In der Schweiz wird nicht oft gestreikt. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Angestellte kollektiv ihre Arbeit niederlegen und ihren Ärger über Budgetkürzungen, Stellenabbau oder ungerechte Arbeitsbedingungen lautstark auf die Strasse tragen. Grosse Streiks wie der Landesstreik 1918 und der erste nationale Frauenstreik 1991 hatten kurz- oder langfristig durchaus politischen Erfolg: etwa die Einführung der 48-Stundenwoche und damit des Achtstundentags, Die Einführung der AHV, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, den Mutterschaftsurlaub und das Gleichstellungsgesetz. 

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2019 liegt wieder Streik in der Luft. «Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut», skandieren Jugendliche und haben eine regelrechte Bewegung vom Zaun gebrochen. Zum weltweiten Klimastreiktag am 15. März sind in rund 80 Ländern über 900 Events geplant, so auch in der Schweiz. Und für den 14. Juni haben Gewerkschaften und Frauenverbände zum zweiten nationalen Frauenstreiktag aufgerufen. 

Viele sympathisieren mit den Forderungen nach mehr Klimaschutz und Gleichstellung Gleichstellung Wo beginnt Diskriminierung? . Wenn man an den Streiks mitmachen will, stellen sich jedoch einige praktische Fragen: Darf ich das überhaupt? Und was für Konsequenzen muss ich befürchten, wenn ich die Arbeit niederlege? Gibt es auch andere Möglichkeiten, mitzuwirken?

Diese Bedingungen müssen erfüllt sein

Seit 1999 steht das Recht auf Streik in der Bundesverfassung. Streiks sind ausdrücklich zugelassen, «wenn sie Arbeitsbeziehungen betreffen und wenn keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen». Ein Gesetz, das das Streikrecht ausführlich regelt, gibt es aber nicht. Laut Bundesgericht müssen die folgenden Bedingungen Streik Droht nun die Kündigung? erfüllt sein, und der Arbeitskampf darf nur als äusserstes Mittel eingesetzt werden: 

  • Der Streik muss von einer Arbeitnehmerorganisation getragen werden, die mit der Arbeitgeberseite Verhandlungen über Arbeitsbedingungen führen kann.
  • Der Streik muss durch einen Gesamtarbeitsvertrag regelbare Ziele verfolgen, also beispielsweise höhere Löhne oder ein früheres Pensionierungsalter.
  • Der Streik darf nicht gegen eine bestehende (etwa im Gesamtarbeitsvertrag verankerte) Friedenspflicht verstossen. Dann verpflichtet der Gesamtarbeitsvertrag, das Streiken zu unterlassen.
  • Der Streik muss verhältnismässig sein.
Eine andere Art von Streik

Mit dem Frauenstreik bewegt man sich in einer Grauzone, denn es werden grundsätzlich alle Frauen dazu aufgerufen, am Streik teilzunehmen, egal in welcher Branche und ob sie einem Gesamtarbeitsvertrag unterstehen oder gar keiner bezahlten Arbeit nachgehen. Dieser Streik ist also anders, als wenn Arbeitnehmer eines einzelnen Spitals, eines Bauunternehmens oder einer Berufsgruppe wie Bus- und Tramchauffeure ihre Arbeit niederlegen.

Konkrete Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen würden jedoch schon gefordert, sagt Christine Flitner, Zentralsekretärin bei der Gewerkschaft VPOD (siehe zum Beispiel die Liste des Gewerkschaftsbundes SGB). «Aber natürlich ist beides drin – es gibt auch die eher generelle Forderung, dass es bei bezahlter und unbezahlter Arbeit Fortschritte braucht und die Diskriminierung von Frauen Gewinnerin des Prix Courage Diskriminierte Ärztin wartet weiter auf Lohn in allen Bereichen eliminiert werden muss.» 

Ist der Streik legal?

Die erste Bedingung für die Zulässigkeit des Streiks ist erfüllt, denn zahlreiche Gewerkschaften rufen dazu auf. Der zweite Punkt mit den durch Gesamtarbeitsverträge (GAV) regelbaren Zielen ebenso, denn die Organisationen haben konkrete Forderungen formuliert. Wo eine Arbeitnehmerorganisation aber schon GAV abgeschlossen hat, gibt es Ausnahmen, denn dann darf nicht gegen die Friedenspflicht verstossen werden.

«Wir würden nicht dazu aufrufen, für etwas zu streiken, das schon im GAV geregelt worden ist», sagt Flitner. In einem Infoblatt weist die Gewerkschaft VPOD auch darauf hin, dass die Verfassung das Streikrecht in bestimmten Fällen einschränken kann. Nämlich «um überlebenswichtige Dienste (Einsatzbereitschaft von Rettungsdiensten, Feuerwehr, Polizei usw.) sicherzustellen». 

