Es geht an die Existenz
Adam Quadroni kämpft um seinen Ruf – und um seine Kinder. Dabei gerät er an einen Richter, dessen Objektivität bezweifelt wird.
Veröffentlicht am 11. April 2019 - 15:59 Uhr,
aktualisiert am 10. April 2019 - 08:59 Uhr
Adam Quadroni wollte nur das Richtige tun. Seine Aussagen führten 2017 dazu, dass das Bündner Baukartell aufflog. Seither wird der 49-jährige Whistleblower dafür abgestraft. Selbst seine Kinder müssen als Druckmittel herhalten. «Meine Gegenspieler hoffen wohl, dass ich mir doch noch das Leben nehme oder sonst eine Dummheit anstelle», sagt er. «Aber den Gefallen, den werde ich ihnen nie und nimmer tun.»
Regionalgerichtspräsident Orlando Zegg unterstellt ihm genau das: Suizidgefährdung und Gewaltbereitschaft. Er ist nicht nur Quadronis Konkursrichter, sondern auch Familienrichter im Eheschutzverfahren, bei dem es insbesondere darum geht, wo die drei Kinder der Quadronis leben sollen.
2015 hat Zegg das erste Mal versucht, Quadroni in eine Klinik einweisen zu lassen . Doch der Hausarzt sah gemäss Gutachten keinerlei Anzeichen einer Suizidgefährdung, genauso wenig der zuständige psychiatrische Dienst.
Am 15. Juni 2017 nahmen Sicherheitspolizisten in Antiterrormontur und mit gezückten Waffen Quadroni auf offener Strasse fest. Mit Verdacht auf «akute Suizidalität, Hinweise auf einen geplanten erweiterten Selbstmord und häusliche Gewalt» wurde er in die psychiatrische Klinik Waldhaus in Chur überführt. Erst dort erfolgte die Einweisung durch seinen Hausarzt. Ein fragwürdiges Vorgehen, das auch formell widerrechtlich war.
Wer die Zwangseinweisung veranlasste, ist bis heute unklar. Die Polizei weigert sich, die Protokolle herauszugeben. Festnahme und Einweisung sind Gegenstand einer Administrativuntersuchung. Ein Strafverfahren «gegen unbekannt» auf Anzeige des Polizei- und Justiz direktors ist hängig.
Annamaria Quadroni war an diesem Tag mit den Kindern ins Frauenhaus nach Chur geflüchtet. Aus Angst vor ihrem Mann, wie sie sagte. Bei der polizeilichen Einvernahme im August sagte sie aber zum Vorfall vom 15. Juni, ihr Mann sei «ein gewaltfreier, ein sanfter Mensch». Gegenüber dem Beobachter wollte sie sich nicht äussern.
Vier Tage nach seiner Einweisung wurde Quadroni aus der Psychiatrie entlassen. Nicht einer der involvierten Psychiater bestätigte, dass ein Verdacht auf Suizidgefährdung oder die Möglichkeit einer Drittgefährdung bestand. Richter Orlando Zegg unterzeichnete fünf Wochen später trotzdem eine superprovisorische Verfügung, die es dem Familienvater untersagte, sich seiner Frau und seinen Kindern auf mehr als 100 Meter zu nähern. Das Verbot wurde sechs Wochen später aufgehoben.
Kurz vor Weihnachten 2018 untersagte Richter Zegg dem Familienvater – er hat am 24. Dezember Geburtstag –, seine Kinder über die Festtage zu sehen. Am 21. Dezember schrieb Zegg an Quadronis Hausärztin Iris Zürcher, ein Gutachter befürchte, dass der Entscheid eine negative Veränderung von Adam Quadronis psychischem Zustand bewirken könne. Sie werde deshalb dringend aufgefordert, umgehend die nötigen Vorsichtsmassnahmen einzuleiten oder zu ergreifen. Heisst: Sie soll ihn in eine Klinik einweisen lassen. «Dazu sah ich aber keinerlei Veranlassung», sagt Iris Zürcher.
«Es fehlten nur noch die Scharfschützen auf den umliegenden Dächern.»
