Suizidkapsel Sarco: Rechtslage komplizierter, als man denkt
Die Verhaftungen rund um den erstmaligen Einsatz der umstrittenen Suizidkapsel Sarco wühlen auf. Und es stellt sich die Frage: Was gilt eigentlich in Sachen Sterbehilfe?
Veröffentlicht am 27. September 2024 - 15:19 Uhr
Am Montag starb vermutlich erstmals weltweit ein Mensch in der Suizidkapsel Sarco. Abgeschieden in einem Waldstück im Kanton Schaffhausen.
Seither herrscht helle Aufregung. Auch weil Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider kurz zuvor öffentlich gesagt hatte, Sarco sei aus zweierlei Gründen rechtswidrig.
So soll die Kapsel die Anforderungen des Produktesicherheitsrechts nicht erfüllen, und auch die Verwendung von Stickstoff sei nicht mit dem Zweckartikel des Chemikaliengesetzes vereinbar.
Diese Argumentation ist allerdings fragwürdig: Swissmedic publizierte in einer Medienmitteilung bereits vor Wochen die Einschätzung, dass es sich bei Sarco weder um ein Arzneimittel noch um ein Medizinprodukt handelt.
Damit stützt die Behörde auch ein Gutachten der Sarco-Sterbehilfeorganisation The Last Resort (Der letzte Ausweg). Gemäss einem Bericht der «NZZ» kommt dieses zum Schluss: Weil es sich nicht um ein Medizinprodukt handle, müsse es auch nicht geprüft werden.
Strafverfahren eröffnet
Unabhängig davon hat die Schaffhauser Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren eröffnet. Laut der Medienmitteilung wirft sie den Sarco-Leuten Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord vor.
Konkret geht es dabei um den Artikel 115 des Strafgesetzbuches: «Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmord verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird […] mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.»
Umgekehrt gilt: Assistierte Sterbehilfe aus uneigennützigen Gründen ist erlaubt – sofern der Suizidwillige urteilsfähig ist und die tödliche Substanz ohne Fremdeinwirkung selber einnimmt, wie etwa das Bundesamt für Justiz in einem Leitfaden schreibt.
Doch was sind «selbstsüchtige Beweggründe»? «Damit ist entweder die finanzielle Bereicherung gemeint oder die Verfolgung eines affektiven Motivs, etwa Hass, Bosheit oder Rachsucht», sagt Christopher Geth, Strafrechtsprofessor an der Universität Basel.
Dazu zählen überrissen hohe Gebühren, die eine Kommerzialisierung der Sterbehilfe bedeuten würden, oder etwa die Befreiung von einer als lästig empfundenen Person.
«Ich wäre skeptisch, dass Gerichte einen Sterbehilfeaktivismus wie von den Sarco-Verantwortlichen bereits als egoistische Verhaltensweise einstufen werden.»
Christopher Geth, Strafrechtsprofessor Uni Basel
Bisher wurden dem Sarco-Gründer Philip Nitschke allerdings eher aktivistische Motive vorgeworfen. Er vetrete radikales Gedankengut und setze sich ohne Rücksicht auf geltende ethische Grundsätze für eine möglichst liberale Suizidhilfepraxis ein.
So findet Nitschke etwa, alle zurechnungsfähigen Erwachsenen sollten das Recht auf einen selbst gewählten friedlichen Tod haben – auch wenn sie bei guter Gesundheit sind.
Das widerspricht der Praxis Schweizer Sterbehilfeorganisationen wie Exit. Sie verlangen neben einem unzumutbaren Leiden, dass die Sterbewilligen urteilsfähig sind, nicht aus dem Affekt handeln, mögliche Alternativen kennen, einen dauerhaften Sterbewunsch hegen, nicht beeinflusst sind und den Suizid eigenhändig ausführen.
Damit soll sichergestellt werden, dass eine Freitodbegleitung nicht «das Resultat einer momentanen depressiven Verstimmung oder Krise ist», wie Exit schreibt.
Ob die Sarco-Verantwortlichen nun mit einer Verurteilung rechnen müssen, ist alles andere als gewiss. «Für mich ist fraglich, ob Gerichte einen Sterbehilfeaktivismus, wie er den Sarco-Verantwortlichen vorgeworfen wird, als selbstsüchtig einstufen werden», sagt Strafrechtsprofessor Geth.
Diese Angebote sind schweizweit rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und ihr Umfeld da – vertraulich und kostenlos:
- Dargebotene Hand: Telefon 143, www.143.ch
- Pro Juventute für Kinder und Jugendliche: Telefon 147, www.147.ch
- Adressen von Beratungsangeboten in allen Kantonen: www.reden-kann-retten.ch
- Kurse für Erste Hilfe für psychische Gesundheit: www.ensa.swiss
1 Kommentar
Zur Sterbehilfe die unklare Rechtslage geenden:
Die Bundesverfassung ist wie folgt zu ändern:
Art. 10b Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben
1 Jeder Mensch hat das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Gerichtlich nicht einforderbar ist die finale Sterbehilfe gemäss Absatz 4.