Bei der Frage, ob dieser Streik legal ist, gehen die Meinungen auseinander. Denn er hat nicht nur arbeitsrechtliche, sondern eben auch politische Dimensionen. Und ein Streik zur Durchsetzung politischer Ziele ist unzulässig. Flitner hält dem entgegen, dass man ja nicht ein ganzes politisches System über Bord werfen wolle und dass arbeitsrechtliche Forderungen klar überwiegen. Sie argumentiert ausserdem, dass man die Legitimität des Frauenstreiks direkt aus der Bundesverfassung ableiten könne: da die Gleichstellung de facto vielerorts nicht umgesetzt werde, diene das Verfassungsrecht auf Streik dazu, die ebenfalls verfassungsrechtliche Gleichstellung durchzusetzen.
 

«Es gibt Freizeitaktivitäten, bei denen sich der Arbeitgeber nicht einzumischen hat. Das muss man unterscheiden, sonst könnten alle während der Arbeitszeit für irgendetwas auf die Strasse gehen wollen.»

Fredy Greuter, Mediensprecher des Arbeitgeberverbands


Fredy Greuter, Mediensprecher des Arbeitgeberverbandes, zieht beim Frauenstreik jedoch eine Trennlinie: «Es gibt die Welt der Wirtschaft und die Arbeitswelt, in der Mitarbeiter eine vertragliche Leistung erbringen. Und es gibt Freizeitaktivitäten, bei denen sich der Arbeitgeber nicht einzumischen hat. Das muss man unterscheiden, sonst gibt es einen Dammbruch, und alle könnten während der Arbeitszeit für irgendetwas auf die Strasse gehen wollen.»

Der Arbeitgeberverband ist grundsätzlich der Meinung, dass Demonstrationen für gesellschaftliche Fragen – egal wie sympathisch das Anliegen ist – nicht als Arbeitszeit anrechenbar seien und in die Freizeit gehören. Genauso wie bei den Klimastreiks. Aber es gelte natürlich auch der gesunde Menschenverstand. «Wenn man als Arbeitgeber zum Schluss kommt, dass der Frauenstreik ein interessantes Thema für die Belegschaft ist, kann es zum Beispiel an einer Mitarbeiterversammlung oder an einer internen Veranstaltung angesprochen werden. Für einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können im Gespräch mit den Vorgesetzten allenfalls auch individuelle Lösungen gefunden werden. Beispielsweise könnte für eine Pflegefachfrau in Absprache mit ihrem Team ein Ersatz organisiert werden, damit sie an Aktionen teilnehmen kann.» 
 

Was für Konsequenzen gibt es?

Der Arbeitgeberverband findet es falsch, Demonstrierende auf öffentlichem Grund zu sanktionieren. «Aber klar ist auch, dass die Zeit, während der die Person nicht am Arbeitsplatz ist, kompensiert oder mit Lohnabzug abgegolten wird», sagt Greuter.  

Irene Darwich, Mitglied der Geschäftsleitung der Gewerkschaft Syna, sagt, der Arbeitgeber könne nicht verhindern, dass jemand am Streik teilnehme. Aber den Lohn für den Tag müsse er tatsächlich nicht zahlen. Konsequenzen könnten von einer Abmahnung bis zur (fristlosen) Kündigung reichen. Ein Arbeitgeber könne das Fernbleiben als Verletzung der Treuepflicht sehen und deshalb zu dieser drastischen Massnahme greifen. Bei «regulären» Streiks wäre das missbräuchlich Missbräuchlich oder nicht Kann der Chef einfach die Kündigung aussprechen? .

Die Gewerkschaften beurteilen die Missbräuchlichkeit einer Kündigung beim Frauenstreik aber unterschiedlich. Darwich von der Syna sagt, das sei hier nicht der Fall, weil es eben eine Grauzone zwischen politischem und arbeitsrechtlichem Streik sei. Der VPOD vertritt den Standpunkt, dass eine solche Sanktion durchaus als missbräuchlich ausgelegt werden könne. Aber: Auch eine missbräuchliche Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis, man könnte höchstens eine Entschädigung erstreiten.

