Werden nun die Medikamente knapp?
Viele Wirkstoffe für Medikamente werden in China produziert. Wegen des Coronavirus standen die Fabriken still. Drohen nun Engpässe in der medizinischen Versorgung?
Veröffentlicht am 2. März 2020 - 11:31 Uhr
Seit Jahren kämpfen Apotheker und Ärzte gegen Lieferschwierigkeiten bei den Medikamenten. Bereits Anfang Jahr, Wochen vor den ersten Meldungen von Coronavirus-Infizierten , fehlten 760 Medikamente in der Schweiz. Und nun hat diese neue Sars-Variante vielerorts die Produktions- und Lieferketten von Wirkstoffen unterbrochen. Kein Wunder also, wenn gerade bei Menschen mit chronischen Erkrankungen die Sorge steigt, ob in den nächsten Wochen und Monaten genügend Medikamente vorhanden sein werden.
Kürzlich warnte die Europäische Medizinagentur EMA vor Versorgungsengpässen und das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte trug zusammen, dass die Wirkstoffe von 153 Medikamenten in der chinesischen Provinz Hubei hergestellt werden. Dort also, wo das Coronavirus ausgebrochen ist. Unter anderem jene für Clozapin, das bei Psychosen eingesetzt wird, und der bei Schockzuständen oder starken Allergiereaktionen eingesetzte Stoff Adrenalin.
«Ja, es stimmt, dass eines der zwei Adrenalin-Produkten seit Mitte Februar nicht verfügbar ist», bestätigt Ueli Haudenschild, der Heilmittel-Verantwortliche beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Ob dieser Engpass bereits im Zusammenhang mit dem Coronavirus steht, sei allerdings nicht klar. Adrenalin steht auf der Liste der lebenswichtigen Produkte.
Deren Hersteller oder Importeure sind verpflichtet, einen gewissen Grundstock des Medikaments ständig an Lager zu haben. Wenn die Bestände knapp werden oder ganz leer sind, müssen sie dies dem BWL melden. «Für die meldepflichtigen Medikamente haben wir bislang keine Meldung erhalten, dass das Coronavirus zu einer weiteren Verknappung geführt hat», sagt Haudenschild. «Wir sehen allerdings nur einen Ausschnitt des gesamten Medikamenten-Marktes, weil nur die gemäss Verordnung lebenswichtigen Arzneimittel gemeldet werden müssen.»
Dass es bei Medikamenten für Epileptiker, Parkinson- oder Herzpatienten aber auch bei Produkten wie einfachen Schmerzmitteln
seit Jahren Probleme bei der Versorgung gibt, ist bekannt. «Wir versuchen uns immer wieder auf der politischen Bühne Gehör zu verschaffen, bislang hat es aber nie jemanden ernsthaft interessiert – obwohl wir alle in hohem Mass betroffen sind», sagt Enea Martinelli. Der Chef-Apotheker der Spitäler Frutigen, Meiringen und Interlaken hat vor vier Jahren die
Versorgungs-Engpass-Liste für alle verschreibungspflichtigen Medikamente entwickelt und etabliert, quasi als Pendant zu den lebensnotwendigen Medikamenten.
«Menschen, die ständig auf Medikamente angewiesen sind, sollten sich einen Vorrat für drei Monate zulegen.»
Enea Martinelli, Chefapotheker der Spitäler Frutigen, Meiringen und Interlaken
«Viele Menschen mit chronischen Erkrankungen haben schon in den vergangenen Monaten erfahren, wie aufreibend es ist, wenn sie einen neuen Wirkstoff suchen müssen», sagt Martinelli. Wenn ein bestimmtes Schmerzmittel nicht mehr verfügbar sei, können Patienten problemlos auf ein anderes Präparat ausweichen, ohne dass dies gesundheitliche Folgen für sie hat. Für Epileptiker bedeutet ein neues Medikament unter Umständen aber, dass sie Anfälle erleiden und nachher monatelang nicht Auto fahren dürfen, bis die richtige Dosierung mit der neuen Arznei gefunden ist. «Diese Patienten haben bereits jetzt einen Beschaffungsstress, durch das Coronavirus wird sich die Lage vermutlich ab April oder Mai noch verschärfen», sagt Martinelli.
Für Menschen, die ständig auf Medikamente angewiesen sind, sei es also ratsam, sich einen Medikamenten-Vorrat für drei bis vier Monate zuzulegen, sagt Martinelli. «Obwohl die Krankenkassen eigentlich maximal drei Monate aufs Mal vergüten, konnten wir jetzt in Einzelfällen schon aushandeln, dass der Patient Medikamente für sechs Monate einkaufen konnte», sagt Martinelli. Wichtig sei bei chronisch erkrankten Personen in der jetzigen Situation vor allem, dass sie sich rechtzeitig um Nachschub ihres Medikaments bemühen. «Wenn man eine neue Packung kaufen will, wenn man gerade die letzte Tablette aufgebraucht hat, ist das momentan nicht so günstig.»
Martinelli ruft aber auch dazu auf, Vernunft walten zu lassen. «Menschen ohne Erkrankung sollten keine Medikamente auf Vorrat kaufen, sie nehmen die Präparate denen weg, die sie dringend benötigen.» Sollte man als gesunder Mensch dennoch in den nächsten Monaten erkranken, so seien immer genügend Medikamente vorhanden. «Für Menschen, die auf ein bestimmtes Medikament angewiesen sind, könnte es aber kritisch werden, wenn nun alle in die Apotheke rennen und Hamsterkäufe tätigen», sagt Martinelli.