2 Wer aufgrund einer heilbaren psychischen Erkrankung oder einer anderweitig überwindbaren Existenzkrise den in jedem Menschen innewohnenden Lebenserhaltungsantrieb verliert, dem ist Hilfe zur Rückgewinnung seines Lebenserhaltungsantriebes anzubieten, zu gewähren und zu erbringen.
3 Frei von Strafe ist die nichtfinale Hilfe zum selbstbestimmten Sterben, welche der sterbewilligen Person den selbst vorzunehmenden, gewalt-und leidensfreien Tod ermöglicht.
4 Ohne selbstsüchtige Beweggründe ist die finale Hilfe zum selbstbestimmten Sterben frei von Strafe, wenn diese sich ausschliesslich auf den Dauerzustand der eigenen Urteilsunfähigkeit oder der eigenen physischen Handlungsunfähigkeit beschränkt.
a) Sie kann auf einer in freier Urteilsfähigkeit schriftlich verfassten Patientenverfügung beruhen oder, wenn dieser Zustand ohne Patientenverfügung eingetreten ist, in Anwendung gelangen, wenn ein dauerhaft geäusserter oder hinreichend dauerhaft vermuteter Wille der betroffenen Person besteht, mit finaler Sterbehilfe das eigene Leben zu beenden.
b) Sie erfolgt als ärztlich finaler Akt, oder nach den Vorgaben der Verordnung des Bundesrates.
c) Ihre Anwendung erfolgt leidensfrei.
ERLÄUTERUNG UND BEGRÜNDUNG
Selbstbestimmt heisst, (gleich der Begründung des Urteils des deutschen Bundesverfassungsgerichtes vom 26. 2. 2020): In Urteilsfähigkeit frei und unabhängig von Fremdbestimmung, insbesondere bezüglich Alter, Gesundheit oder Erkrankung. Zitat: "Das Recht auf selbstbe-stimmtes Sterben ist nicht auf fremddefinierte Situationen, wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände, oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen, beschränkt. Es besteht in jeder Phase menschlicher Existenz."
Jedoch: Jeder Mensch, gleich welchen Alters, der sich im Zustand physischer und psychischer Gesundheit befindet, trägt in sich den Antrieb auf Lebenserhaltung und Lebensfortsetzung. Kein Mensch in diesem Gesundheitszustand hat Lust auf Sterben, womit auch kein "Damm-bruch" auf Sterbehilfe entstehen kann. BV Art. 10b ist ein verfassungsmässiges Grundrecht, dessen Durchsetzung und Umsetzung durch BV Art. 35 und 36 verfassungsrechtlich geschützt ist. Das heisst: in allen ihren Erlassen müssen Bund, Kantone und Gemeinden (auch Kirchge-meinden und ebenso religiöse Vereine privaten Rechts) dieses Grundrecht achten und schützen. Im Gesundheitswesen und mit Bezug auf dieses tätig, müssen alle juristischen Personen, Körperschaften, (z.B. Vereine, wie die FMH der Ärzte) Anstalten und Stiftungen des öffent-lichen und privaten Rechts (wie Heime und Spitäler und deren Trägerschaften), aber auch die SAMW (Schweizerische Akademie der med. Wissenschaften) dieses Grundrecht achten und schützen.
Jedoch: Mit diesem in der Bundesverfassung (BV) zu verankernden Grundrecht Art. 10b wird kein einziger Mensch, der sich auf schweizeri-schem Territorium befindet zur Inanspruchnahme von Sterbehilfe weder aufgefordert noch verpflichtet. Und ebenso wird auch kein in der Schweiz tätiger Arzt, wie auch tätige Ärztin verpflichtet, Sterbehilfe zu leisten. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, wie sie in BV Art. 15 für jeden Menschen gewährleistet ist, bleibt auch mit BV Art. 10b weiterhin für jeden Menschen (als natürliche Person) unangetastet gewähr-leistet. BV Art. 10b steht im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention auf Selbstbestimmung, EMRK Art. 8, Abs. 1 und auf die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, EMRK Art. 9. Mit BV Art. 10b wird dies lediglich für die gesamte Bevölkerung der Schweiz konkretisiert.
Das Regeln der finalen Sterbehilfe dient insbesondere allen an Demenz oder neuredegenerativ Erkrankten. Wenn ihnen bloss die nichtfinale Sterbehilfe zur Verfügung steht, müssen diese, wenn sie von der Sterbehilfe gebrauch machen wollen, wegen der geforderten Urteilsfähigkeit oft in einem viel zu frühen Stadium ihr Leben abschliessen. Denkbar ist die finale Sterbehilfe auch nach schwerem, ischämischem Hirnschlag oder nach einer Hirnblutung (hämorrhagischer Hirnschlag), welche den Körper zum langleidenden (nicht zwingend mit Schmerzen einherge-henden) Gefängnis machen können, mit unbestimmt langem Leidenszustand und so Schutz bietet vor verdrängter und tabuisierter, unbe-stimmt lang andauernder Menschenquälerei. Ebenso nach schwerstem Hirntrauma oder nach lang leidender Tetraplegie. In der Regel erfordert eine solche Patientenverfügung die beratende Unterstützung durch erfahrene Intensivärzte.
