Lieber Wurst essen als Moralapostel sein
Soziale Kontrolle führt nicht zu einer klimafreundlichen Ernährung. Im Gegenteil. Das zeigt ein Experiment mit Studierenden.
Veröffentlicht am 31. Juli 2023 - 11:57 Uhr
Promis, die nach Plastik fischen, Politikerinnen, die Bäume pflanzen. Wer etwas für die Umwelt tut, verbirgt das meistens nicht.
Anders ist es, wenn es darum geht, auf Fleisch zu verzichten. Zwar schont Tofu statt Steak nachweislich Umwelt und Klima. Sich damit exponieren – das wollen viele aber offenbar nicht. Das zeigt eine Studie der Uni Kassel in Deutschland.
Öffentlichkeit macht «Vegi» unattraktiver
Als Dankeschön, dass sie an einer Umfrage teilgenommen hatten, wurde 500 Studentinnen und Studenten ein Gutschein für ein Sandwich in Aussicht gestellt. Dabei konnten sie angeben, ob sie lieber ein Fleisch- oder ein Vegisandwich wollen.
Eine Gruppe wurde zusätzlich informiert, dass Fleischessen negative Folgen fürs Klima hat. Diese entschied sich danach seltener für das Fleischsandwich als die Nichtinformierten. So weit, so erwartbar.
Eine andere Gruppe wurde nicht nur über die negativen Umweltfolgen von Fleisch informiert. Es hiess zudem, dass man die Wahl nachher laut vor den Mitstudierenden wiederholen solle. Der Effekt: Diese Gruppe wählte am seltensten die Vegivariante – und viele verzichteten gleich ganz aufs Sandwich.
«Im ersten Moment hat uns das Resultat überrascht», sagt Studienautorin Eva Weingärtner, Forscherin für Umwelt- und Verhaltensökonomik. Klima- und Umweltschutz seien vielen jungen Menschen wichtig. Und meist würden sie das auch offen zeigen.
Beim Thema Fleisch hingegen scheint es anders zu sein. «Viele möchten nicht als Moralapostel wahrgenommen werden, die mit ihrem Verhalten den anderen ein schlechtes Gewissen machen», sagt Forscherin Weingärtner. Andere könnten besorgt sein, ihre zur Schau gestellte Moral werde als aufgesetzt empfunden. «Essen gilt als etwas Persönliches und hat eine grosse kulturelle Bedeutung . Da scheint die Furcht gross zu sein, andere in irgendeiner Form zu bevormunden.»
Regeln für alle bewirken mehr
500 Studierende sind nicht repräsentativ. Trotzdem kann die Studie Hinweise an Behörden und Unternehmen geben. Die negativen Folgen des Fleischkonsums lassen sich nicht wegdiskutieren. Immer mehr Städte, Gemeinden und Unternehmen versuchen deshalb, ihre Angestellten zu einer weniger fleischlastigen Ernährung anzuregen. «Unsere Studie zeigt, dass Information hilft, Moral aber schnell kontraproduktiv wirkt», sagt Co-Autorin Astrid Dannenberg.
Wenn eine Kantine also den CO2-Ausstoss ihrer Menüs prominent anzeigt, kann das dazu führen, dass manche Gäste in eine andere Kantine ausweichen. Wenn man das Verhalten der Menschen ändern wolle, brauche es staatliche Regeln, sagt Dannenberg. «Wenn alle Kantinen und Restaurants den Klimaabdruck ihrer Menüs anzeigen müssen, können sich die Gäste dem nicht einfach entziehen.»
11 Kommentare
Es scheint wie immer, alles wird über einen Leisten gezogen. Wird das Fleisch, nach dem man den Regenwald abgeholzt hat zwei, drei Jahre lang aus Südamerika um die halbe Welt geschippert um im Steakhaus ein saftiges hormonbelastetes 300gr Steak zu konsumieren, oder kommt es von der Weide nebenan oder von einer Alp? Wie würden unsere Bergregionen aussehen, wenn sie nicht bewirtschaftet werden? Oder würde in unseren Graswirtschaften doch Soja (für unsere ach so umweltschützenden Veganer) und Weizen wachsen um unser Umweltgewissen zu beruhigen? Keine Frage die immensen Futtermittelimporte sind inakzeptabel nur um letztendlich unsere Trinkwasserreservoire, im wahrsten Sinne des Wortes zu „versauen“. Aber ein wenig diversifiziertes Denken kann nie schaden.
Mit der CO2-Angabe bei Menus kann ich nichts anfangen. Wie viele Annahmen dafür getroffen werden, um dies zu berechnen, ist offen, auch wenn es heute eine allgemein "akzeptierte" Berechnungsweise geben mag. Auch ist CO2 nur ein von vielen Aspekten. Viel wirksamer wäre der Hinweis darauf, wie viel Agrarland die eine Ernährungsweise gegenüber der anderen benötigt. Und das muss auch nicht auf der Menukarte stehen, sondern schlicht allgemein verbreitet werden.
Dass so viele Leute nicht öffentlich zeigen wollen, dass sie aus ökologischen Gründen bei diesem Versuch auf Fleisch verzichten und deshalb einfach Fleisch wählen, ist schon traurig genug. Dass damit zudem Tieropfer in Kauf genommen werden auch nur um nicht als Moralapostel zu erscheinen macht das ganze noch viel schlimmer. Man stelle sich vor: Man fördert die Tötung fühlender Individuen nur um nicht zuzugeben, dass man sie eigentlich schonen möchte...
Ich esse alles was ich bezahlen kann.