Jean-Pierre Menge, ehemaliger Anwalt von Quadroni
Den Generalverdacht, Quadroni sei gewaltbereit und suizidgefährdet, liess Zegg nicht fallen. Auch eindreiviertel Jahre später fliessen die nie bestätigten, entkräfteten Vorwürfe in seine Entscheide ein. Im letzten – es ging unter anderem um die Obhut und das Besuchsrecht – zweifelt der Richter die Aussagekraft des Gutachtens von Hausärztin Zürcher an, die Quadroni psychische Stabilität bescheinigte. Es habe «wenig Aussagekraft».
An der vorläufig letzten Verhandlung Anfang Dezember 2018 war Quadronis «Gefährlichkeit» erneut ein Thema. Alle Beteiligten wurden vor dem Gerichtssaal mit einem Metalldetektor abgetastet und mussten ihre Handys abgeben. Während der Verhandlung war ein Kantonspolizist anwesend und machte Notizen, obwohl Eheschutzverfahren eigentlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit stehen. «So was habe ich noch nie erlebt. Man kam sich vor wie in einem Mafiaprozess», sagt Quadronis damaliger Anwalt Jean-Pierre Menge, der das Mandat mittlerweile aus Altersgründen abgetreten hat. «Es fehlten nur noch die Scharfschützen auf den umliegenden Dächern.»
Auch im Eheschutzverfahren kam es zu Ungereimtheiten. «Mein grösster Wunsch ist es, dass die Kinder dort leben können, wo sie vorher glücklich lebten und leben wollen. Doch ich habe beste Gründe, anzunehmen, dass ihr Wunsch ignoriert wird», sagt der Vater.
Im Rahmen eines Gutachtens des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes Graubünden wurden Videodokumente erstellt, darunter von einem Gespräch mit Quadroni und seinen Kindern. Er sagt, die Aufnahmen würden beweisen, dass er nie laut oder brutal war und die beiden jüngeren Töchter gern wieder zu ihm nach Ramosch ziehen würden. Doch Zegg verweigerte die Herausgabe der Aufzeichnungen an Quadroni, trotz seines Rechts auf Akteneinsicht. Es handle sich um «interne Akten, die lediglich der internen Meinungsbildung dienten». Sie hätten «keinen Beweischarakter », so Zegg.
Die zuständige Beiständin kümmert sich erst nach mehreren Rügen darum, wie der persönliche Umgang gerichtlich geregelt ist. Statt die Kinder nach ihren Wünschen zu befragen, erkundigte sie sich mehrmals ausschliesslich bei der Mutter. Sie weigerte sich gar, die Kinder zu fragen, ob und wo sie ihren Vater treffen wollen. Das dokumentieren E-Mails. Auch die von Richter Zegg eingesetzte Kinderanwältin stützte ihr Gutachten vorwiegend auf Aussagen der Mutter. Zegg vernahm die Kinder gleich selber, in der Wohnung der Mutter. Ein unter Fachleuten umstrittenes Vorgehen.
Die Kesb verweigerte wochenlang die Herausgabe der Akten, wegen «zu grosser Arbeitslast». «Die Zustellung von ordentlich geführten Akten bringt keinen nennenswerten Aufwand mit sich», wundert sich Quadronis Anwalt Angelo Schwizer.
Wenn die Mädchen ihren Vater in Ramosch besuchen, werden die vier Stunden Reisezeit der Besuchszeit zugerechnet. Quadroni würde sie gern selber abholen, um mehr Zeit mit ihnen zu verbringen, doch das ist ihm verboten. Er «fahre zu gefährlich», hätten die Kinder erzählt. Das sage die Mutter, so die Beiständin.
Zeggs Voreingenommenheit drückt sich auch in Kleinigkeiten aus. In einem Urteil begründet er seinen Entscheid damit, dass Quadroni «seine Opferrolle als Whistleblower richtiggehend zelebriere».
Quadronis Anwälte halten Richter Orlando Zegg für befangen. Ein Ausstandsbegehren ist beim Kantonsgericht hängig. Zegg zog die Hauptverhandlung Anfang Dezember trotzdem durch. «Es ist mehr als ungewöhnlich, dass die Hauptverhandlung bei einem hängigen Ausstandsverfahren vom betroffenen Richter durchgeführt wurde», sagt Regina Kiener, Spezialistin für Verfahrensrecht an der Universität Zürich.
