Xavier Kohll drückt auf den roten Buzzer. Dann beginnt es zu pumpen. Ruhig, gleichmässig, immerfort. Weicher Kautschuk, durch dessen Kammern rotes und blaues Wasser schiessen. Es ist surreal still. Man hört nur das mechanische Pochen der Herzklappen, es klingt wie das Klacken von Hufen. Das schwarze Herz zieht sich zusammen, öffnet sich, zieht sich zusammen. Als würde es atmen. Es fühlt sich an, als hätte man das Leben in der Hand. Stark und kräftig. Wie ein richtiges Herz. Aber es riecht nach Gummi.

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Das Kautschukherz wurde auf dem Hönggerberg konstruiert. Ein schwarzer Klumpen, der an Pumpmaschinen angeschlossen ist. Das Labor gleicht eher einer Werkstatt als einem Operationssaal. Hier soll das erste voll transplantierbare weiche Kunstherz der Welt entstehen. Ein Mammutprojekt, geleitet von der Speerspitze der Herzforscher: ETH, Uni Zürich, Unispital und das Herzzentrum Berlin arbeiten im Rahmen des «Zurich Heart Project» an den neusten Technologien rund um das Herz. Das Gummiherz ist ein Teil davon. Was hier kreiert wird, weist den Weg in die Zukunft.
 

«Wir sind noch lange nicht dort, wo wir sein wollen.»

Xavier Kohll, Doktorand an der ETH 


Hat die Wissenschaft den Herztod bald besiegt? «Wir sind noch lange nicht dort, wo wir sein wollen», relativiert Xavier Kohll. Er ist Doktorand an der ETH und arbeitet im Team von Professor Wendelin Stark. In Jeans und Turnschuhen, die Haare zu einem Dutt zusammengebunden, erzählt er, was hier abgeht.

Bereits der erste Prototyp war eine Sensation. Kein Kunstherz zuvor war dem menschlichen Organ so nahe gekommen. 30 Minuten lang schlug es. Dann bildeten sich erste Risse im Silikon. Der neue Prototyp übertrifft alle Erwartungen: eine Million Schläge – mehr als eine Woche lang kann er pumpen, ohne kaputtzugehen. Der weiche Naturkautschuk sorgt für eine längere Lebensdauer und ermöglicht eine höhere Pumpleistung. Ein Quantensprung.

Der erste Herz-Prototyp

Aus Silikon: Der erste Herz-Prototyp der Zürcher Forscher

Bei diesem Herz-Prototypen aus Silikon bildeten sich nach 30 Minuten Pumpen Risse.

Quelle: Roger Hofstetter

«Am Ende wollen wir eine funktionsfähige Pumpe, wie unser Herz», sagt Kohll. Er ersetzt seine Hornbrille durch eine Schutzbrille, streift sich den weissen Kittel mit «Xavier»-Aufschrift über und öffnet die Tür zum Labor. Da in der Glasvitrine liegt das schwarze Herz. Es wiegt knapp 200 Gramm, besteht wie das Original aus einer linken und einer rechten Kammer. Eine dritte Kammer ersetzt den menschlichen Muskel. Das Design haben Ingenieure am Computer entworfen, produziert wird es in einer Vulkanisierpresse, die den Gummi erhitzt. Angetrieben durch Luftdruck, läuft Flüssigkeit durch die Kammern. Als hielte das Kunstherz die Maschinen, an denen es hängt, am Leben – und nicht umgekehrt.

Lässt sich überhaupt ein Herz konstruieren, das wie ein gesundes funktioniert?

Das erste Kunstherz wurde 1982 einem Zahnarzt in den USA implantiert. Er starb nach 112 Tagen. Seither wurden verschiedene Herz-Kreislauf-Systeme entwickelt, die schwache Herzen Herzkrankheit Was fehlt dir, mein Herz? unterstützen können.

Ein langes Leben mit Kunstherz ist inzwischen zwar möglich, aber der Preis dafür ist hoch. Die Träger sind wenig mobil, die Austrittsstellen der Stromkabel infizieren sich ständig. Gerinnsel bilden sich, die Patienten können nicht ohne blutverdünnende Mittel leben. Die Batterielaufzeit ist auf acht Stunden begrenzt. Und die Pumpe schlägt im immer gleichen Rhythmus, egal wie gross die körperliche Belastung ist – ob man schläft oder Treppen steigt oder rennt. Deshalb sind die Erwartungen an das personalisierte Herz gross. Es soll diese Mängel beheben, mit ihm soll alles besser werden.

Ist das Illusion oder bald Wirklichkeit? Lässt sich überhaupt ein Herz konstruieren, das gleich wie ein gesundes funktioniert? «Wir haben die Vision, dass es das perfekte Kunstherz gibt, das mit dem Original mithalten kann», sagt Kohll. «Wir forschen, damit wir die klinischen Problemstellungen lösen können.» Auch wenn das Jahre dauere und Dutzende Probleme überwunden werden müssen, für die es bisher nicht einmal ansatzweise Lösungen gebe. «Das beste System ist klar das biologische. Aber unser technisches System soll Relevanz haben.»