Streng gläubige Menschen und deren Gemeinschaften, gleich welchen Glaubens, sind gegenüber anders Gläubigen wie Nichtgläubigen sowie Andersdenkenden lediglich aufgefordert, die Glaubens- und Gewissensfreiheit unserer Bundesverfassung einzuhalten und zu respektieren.
In der Ablehnung von BV Art. 10b gegenüber andern gelangen jedoch sehr häufig die folgenden psychologischen Abwehrmechanismen zur Anwendung: Die Verleugnung, die Verdrängung, die Verneinung, die Vermeidung, die Projektion und die Rationalisierung. Deren Definitionen finden sich im Internet.
Deshalb an jede Person, welche diesem BV Art. 10b nicht zuzustimmen vermag, die ganz persönliche Frage: Haben Sie sich mit der Frage, wie Sie dereinst (oder vielleicht morgen schon) zu sterben wünschen, bereits ernsthaft auseinandergesetzt, oder sind Sie bis jetzt dieser Frage, sie tabuisierend, ausgewichen? Dieses tabuisierende Ausweichen zeigt sich in den folgenden Redewendungen und Begriffen:
a) GIFT, statt Narkosemittel. Sich vergiften, Gift schlucken. Lässt man sich vor einer Operation bis zur Bewusstlosigkeit und Schmerzun-empfindlichkeit vergiften? Lässt man sein Lieblingstier (wenn man eines hat) vergiften oder einschläfern?
b) SelbstMORD, SelbstTÖTUNG: ERMORDET man sich selbst? MORDEN und TÖTEN sind moralisch verurteilende, abwertende Begriffe des profanen, weltlichen Strafrechts. Mit dem Begriff SelbstTÖTUNG verdeckt und kaschiert man, in verdeckter Transaktion, moralisierend die eigene innere Ablehnung des Rechts anderer auf deren selbstbestimmtes STERBEN. Getraut man sich gesellschaftspolitisch das Verweigern nicht mehr, dann noch die verachtende Entwürdigung. Beide Begriffe missachten Respekt und Achtung der gewährleisteten Glaubens-und Gewissensfreiheit anderer. Glaubensgebunden moralisierend, verweigern diese Begriffe dem selbstbestimmten STERBEN dessen Würde.
c) LebensSATT und LebensMÜDE? In der eigenen Abwehr steckend projiziert man im gesunden Zustand sein eigenes Verweigern, sich mit dem eigenen Sterben zu befassen auf andere, die in einem Prozess der Reifung, sich auf das Ende des eigenen Lebens vorbereitet haben.
d) Sich das Leben NEHMEN. Statt selbstbestimmt das eigene Leben (Gottesgläubigkeit vorausgesetzt) leidensfrei in Gottes Hände zurück-geben, verurteilt man Menschen zu Dieben gegenüber Gott. Mit Sterbehilfe nimmt man sich nicht das Leben, sondern man beendet und bringt es leidensfrei zu einem erfüllten Abschluss. Dazu zu unterscheiden ist der Gewaltsuizid.
e) PASSIVE und AKTIVE Sterbehilfe. Hilfe kann gar nicht passiv sein. Hilfe ist immer ein aktives Verhalten. Mit Vorrang und Vormacht gegenüber den staatlichen Behörden hat die vertretende Ärzteschaft ihr PASSIVES VERHALTEN zur Sterbehilfe zum prägenden, allgemei¬nen Begriff gemacht. Das Begriffsprimat gehört jedoch dem Staat und seinem Recht. Es geht nicht an, dass in der Bundesverfassung ein passives Verhalten der Ärzteschaft zur Rechtsnorm erhoben wird. In der Wahl des Rechtsbegriffes hat sich die Ärzteschaft dem Verfassungs- und Gesetzgeber unterzuordnen und nicht umgekehrt, der Verfassungs- und Gesetzgeber der Ärzteschaft. Die Hilfe zum SELBST¬BESTIMMTEN Sterben kann nicht entweder "passiv" oder "aktiv" sein. Selbsterklärend ist sie entweder nichtfinal oder final.
Diese Verfassungsänderung ist weder extrem noch radikal, sondern nur menschlich, sachlich vernünftig, und schützt die Glaubens- und Gewissensfreiheit jeder Person. Zudem beendet sie die seit dem 26. 2. 2020 durch das deutsche Bundesverfassungsgericht entschiedene grundrechtliche Besserstellung der in Deutschland Lebenden gegenüber jenen in der Schweiz. (https://www.zdf.de/nach…)
Xaver Vonesch, Steinhausen