Gefährliche Aussetzer in der Nacht
Während des Schlafs regelmässig und entspannt zu atmen ist für drei Prozent der Schweizer Bevölkerung unmöglich: Schlafapnoe raubt ihnen den Atem.
Veröffentlicht am 26. Oktober 2015 - 11:12 Uhr
Der 57-jährige Patient, nennen wir ihn Armin Schweri, hatte schon immer einen unruhigen Schlaf. Er schnarchte, wälzte sich im Bett, schlug unkontrolliert mit Armen und Beinen um sich, rang nach Luft. Mit den Jahren wurde es schlimmer. Seine Frau lag ebenfalls häufig wach und bekam mit, wie der Atem ihres Mannes jede zweite Minute aussetzte. Zehn Sekunden, 20, manchmal sogar 30 Sekunden dauerten die Pausen. Brustkorb und Bauchdecke hoben sich in wilder Anstrengung, Luft in die Lungen zu pumpen, derweil die oberen Atemwege fest verschlossen blieben. Bis sie sich, unter dem enormen Bedürfnis des Körpers nach Sauerstoff, explosionsartig öffneten.
Am Morgen fühlte sich der Mann jeweils wie gerädert und war den ganzen Tag über müde . Nachdem er beim Autofahren einmal eingenickt war und dabei beinahe einen Unfall gebaut hatte, suchte er endlich seinen Hausarzt auf. Dieser schickte den Patienten zur Abklärung in die Universitätsklinik, und dort bekam Schweri nach einer klinischen Untersuchung und einer Nacht, die er im Schlaflabor verbracht hatte, die Diagnose: obstruktive Schlafapnoe.
Der Begriff Apnoe stammt aus dem Griechischen und bedeutet Atemstillstand. «Die Ursache der Aussetzer liegt im Rachen, der im Schlaf so eng wird, dass die Luft nicht mehr fliessen kann», erklärt Werner Strobel, Pneumologe, Apnoe-Spezialist und Leiter des Schlaflabors am Universitätsspital Basel. In der Schweiz sind laut Lungenliga Schweiz schätzungsweise drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung – doppelt so viele Männer wie Frauen – von Schlafapnoe betroffen, also rund 150'000 Personen, doch von diesen ist nur ein Drittel diagnostiziert.
Werner Strobel hält die Zahlen insgesamt für zu tief, er rechnet eher mit fünf Prozent Betroffenen. Der Grund: Die Daten, die der Hochrechnung zugrunde liegen, wurden vor über 20 Jahren erhoben, und seither hat Übergewicht in der Bevölkerung zugenommen. Es ist die Hauptursache für obstruktive Schlafapnoe – das Körperfett lagert sich auch im Rachen ab. Wie bei Armin Schweri, der bei 180 Zentimetern Körperlänge 110 Kilo auf die Waage bringt.
Von den 300 Patienten jährlich, denen Werner Strobel in seiner Sprechstunde eine Schlafapnoe attestiert, entspricht eine grosse Gruppe diesem «Risikoprofil»: männlich, im mittleren Alter und übergewichtig . Manche zusätzlich mit einem Alkoholproblem. Daneben kann Schlafapnoe aber auch andere Gründe haben.
Bei Kindern und Jugendlichen ist die Krankheit oft Folge grosser Mandeln, die während der Nacht die Atemwege blockieren. Bei anderen Patienten werden die Atempausen durch eine Kieferfehlstellung verursacht. Oft ist Schlafapnoe auch die Folge eines Schlaganfalls – oder umgekehrt. In einigen Fällen liegen die Gründe im Dunkeln. «Es gibt Patienten, die in kein Schema passen», sagt Werner Strobel.
Klarheit bringt neben der klinischen Untersuchung erst die Abklärung im Schlaflabor, wo die Atempausen nebst anderen Parametern sekundengenau aufgezeichnet werden (siehe Grafik unten). Vereinzelte Atempausen – bis zu fünf pro Stunde – sind normal und haben keine krankhafte Bedeutung. Was darüberliegt, gilt als leichte (fünf bis 15 Atempausen), mittlere (15 bis 30 Atempausen) oder schwere (30 und mehr Atempausen) Schlafapnoe.
Insbesondere bei der letzten Gruppe führt die Krankheit meist zu chronischer Schläfrigkeit. Es gibt aber auch Patienten mit eigentlich nur leichter Apnoe, die oft müde sind. Der erholsame Schlaf, normalerweise aus den etwa eineinhalbstündigen Phasen Leichtschlaf, Tiefschlaf und Traumschlaf zusammengesetzt, wird in Hunderte von kleinen Episoden zerstückelt. Die Tiefschlafphasen sind stark verkürzt oder fallen ganz weg.
Bei leichter Apnoe kann es ausreichen, ein paar Kilo abzuspecken , damit sich die nächtliche Atmung normalisiert. Doch das fällt den meisten schwer. Werner Strobel empfiehlt 75 Prozent seiner Patienten eine andere Therapie. Unbehandelt, fördert die Krankheit kardiovaskuläre Risiken wie Bluthochdruck und Herzinfarkt, zudem: «Schlafapnoe erhöht das Unfallrisiko um das Drei- bis Vierfache, sie ist sehr häufig die Ursache von Sekundenschlaf am Steuer», sagt Strobel.
Autofahren ist indes ein heikles Thema, trotz den Kampagnen, wie sie etwa die Beratungsstelle für Unfallverhütung vor ein paar Jahren grossflächig durchgeführt hat: Er erlebe es höchst selten, dass ein Patient zugebe, am Steuer eingenickt zu sein, so Strobel. Insbesondere Berufschauffeure hätten grosse Hemmungen, sich einzugestehen, dass ihre Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sein könnte. «Sie haben Angst um ihren Job und fürchten, dass man sie zur Behandlung zwingt. Diese Vorstellung schwebt über manchen wie ein Damoklesschwert.»
Die effektivste Therapie bei Schlafapnoe heisst CPAP (Continuous Positive Airway Pressure): Der Patient trägt nachts eine Nasenmaske, über die ihm von einem kleinen Gerät Überdruckluft in den Rachen geblasen wird. Studien zur Wirkung von CPAP-Geräten auf das Unfallrisiko am Steuer kommen zum Schluss: Mit einer CPAP-Therapie passieren bei Apnoikern 80 Prozent weniger Unfälle.
Etwa ein Viertel der Patienten kann mit dem Gerät jedoch nicht leben – aus psychologischen Gründen oder wegen störender Nebenwirkungen wie Druckstellen oder ständigem Schnupfen. Für sie haben die Spezialisten andere, wenn auch weniger wirksame Optionen in petto, etwa die Operation des Halszäpfchens und des Gaumenbogens oder Zahnspangen, die den Unterkiefer nach vorn drücken und so die Atemwege offen halten.
Die modernste Methode ist der «Zungenschrittmacher»: Unterhalb des Schlüsselbeins wird ein daumengrosses Gerät eingebaut, das nachts die Zunge elektrisch stimuliert, so dass sie nicht in den Rachen zurückfällt. Erste Erfahrungen sind vielversprechend, auch in der Schweiz. Knackpunkt sind die Kosten: Mit 30'000 Franken ist die Therapie rund zehnmal so teuer wie alle übrigen. Angesichts der hohen Kosten kommt diese Behandlungsmethode meist nur infrage, wenn der Betroffene unter einer mittleren bis starken Schlafapnoe leidet. Zudem ist sie bei Menschen mit starkem Übergewicht wirkungslos. Die Krankenkassen zahlen, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind.
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