Wie es sich mit einem externen Kunstherz lebt

André Dolezal weiss, wie sich das Fremde im Körper anfühlt. Der Excor, ein externes Kunstherz, war acht Monate lang sein ständiger Begleiter. Sie gingen zusammen ins Kino, sie schliefen nebeneinander, waren auf der Toilette. «Das ständige Gepumpe während der Nacht ging mir auf den Geist.» Aber ohne ging es nicht. Bei Dolezal war die Herzschwäche entdeckt worden, als er 20 war. In der Rekrutenschule, bei einem ärztlichen Untersuch. «Irgendwann brauchen Sie ein neues Herz», sagte man ihm. Der Militärdienst war damit beendet. Untauglich. Dolezal, heute 39, lebte sein Leben weiter. Bis die Niere ausstieg – weil das Herz die Organe nicht mehr richtig durchbluten konnte.

Er brauchte Ersatz. Excor kam in sein Leben: zwei faustgrosse Kugeln, am Bauch angebracht, durch die das Blut zirkuliert. Die Akkus zog Dolezal auf einem Caddy hinter sich her, damit der Pumpe nicht die Puste ausgehen konnte. «Ich habe gut damit gelebt», sagt der Zürcher. Speziell habe er sich deswegen nie gefühlt. «Mit dem Kunstherzen ist man anders. Gesellschaftlich anders. Aber immerhin war ich noch ich selbst.» Nur seine Aktivitäten musste Dolezal der Pumpe anpassen. Sport war undenkbar, Rennen unmöglich. «Und da waren immer diese Schläuche in meinem Bauch.» Manchmal die komischen Blicke. Oft die Spitex Spitex Hilfe, die immer ankommt im Haus.

Und dann die Infektionen. Die Bauchdecke entzündete sich. Dolezal lag wochenlang im Krankenhaus – dann erhielt er endlich ein Spenderherz. Er war 30. «Mein neues Herz schlägt kräftig.» Er ist fasziniert, wie das Organ mit ihm kooperiert. Wenn auch langsamer. «Wenn ich zum Beispiel erschrecke, kommen das starke Herzklopfen und die Schweissperlen auf der Stirn etwas später.» Das Spenderherz ist nicht direkt mit dem Hirn verbunden. Die Nervenbahnen sind gekappt.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache

Infografik: Sterbefälle in der Schweiz wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Jedes Jahr sterben ungefähr 20'000 Menschen an einer Herz-Kreislauf-Krankheit. Sie stellen somit den grössten Anteil an allen Todesursachen.

Quelle: Todesursachenstatistik 2015 des BFS – Infografik: Andrea Klaiber
Die psychische Belastung ist enorm

Trotzdem kann das Hirn die physiologischen Veränderungen im Körper steuern – und damit auch das Herz. «Stressreaktionen etwa werden im Hirn wahrgenommen. Auswirkungen hat das dann auf das Herz via autonomes Nervensystem und Hormone», sagt Roland von Känel, Direktor der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik am Unispital Zürich.

Nach einer Transplantation erleben die meisten Patienten zunächst eine Phase der Euphorie. Dann fallen viele in ein Loch. Die psychische Belastung ist enorm. Depressionen, Angstzustände, Schuldgefühle sind häufig. «Psychische Erkrankungen kommen nach einer Herztransplantation häufiger vor Psychokardiologie Wenn das Herz auf die Seele schlägt als beim Durchschnittspatienten», sagt von Känel. Das sei gefährlich. Wenn jemand depressiv wird und herzkrank ist, ist die Sterblichkeit zwei- bis dreimal so hoch. «Beim Originalorgan wie beim Spenderherzen.»
 

«Die Lebensqualität bei Kunstherzträgern ist deutlich schlechter als bei Transplantierten.»

Roland von Känel, Direktor der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik am Unispital Zürich


Wie sich ein Kunstherz mit dem Hirn verknüpfen lässt, ist noch wenig erforscht. Das Rezept kennt Xavier Kohll von der ETH noch nicht.

Bei einem Kunstherzen, wie André Dolezal es hatte, ist die Verbindung zum Hirn dieselbe wie beim Originalorgan. Auch hier kann die psychische Belastung gross sein. «Die Lebensqualität bei Kunstherzträgern ist deutlich schlechter als bei Transplantierten», sagt Roland von Känel. «Womöglich weil etwas Fremdes im Körper ist. Weil man am Strom hängt, von der Technologie abhängig ist.» Daher werden Kunstherzen oft nur eingepflanzt, um zu überbrücken, bis ein Spenderorgan Organspende «Der eigene Tod ist ein Tabuthema» gefunden ist. Das kann Jahre dauern.

