Stichhaltige Meldung ans Gehirn
Nach einem Mückenstich könnte man sich manchmal blutig kratzen. Doch warum juckt es überhaupt? Und was hilft am besten dagegen?
aktualisiert am 19. August 2022 - 13:47 Uhr
Mücken, Flöhe, Zecken , Läuse, Wanzen: Sie alle haben eine Vorliebe für Menschenblut. Die Vorstellung, angezapft und ausgesaugt zu werden, ist nicht sehr angenehm – der manchmal tagelang anhaltende Juckreiz als Folge eines Stichs noch viel weniger. Warum aber juckt der Insektenstich eigentlich?
In der obersten Hautschicht sitzen winzige Nervenenden, in der Fachsprache Nozizeptoren genannt. Einige davon reagieren auf mechanische Reize wie Quetschungen und Stiche, andere auf Temperaturreize oder chemische Stoffe. Dass es für die Empfindung Jucken spezialisierte Sensoren gibt, konnte die Wissenschaft erst vor wenigen Jahren beweisen. Früher nahm man an, der Juckreiz sei eine schwache Form des Schmerzes.
Die Juckreiz-Nozizeptoren sprechen auf eine kleine Auswahl von Substanzen an – zum Beispiel auf das Histamin , ein Gewebehormon. Der Kontakt mit einem Histamin-Molekül löst im Juckreiz-Nozizeptor jeweils einen elektrischen Miniaturimpuls aus. Dieser wird durch Nervenbahnen von der Haut über das Rückenmark bis ins Gehirn geleitet und signalisiert dort: Es juckt.
Blut saugende Insekten sind mit einer Ausrüstung versehen, die jeden Apotheker in Neid versetzen könnte. Durch ihr Speichelrohr «spucken» sie dem angestochenen Menschen oder Tier vor dem Blutsaugen verschiedene Stoffe in die Haut. Unter anderem ein Betäubungsmittel, das die Einstichstelle schmerzunempfindlich macht – damit das Opfer den Stich nicht sofort bemerkt und verärgert zuschlägt.
Andere Speichelbestandteile erhöhen die Hautdurchblutung – damit der summende Vampir in kurzer Zeit möglichst viel Blut saugen kann. Substanzen, die die Blutgerinnung hemmen, machen die «Mahlzeit» besonders bekömmlich, denn geronnenes Blut ist unverdaulich. Auch wäre es für das Insekt höchst unangenehm, wenn sich im Saugrüssel ein Blutgerinnsel bilden würde. Der Speichel einiger Insekten enthält ausserdem Histamin – ein Grund für den starken Juckreiz nach dem Stich.
Das menschliche Immunsystem reagiert sofort auf die verschiedenen Bestandteile des Insektenspeichels. Eine heilende Entzündung kommt in Gang, die verletzte Stelle rötet sich und schwillt an. Ein wichtiger Mitspieler in diesem Prozess ist wiederum das Histamin, das von verschiedenen Entzündungszellen freigesetzt wird. Es gelangt an die Juckreiz-Nozizeptoren und aktiviert sie zusätzlich. Insektenspeichel und die körpereigene Abwehrreaktion können den Juckreiz über Tage aufrechterhalten.
Das Jucken regt im Gehirn auch Regionen an, die die Handbewegungen steuern. Daher ist Kratzen die natürliche Reaktion auf den Juckreiz. Wie stark dieser Reiz sein muss, damit er den Kratzreflex auslöst, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Ist die persönliche Juckschwelle jedoch überschritten, wird das Bedürfnis zu kratzen so stark, dass es sich nicht mehr länger unterdrücken lässt.
Kratzen erzeugt eine Schmerzempfindung. Sie verhindert, dass das Jucken wahrgenommen wird. Lässt der Schmerz nach, ist auch der Juckreiz wieder da. Kratzen verschafft also nur vorübergehend Erleichterung, kann aber die Haut verletzen und so eine weitere Entzündung auslösen. Ausserdem fördert Kratzen möglicherweise die Histaminfreisetzung in der Haut. Deshalb gilt: Bei Juckreiz möglichst nicht kratzen, sondern kühlen und cremen.
Hilft Kühlen gegen Insektenstiche?
Das älteste Rezept gegen Insektenstiche: die Quaddel mit Speichel befeuchten. Die verdunstende Flüssigkeit erzeugt eine angenehme Kühle und beruhigt den Juckreiz. Womit man kühlt, spielt eigentlich keine Rolle: Feuchte Umschläge, Cold Packs oder Salben haben den gleichen Effekt wie die Speichelbehandlung, sind aber bestimmt salonfähiger.
Antihistaminika, die als Salben, Sprays oder in Tablettenform den Juckreiz bekämpfen, enthalten Wirkstoffe, die dem Histamin chemisch sehr ähnlich sind. Deshalb blockieren sie in den Körperzellen diejenigen Positionen, die normalerweise das Histamin einnimmt. Die durch Histamin ausgelösten Reaktionen wie Entzündungen und Juckreiz bleiben aber aus.
Leider wirken Antihistaminika nicht gegen jedes Jucken. Den Juckreiz von Patienten mit Nierenerkrankungen oder einer Gelbsucht lindern sie zum Beispiel nicht. Vermutlich gibt es neben Histamin also wenigstens einen weiteren Juckreizauslöser.
Einem Enzym, das ebenfalls in Entzündungszellen vorkommt, ist die Wissenschaft auf der Spur. Es bleibt bei einem Insektenstich wesentlich länger in der Haut als Histamin und käme daher als Verursacher des lang dauernden Juckreizes in Frage.
Was für einen biologischen Sinn der Juckreiz hat, ist nach wie vor nicht ganz geklärt. Eine Erklärung wäre: Jucken mahnt zur Beschäftigung mit der gereizten Hautstelle und weist darauf hin, dass Parasiten oder Hautschüppchen entfernt werden sollen. Wer nicht recht weiss, was er sich darunter vorstellen soll, dem sei hautnaher Anschauungsunterricht empfohlen – im Affenhaus des nächsten Zoos.
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