Gründe für einen Ausstand gibt es viele. Etwa Zeggs enge Beziehungen zur Engadiner Bauwirtschaft und anderen Profiteuren des Kartells (lesen Sie auch: Korruptionsverdacht: Das Bündner Baukartell und die geheimen Listen ). 2012 war der damals 33-jährige Orlando Zegg mit überwältigender Mehrheit ins Amt des Präsidenten des Bezirksgerichts Inn gewählt worden. Sein Unterstützungskomitee liest sich wie das Who’s who der Region – Gemeindepräsidenten, Grossräte und natürlich Angehörige der Bauwirtschaft.
An vorderster Front der Chef des Baukartells: der damalige Grossrat und Chef des lokalen Baumeisterverbands Roland Conrad.
Auch der amtierende Regierungspräsident Jon Domenic Parolini unterstützte die Wahl von Zegg. Der BDP-Berufspolitiker war damals Gemeindepräsident von Scuol und in dieser Funktion schon 2009 von Quadroni auf das Kartell aufmerksam gemacht worden. Doch er ignorierte die Hinweise.
Orlando Zegg wusste seit Anfang 2013, dass sein Amtsvorgänger, Ex-Gerichtspräsident und Laienrichter Georg Buchli, in das Kartell verwickelt war. Buchli betrieb hauptberuflich eine Baufirma in Sent. Er hatte an den Treffen des Baumeisterverbands teilgenommen, an denen Aufträge verteilt und Preise abgesprochen wurden. Etliche von Buchlis Mitarbeitern, die teils selber mit der Bauwirtschaft verbandelt und immer noch am Gericht beschäftigt sind, wussten davon. «Zum Amtsantritt legte ich Zegg die gleichen Unterlagen vor wie 2009 dem kantonalen Tiefbauamt und Jon Domenic Parolini, und gab sogar einige Listen ab», sagt Adam Quadroni. Unternommen hat Zegg bis heute nichts. Zeggs Vater und Onkel betreiben eine Transportfirma.
«Um einem Ausstandsbegehren stattzugeben, braucht es objektive Gründe. Die müssen aber nicht die tatsächliche Befangenheit, sondern lediglich den Anschein einer Befangenheit oder die Gefahr einer Voreingenommenheit belegen», sagt die Verfahrensrechtlerin Regina Kiener. «Vor diesem Hintergrund lässt sich kaum mehr ernsthaft begründen, dass Quadronis Ansprüche auf einen unabhängigen Richter und ein faires Verfahren gewahrt sind», ergänzt sein Anwalt Angelo Schwizer. Orlando Zegg wollte unter Berufung auf die Verschwiegenheitspflicht keine Stellungnahme abgeben. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Adam Quadroni hat nach wie vor das gemeinsame Sorgerecht für seine Kinder. Anrufen darf er sie höchstens dreimal pro Woche. Alle 14 Tage darf er sie für wenige Stunden sehen. Übernachtungen oder Ferienaufenthalte sind ausgeschlossen.
Der Sprössling des Samnauner Zegg-Clans wurde bereits mit 33 Jahren ins Amt des Regionalgerichtspräsidenten gewählt. Sein Wahlkomitee bestand grösstenteils aus Personen, die direkt oder indirekt mit dem Kartellskandal zu tun hatten.
2 Kommentare
Das ist der Stoff von Dürrenmatts Kriminalgeschichten. Säuhäfeli - Säudechheli heisst's hierzulande.
Herr Quadroni hat ja Nerven, dass er das so lange durchgestanden hat! Schweizer Filzläuse der schlimmsten Ausprägung hätten nicht davor zurückgeschreckt, diesen Mann in den Tod zu treiben... Mir wird richtig schlecht bei dem Gedanken....
Die meisten Schweizer sind stolz auf die Schweizer Juristen und deren Rechtsprechung. Diesen Stolz kann ich leider nicht teilen, vielfach kommen Gedanken zu einer Bananen-Republik auf, die Scham auslösen!