abgefeiert

Ein falsches Zeichen. 2021 wurden 501 Raser verurteilt, so viele wie noch nie. Zum Vergleich: 2013, als das Rasergesetz frisch eingeführt wurde, waren es erst 51. Klar, man könnte sagen, dass die hohe Zahl von Verurteilungen gerade beweist, dass die scharfen Strafen zu wenig abschrecken. Allerdings liesse sich mit diesem Argument praktisch jede Strafbestimmung aushebeln. Lebenslänglich für Mord? Ist doch völlig übertrieben, wenn in der Schweiz seit Jahren stabil gemordet und gemeuchelt wird. 

Und nur am Rand: Die blosse Zahl der Verurteilten ist sowieso nicht aussagekräftig. Denn die Regierungen und Oberstaatsanwaltschaften entscheiden, wo und für welche Delikte man Geld und Ressourcen einsetzen will. Nicht alle Straftaten werden also gleich konsequent beziehungsweise häufig verfolgt. Entsprechend weniger Verurteilungen gibt es.

Fakt ist: Die Gesetzesänderung kommt zu einer Zeit, in der Tempoexzesse von Autoposern Glosse zu Querulanten Der Lärm der anderen hochstilisiert und in Filmen und auf Social Media abgefeiert werden. Etwa von jenem Lenker, der mit 287 Kilometern pro Stunde auf Zürcher Autobahnen unterwegs war. Das sind 79 Meter pro Sekunde. Oder ein Bremsweg von 489 Metern. Zum Glück war der Fahrer dumm genug, ein Video seiner Fahrt online zu stellen. Dieses sah auch die Polizei. Der Raser wurde angeklagt. Wie man hört, beschäftigt sich die Justiz gerade mit mehreren ähnlich gelagerten Fällen.

Bisher keine Verurteilung von unbescholtenen Bürgern

Wer rast, der macht das nicht aus Versehen. Er gefährdet ganz bewusst das Leben von Arbeitskollegen, Töchtern, Freunden, Menschen.  

Im Parlament wurde bei der Diskussion um das Gesetz vor allem der starre Automatismus kritisiert, dass jeder mit einer Gefängnisstrafe rechnen müsse, egal, wie die Umstände waren. In der Debatte wurde gar das Beispiel des unbescholtenen Bürgers bemüht, dem es doch möglich sein müsse, die in den Wehen liegende Ehefrau möglichst schnell ins Spital zu fahren. Blöd nur, dass kein Fall bekannt ist, in dem ein werdender Vater wegen Rasens verurteilt wurde.

Mit dem neuen Gesetz darf es keinen neuen Automatismus geben. Gerichte dürfen nicht einfach eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr oder eine Geldstrafe aussprechen, nur weil sich jemand im Strassenverkehr noch nie strafbar gemacht hat. Das wäre nach dem neuen Gesetz nämlich möglich. Milde Urteile müssen bei Rasern die absolute Ausnahme bleiben. 

Ich will nie mehr auf eine solche Beerdigung gehen müssen.