Doch was passiert, wenn die Lieferengpässe aus China länger dauern? Kann die Schweizer Bevölkerung dann noch medizinisch versorgt werden? «Das genaue Ausmass der Lieferengpässe lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen, weil wir nicht wissen, welcher Wirkstoff nicht mehr produziert wurde», sagt Ueli Haudenschild vom BWL. Der Bund gehe aber davon aus, dass die eingelagerten Bestände bei den Produzenten ausreichten, um die Notfallversorgung sicherzustellen.
Wenn die Bestände aber tatsächlich leer würden und kein anderer Produzent ein vergleichbares Produkt liefern könne, wären auch dem Bund die Hände gebunden. «Wir können keine Medikamente beschaffen, wenn sie am Markt nicht mehr erhältlich sind.»
Enea Martinelli ergänzt, dass die Armee insbesondere die chronisch kranken Menschen nicht mit Medikamenten versorgen könne. «Es ist ein Wunschdenken gewisser Politiker, dass die Armeeapotheke die Spitäler im Notfall im grossen Stil mit Medikamenten versorgen könnte.» Wirkstoffe herstellen kann diese nämlich nicht. «Und selbst bei den wenigen Wirkstoffen, die vorhanden sind: Bis daraus einsatzfähige Medikamente entstanden sind, dauert es eine Weile», erklärt Martinelli. Das Sortiment beschränke sich auf wichtige lebensnotwendige Medikamente für Akutstationen und nicht für chronische Krankheiten.
- Menschen, die auf ein Medikament angewiesen sind, sollten immer eine unangebrochene Packung auf Vorrat zu Hause haben. Bei bekannten Lieferschwierigkeiten evtl. mehr. Allerdings nicht mehr als für 6 Monate, da die Medikamente unter Umständen ablaufen oder eine Therapie in der Zwischenzeit umgestellt werden könnte. Dann müssten die Medikamente entsorgt werden.
- Bei bekannten Lieferschwierigkeiten rechtzeitig mit dem Arzt Rücksprache nehmen, welches Medikament als Ersatz eingenommen werden kann.
- Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung rät gesunden Menschen, eine Packung Kopfschmerztabletten zu Hause vorrätig zu halten sowie eine Packung fiebersenkende Medikamente.
2 Kommentare
Gegen Hamsterkäufer gibt es eine einfache Methodik, zentrales Register pro Patient anlegen, wo man sieht wieviel wovon er konsumiert und pro Patient nicht mehr als eine gewisse Anzahl des Mittels abgegeben werden darf.
Aber die Unsitte - schnell, billig, qualitativ schlecht - muss abgestellt und Medikamente wieder in der Schweiz hergestellt werden.
Dieses Szenario war doch voraussehbar.
Der Bundesrat, statt unsinnige, Fasnachtsverordnung zu erlassen sollte gescheiter Pharmafirmen zwingen, in der Schweiz zu produzieren! China ist ein so unsicheres Land - wie Treibsand.
1.) die sozialistische unterdrückerische Regierung - die zur Zeit Christen verfolgt. Was will man mit so einem unzuverlässigen Partner?
2.) Chinesische Firmen neigen dazu die Medikamente mit billig krebsfördernden Mitteln zu strecken, denken wir nur im Sommer an diesen aufgedeckten Skandal.
Aber in der heutigen schnellebigen Zeit mit Smartphones und sofortiger Bedürfnisbefriedigung, lernt der Homo sapiens nichts mehr aus Fehlern, sondern tappt wie ein juveniler Alzheimer von einer Katastrophe in die andere. Geiz ist eben nicht geil sondern gefährlich.
Ich stimme Ihnen zu, dass die Unsitte - schnell, billig, qualitativ schlecht - abgestellt werden muss. Man muss dann aber auch bereit sein, entsprechend dafür zu bezahlen. Jetzt rächt sich das Hohelied, das auch hier noch vor Kurzem im Beobachter gesungen wurde, wenn immer möglich, Generika einzusetzen. Gerade der Preisdruck, der dadurch entstanden ist, hat zur Situation geführt, dass die Wirkstoffe dafür aus Billiglohnländern eingekauft werden. Es sind ja nicht nur die Pharmafirmen, die an den Medikamenten verdienen. Vor einiger Zeit habe ich ein Interview mit dem Leiter einer deutschen Generikafirma gelesen. Er hat aufgezeigt, wie sich die Kosten der Generika verteilen. Am meisten davon erhalten die Apotheken, zusammen mit den Grosshandelsfirmen, welche die Apotheken beliefern. Als nächstes kommt der Staat über die Mehrwertsteuer. Erst dann kommt die Pharmafirma, welche damit die Kosten für Entwicklung, Produktion inklusive Anlagen, Rohstoffen und Personal, Verpackung und Registrierung decken muss. Dass man da am ehesten an den Rohstoffen sparen kann, ist verständlich.
Und dass Medikamente wieder in der Schweiz hergestellt werden müssen, ist illusorisch. Dafür fehlt die Infrastruktur und die entsprechenden Anlagen müssten erst wieder gebaut und bei den Behörden angemeldet und durch sie bewilligt werden, was nicht gratis zu haben ist. Zudem sind nur ein kleiner Teil der Medikamente, die in der Schweiz benötigt werden, je in der Schweiz hergestellt worden. Und ausländische Firmen dazu zu bringen, in der Schweiz zu produzieren, kann man vergessen, dazu ist der schweizerische Markt schlicht zu wenig bedeutend.