Was taugt ein Selbsttest bei Darmproblemen?
Eine Stuhlprobe verrät, wie es um die Darmflora bestellt ist. Das versprechen private Labore, die im Internet um Kunden buhlen. Doch Mediziner warnen davor.
aktualisiert am 2. November 2023 - 14:00 Uhr
Zwischen 2014 und 2019 habe ich über 20-mal Antibiotika eingenommen. Der Grund waren drei Nierenbeckenentzündungen, unzählige Blasenentzündungen , eine Angina, eine Mittelohrentzündung und eine kleine Wunde, die nicht heilen wollte.
Bei jeder Tablette, die ich aus der Packung drückte, und jeder Infusion, die mir im Spital gelegt wurde, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Denn ich wusste: Antibiotika zerstören auch die guten Bakterien. Die fleissigen Arbeiter im Darm, die mein Immunsystem aufbauen und gegen Entzündungen ankämpfen.
Wer «Darmprobleme» googelt, stösst schnell auf Mikrobiom-Tests. Diese relativ neuen Untersuchungen analysieren die DNA der Bakterien einer Stuhlprobe und geben so Einblick in die Darmflora – in die geheime Welt der Helferlein. Könnte ich so die Ursache für einige unspezifische Beschwerden finden, die mich seit Jahren plagten? Die Müdigkeit, die Magenprobleme, der geblähte Bauch?
«Das Internet suggeriert, dass eine Stuhlanalyse die Lösung für viele Probleme sein kann.»
Martin Wilhelmi, Facharzt für Gastroenterologie und Innere Medizin
Die Hoffnungen, die mit Stuhltests verbunden sind, kennen auch die Ärzte: «Es kommen sehr viele Patienten zu uns, die solche Tests machen wollen oder selbständig gemacht haben», sagt Martin Wilhelmi, Gastroenterologe in einer Zürcher Facharztpraxis. «Das Internet suggeriert, dass eine solche Analyse die Lösung für viele Probleme sein kann.»
Ein Stecknadelkopf. So gross ist die Stuhlprobe, die ich der Firma Biomes einschicke. Das winzige Kügelchen kommt in einen zentimetergrossen Behälter, durchsichtig, mit einer Flüssigkeit gefüllt, die die Erbsubstanz der Bakterien konserviert. Innert dreier Wochen liefert die Firma auf 22 Seiten einen Überblick über mein Innenleben.
Das Resultat ist beunruhigend. 47 von 100 Punkten erhalte ich für die Ausgewogenheit meines Mikrobioms. Nicht sehr viel. Das Labor findet mehr Proteobakterien, als im Referenzrahmen normal seien. Ein Zeichen für eine ungesunde Flora, lese ich.
In meinem Darm tummeln sich zu viele Bakterien, die zu Verstopfung und Entzündungen führen können. Die Mängelliste ist lang: Ich habe zu wenig Akkermansia, die den Stoffwechsel anregen und gegen Entzündungen und Übergewicht wirken. Wenige Ruminokokken, keine Christensenella, keine Eubakterien. Letzteres wurmt mich: Eubakterien seien wichtig für ein gesundes Altern, steht da, und oft im Darm von Menschen zu finden, die über 100 Jahre alt würden. Werde ich nun früher sterben?
«Mit solchen Tests werden vor allem Ängste geschürt», beruhigt Pascal Frei, Gastroenterologe in Zürich. Patienten fragen ihn oft, ob er einen Stuhltest machen könne. Er hält – wie alle anderen angefragten Ärzte – aber sehr wenig von Darmflora-Analysen. Der Grund ist simpel: Die Mikrobiom-Forschung sei noch zu jung.
«Welche Korrelationen genau bestehen und wie sie sich im Einzelfall auswirken, ist noch nicht ausreichend bekannt», sagt auch Martin Wilhelmi. Zudem seien die Tests lediglich eine Momentaufnahme des Darms. «Die Infos bringen dem Patienten nichts, da die Zusammensetzung ständigen Schwankungen unterworfen ist», betont Wilhelmi. Etwa durch wechselnde Ernährung , eine Reise oder mehr Sport. Mit dem heutigen Wissensstand sei es gar nicht möglich, einen grünen Bereich zu definieren, der eine gesunde Darmflora bedeuten würde.
Christin Günther, Mitgründerin der deutschen Firma Biomes, versteht die Kritik: Die Forschung sei erst am Anfang. Dennoch, sagt sie, wisse man bereits sehr viel über Darmbakterien . Über 7000 wissenschaftliche Studien seien für die Interpretation der Tests benutzt worden. «Jede Aussage ist streng wissenschaftlich belegt.» Es gebe viele Kunden, die dankbar seien, zu wissen, was etwa der Anteil schädlicher Bakterien sei.
Wilhelmi und Frei sind in ihrer Ablehnung nicht allein. Die gastroenterologischen Fachgesellschaften raten derzeit von diesen Tests ab, Krankenkassen übernehmen keine Kosten. Und Stuhltests sind teuer: 109 Euro hat die Analyse von Biomes gekostet, andere Labors verlangen mehr. «Schlimmer ist, dass viele Anbieter direkt irgendwelche Probiotika verkaufen wollen, was nur noch mehr Kosten für den Patienten bedeutet», sagt Frei. «Am lukrativsten sind mehrmonatige Aufbaukuren, die die Kasse schön klingeln lassen.» Dabei sei es mit dem heutigen Wissensstand gar nicht möglich, Handlungsempfehlungen abzuleiten.
«Diese Tests bombardieren Patienten mit Bakteriennamen und werfen am Ende nur Fragen auf.»
Luc Biedermann, leitender Arzt Gastroenterologie, Universitätsspital Zürich
Grundsätzlich sehen auch die Ärzte das Potenzial von Mikrobiom-Analysen. Aber als Medizin der Zukunft. «Ich gehe davon aus, dass die Forschung uns relativ bald neue Tore eröffnen wird», sagt Luc Biedermann, leitender Arzt der Gastroenterologie am Unispital Zürich. «Dann können wir womöglich zumindest bei bestimmten Erkrankungen zielgerichtet die Mikrobiota manipulieren.» Welche Krankheiten das betreffen könnte, sei noch schwierig abzuschätzen. Es zeige sich aber immer mehr, dass die alleinige Kenntnis der Zusammensetzung der Bakterien eventuell gar nicht der Schlüssel sei.
Wichtiger sei wahrscheinlich die Summe der Stoffwechselprodukte, die von den Bakterien produziert werden, und wie diese Bakterien mit dem Darmimmunsystem interagieren. Biedermann glaubt daran, in Zukunft seinen Patienten aussagekräftige Tests und gezielte Therapien anbieten zu können. Genau das Gegenteil der heutigen kommerziellen Tests: «Diese bombardieren Patienten mit einer Fülle von Bakteriennamen und werfen am Ende nur Fragen auf, ohne jedoch Antworten geben zu können. In den meisten Fällen wären wohl selbst Fachpersonen überfordert.»
Zwei Antworten erhalte ich mit dem Biomes-Test. Respektive zwei Ratschläge. Ich soll mehr Joghurt oder Kefir essen, damit mein Körper mehr Vitamin B12 und Vitamin K erhält. Und mehr grünes Gemüse wie Spinat , Brokkoli oder Grünkohl. Gut wären auch Avocados. Oder Kiwis und Trauben.