Verschiedene Formen der Teilnahme

Deshalb empfiehlt Syna den Frauen, sich mit dem Arbeitgeber abzusprechen. Wenn man nicht frei bekomme, gäbe es auch andere Möglichkeiten, teilzunehmen. «Das Ziel ist, dass möglichst flächendeckend für das wichtige Anliegen der Gleichstellung sensibilisiert wird. In welcher Form auch immer.» So könne man zum Beispiel in einer verlängerten Mittagspause mitmachen oder auch an Veranstaltungen am Abend gehen. Es gebe von den verschiedenen Organisationen auch Streikarmbänder und Buttons, die man während der Arbeit tragen könne, um sich mit dem Ziel des Frauenstreiks zu solidarisieren.

Christine Flitner vom VPOD pflichtet ihr bei und unterstreicht, dass es zahlreiche Varianten gebe, am Frauenstreik teilzunehmen, ob man nun mit dem Arbeitgeber über Verbesserungen bei der Vereinbarkeit diskutiere, abends mitdemonstriere, intern Veranstaltungen zum Frauenstreik organisiere oder ein Plakat aufhänge. Gespräche zum Thema zu führen sei wichtig, am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit.

Für alle, die streiken wollen, leistet die Arbeitnehmerorganisation Hilfestellung: «Unsere Mitglieder bekommen Rechtsschutz und anwaltschaftliche Vertretung, wenn es wegen ihrer Abwesenheit Sanktionen gibt. Und weil wir offiziell zu diesem Streik aufrufen, zahlen wir bei Lohneinbussen auch teilweise Taggelder.»

Klimastreik ist kein klassischer Streik

Beim Klimastreik ist der Fall klar: es gibt keine direkten arbeitsrechtlichen Forderungen und keinen Arbeitnehmerverband, der dazu aufruft. Und deshalb gilt das Streikrecht in diesem Fall nicht. Das sagt auch Pascal Kipf, Mitglied der Klimastreik-Bewegung. «Wir sind uns natürlich bewusst, dass wir nicht im arbeitsrechtlichen Sinn streiken können. Dafür fehlen uns auch Ressourcen und das Knowhow. Wir nutzen aber die symbolische Bedeutung des Streikens.»

Einen ordentlichen Streik zu veranstalten, setze viel Bürokratie voraus, wie zum Beispiel ein offizielles Streikkomitee. Wenn man das nicht biete, sei es ein wilder Streik und man würde sich strafbar machen. «Deshalb rufen wir auch nicht dazu auf, dass die Interessierten ihre Arbeit niederlegen. Unser Streik ist eher eine Kundgebung. Sie gewinnt aber dadurch an Relevanz, dass sie eben unter der Woche stattfindet, während der Schul- und Arbeitszeit.» Natürlich hofft die Bewegung trotzdem darauf, dass viele zum weltweiten Klimastreik vom 15. März kommen Klimaschutz Streikt mit, ihr Eltern! . Aber damit auch Lernende und alle anderen erwachsenen Arbeitnehmerinnen trotzdem mitmachen können, finde jeder zweite Aktionstag an einem Samstag statt. 

Viele Kantone stellen Spezialregeln auf

Auch fürs Schule schwänzen gibt es Sanktionen. Wie die verschiedenen Lehrerinnen und Lehrer mit den streikenden Jugendlichen umgehen, hat deshalb in den letzten Wochen für einige Schlagzeilen gesorgt. 

Das Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt hat in der Zwischenzeit in Zusammenarbeit mit den Schülern den Umgang mit den Absenzen geregelt und Rahmenbedingungen festgelegt, wie verschobene Unterrichtsstunden oder Kompensation der verpassten Lerninhalte. 

Auch im Kanton Bern hat die Erziehungsdirektion unterdessen mit den Schulleitungen Regeln für die Schülerstreiks erarbeitet. So hätten die Schülerinnen und Schüler sowieso 5 Halbtage pro Schuljahr zur Verfügung, um ohne Begründung fernzubleiben. Diese könnten für die Klimastreiks eingesetzt werden. Alternativ könne mit der Schulleitung eine Kompensationsleistung, wie ein grösserer Unterrichtsbeitrag zum Grund der Absenz oder einem gesellschaftlichen Thema erarbeitet werden – etwa zur nachhaltigen Entwicklung oder zur Gleichstellung von Mann und Frau. Die Erziehungsdirektion des Kantons Bern hält zudem explizit fest, dass sie «das Interesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen für politische Themen freut – die politische Bildung gehört ja zum Bildungsauftrag der Schule».

Bei der Bildungsdirektion des Kantons Zürich verweist man auf das Mittelschulgesetz und die Disziplinarregeln für Gymnasien, nach denen allfällige Sanktionen zu verhängen seien. Spezifische Empfehlungen zum Thema Klimastreik habe man keine.

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