Zahl der Organspender in der Schweiz zu tief

Herzschwäche ist die Volkskrankheit Nummer eins. Weltweit leiden 25 Millionen Menschen daran. In der Schweiz standen letztes Jahr 148 Personen auf der Warteliste für ein Spenderherz. Nur 40 wurden transplantiert. Die Zahl der Spender in der Schweiz steigt zwar leicht, sie verharrt aber – im internationalen Vergleich – auf zu tiefem Niveau. Dabei wäre die Bevölkerung eigentlich offen, sagt Franz Immer, Direktor von Swisstransplant. «Das Problem ist, dass die Leute sich nicht äussern.» 60 Prozent machen die Stummen aus – diejenigen, von denen man nicht weiss, ob sie spenden würden oder nicht Organspende Entscheiden Sie sich – so oder so .

Spenderherzen in der Schweiz

Infografik: Spenderherzen und die Warteliste in der Schweiz

Die Bereitschaft zum Spenden wäre in der Schweiz gross. Dennoch klaffen Angebot und Nachfrage weit auseinander.

Quelle: BAG und Swisstransplant – Infografik: Andrea Klaiber

Auf dem Hönggerberg forscht man ungebremst weiter am weichen Kunstherzen. Franz Immer hofft, dass sich die Spenderproblematik so wenigstens entschärfen lässt.

Bis dahin ist Romantik fehl am Platz. Es geht um Chemie, Physik und Mechanik. Das Herz ist der stärkste Muskel. Täglich schlägt es ohne Pause bis zu 100'000-mal und pumpt 6000 bis 8000 Liter Blut durch die Adern. Ein gesundes Herz Herz Bewegung ist die beste Prävention schlägt in einem Leben drei Milliarden Mal. «Wenn wir dieser Leistung näher kommen, ist es durchaus denkbar, dass voll implantierbare Kunstherzen verpflanzt werden», sagt Immer.

Tüfteln, tüfteln, tüfteln

«Wir wollen ein Herz, das mindestens zehn Jahre im Körper überleben kann», sagt ETH-Forscher Xavier Kohll. Irgendwann soll es ohne die Drive-Line auskommen, ohne die Schläuche, die aus der Bauchdecke ragen. Eine Batterie im Körper soll an ihre Stelle treten. Sie könnte durch Induktion geladen werden.

Bis es so weit ist, feilt das Team um Professor Wendelin Stark an Kunststoffkabeln, die Bioglaspartikel enthalten und im Körper besser verankert werden können. Die Entwicklung des perfekten Materials ist im Gange. Biokompatibel und langlebig muss es sein. Silikon und Kautschuk waren nur der Anfang. Eines Tages soll sich das Kunstherz an die Physiologie anpassen können. Wenn man rennt, soll es die geforderte Blutmenge durch den Körper pumpen. Ebenso wenn man schläft. «Jeder, der ein neues Organ braucht, soll ein massgeschneidertes Kunstherz bekommen», sagt Kohll.

Materialien, Design und Schlagperformance möchte das Team der ETH mittelfristig in Zusammenarbeit mit externen Partnern aus der Industrie testen. Danach wird es verbessert, landet erneut im Labor. Und wird weiter verbessert. «Bis wir vielleicht in acht bis 15 Jahren das fertige Zürcher Herz in den Händen halten.»

Das echte Herz Das Kunstherz
Jeder Schlag wird elektrisch ausgelöst. Pro Tag erzeugt das Herz genug Energie um einen Lastwagen 32 Kilometer weit fahren zu lassen. Eine hydraulische Pumpe bringt das Kunstherz aus Kautschuk zum Schlagen. Später soll es im menschlichen Körper mit einer Batterie angetrieben werden.
3 Milliarden Mal schlägt das Herz eines gesunden Menschen im Lauf des Lebens. 1 Million Mal – mehr als eine Woche lang – kann das neue Kautschukherz der ETH schlagen.
250-300 g wiegt das Herz eines Erwachsenen im Schnitt. 162 g wiegt der ETH-Protottyp ohne Anschlüsse und Herzklappen.
5,25 Liter Blut pro Minute pumpt das Herz durchschnittlich bei einer 70 Kilo schweren Person. 2,5 Liter Blut pumpt das Kautschukherz bei 60 Schlägen pro Minute.
Simulation des Blutkreislaufes am Kunstherz-Prototyp

Der Blutkreislauf wird mit roter und blauer Flüssigkeit simuliert: Forscher Xavier Kohll.

Quelle: Roger Hofstetter
Initiative zur Organspende kommt zustande

In der Schweiz gibt es zu wenig Organspender. Derzeit sind rund 1480 Personen auf der Warteliste. Das will die Initiative «Organspende fördern – Leben retten» ändern. Im Frühling wird sie eingereicht werden. Sie will die automatische Organspende (Widerspruchslösung) etablieren: Jedem Erwachsenen sollen im Todesfall Organe entnommen werden können – ausser er wünscht das ausdrücklich nicht. Seit dem 1. Oktober kann man sich im Nationalen Organspenderegister eintragen.

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Chantal Hebeisen, Redaktorin
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