Der Krebs-Scanner sieht alles
Schwarzer Hautkrebs wird mit immer raffinierteren Systemen erkannt. Das Basler Unispital testet gerade einen 3-D-Körperscanner. Ein Selbstversuch.
Veröffentlicht am 30. September 2021 - 17:03 Uhr
Helle Haut und mehr als 100 Muttermale: Ich gehöre zu den Leuten mit einem erhöhten Risiko für schwarzen Hautkrebs. Und eine verdächtige Hautveränderung würde ich nicht bemerken, selbst wenn ich meine Muttermale regelmässig anschaute. Es sind einfach zu viele.
Deshalb ging ich vor einigen Jahren zur Kontrolle. Der Hautarzt sah sich sämtliche Muttermale mit einer Art Lupe an, dem Dermatoskop. Tatsächlich fand er ein paar verdächtige. Eins auf der rechten Brust, schwammige Kreuzform, unterschiedliche Brauntöne. Und ein kleines, dunkles an der linken Fusssohle, das mir noch nie aufgefallen war.
Gern hätte der Arzt von mir gewusst, ob dieser Fleck schon immer da war – oder neu. Doch ich hatte keine Ahnung. Schliesslich schnitt er ihn heraus und schickte ihn ein. Das Muttermal auf der Brust entfernte er nicht – auch weil es eines der wenigen war, die ich wegen ihrer speziellen Form und Lage tatsächlich gut kannte. Ich konnte deshalb mit einiger Sicherheit sagen, dass es sich nicht verändert hatte.
Der Fusssohlen-Fleck war dann kein Melanom. Die Fachbegriffe verstand ich nicht. Mir genügte die Erklärung: Der Hautfleck war nicht bösartig, aber der Arzt war dennoch froh, ihn entfernt zu haben. Und er empfahl mir, meine Muttermale von nun an jedes Jahr kontrollieren zu lassen.
Ein paar Jahre später schnitt er das seltsame Muttermal auf meiner Brust doch noch heraus – vielleicht auch weil wir beide erschüttert waren darüber, dass man bei meiner gerade mal 30-jährigen Schwester Darmkrebs in fortgeschrittenem Stadium festgestellt hatte.
Danach war ich lange nicht mehr zur Kontrolle. Bis ich von einer Studie erfuhr, die Anfang dieses Jahres am Unispital Basel angelaufen war: «3-D-Ganzkörperfotoanalyse zur Früherkennung des schwarzen Hautkrebses bei Hochrisikopatienten». Darin tritt der erste 3-D-Ganzkörperscanner der Schweiz zum Wettkampf an: Ist er besser als die klassische dermatologische Untersuchung, besser als ein 2-D-Fotoanalysesystem, besser als eine Smartphone-App, die in Deutschland bereits als Medizinprodukt zugelassen ist?
Einige Monate später stehe ich in Unterhose im 3-D-Ganzkörperscanner. Mitte 2019 wurde er am Unispital Basel installiert: 270'000 Franken schwer, zwei gebogene Kunststoffkonstruktionen, die eine Art Kammer bilden. Wer sie betritt, sieht 92 Kameras auf sich gerichtet, von allen Seiten. Ich stelle mich auf die Markierung am Boden, hebe die Arme leicht an, schliesse die Augen. Es folgt ein heller Blitz – und schon ist das Scannen abgeschlossen.
Die Hautärztin und Studienleiterin Lara Valeska Maul hat mich zuvor befragt und untersucht. Sie fand keines meiner Muttermale verdächtig, auch nicht jene, die über die Jahre dicker und grösser geworden sind. Nur von einem etwas grösseren, flachen Mal am Bein wollte sie gern wissen, wie die verschiedenen Systeme es einschätzen.
Der Computer setzt gerade die Fotos von mir zu einem dreidimensionalen Modell zusammen, und ich muss mich zum dritten Mal ausziehen. Für das 2-D-System Fotofinder müssen erneut Ganzkörperbilder her, ich muss mich in unterschiedlichen Posen auf Markierungen am Boden stellen. Von insgesamt zwölf Muttermalen, alle flach und mindestens drei Millimeter im Durchmesser, machen die Studienassistentinnen Detailfotos zur Ergänzung des 3-D-Modells und der 2-D-Aufnahmen sowie ein Smartphone-Foto für die App.
Risiko Hautkrebs
«Es gibt immer mehr solche Apps, mit denen die Leute ihre Muttermale selbst analysieren können», sagt Studienleiterin Lara Valeska Maul. «Allerdings wurde noch keine grosse Beobachtungsstudie durchgeführt, die zeigt, wie gut sie in der Hautkrebsfrüherkennung in der Schweiz tatsächlich abschneiden. Darum haben wir eine App in unsere Studie aufgenommen.» Solche Apps müssen diagnostisch sehr genau sein, betont Maul: «Einerseits kann es die Leute unnötig verunsichern, wenn die App ein Risiko anzeigt, wo in Wirklichkeit gar keines besteht. Vor allem aber wäre es verheerend, wenn die App ein Melanom oder eine Vorstufe davon nicht erkennt und man dann nicht zur Kontrolle geht, weil man sich in falscher Sicherheit wiegt.»
«Smartphone-Apps können den Arztbesuch nicht ersetzen», sagt Nicole Steck von der Krebsliga. Sie sieht allerdings die Chance, damit Leute zu erreichen, die nicht zur ärztlichen Kontrolle gehen würden: «Die Hemmschwelle ist einfach viel kleiner.»
«Es braucht eine Fachperson, um das Resultat zu interpretieren.»
Nicole Steck, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Krebsliga
Auch die 3-D- und 2-D-Systeme sieht sie nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu Hautärztinnen und Hautärzten. «Manche dieser Tools sind heute schon sehr gut.» Die Datenbanken, auf die sie zurückgreifen, enthalten teils mehr bestätigte Bilder von schwarzem Hautkrebs, als ein erfahrener Hautarzt in seiner gesamten Laufbahn gesehen hat.
Steck betont aber auch: «Diese auf künstlicher Intelligenz basierenden Systeme sind immer nur so gut, wie sie trainiert sind. Wenn sie nur bei weissen, jungen Männern getestet werden, erkennen sie Hautkrebs unter Umständen nicht bei einer älteren Frau oder bei etwas dunklerer Haut.»
Vor allem aber sagt keines dieser Systeme: Das ist schwarzer Hautkrebs, und das ist keiner. Es berechnet für ein Muttermal immer nur einen sogenannten Risiko-Score zwischen 0 und 100 Prozent. «Es braucht eine Fachperson, um das Resultat zu interpretieren und gemeinsam mit Betroffenen zu entscheiden, ob man ein verdächtiges Muttermal nun entfernen will oder nicht.»
In meinem Fall errechnen das 3-D- und das 2-D-System für sämtliche zwölf im Detail aufgenommenen Muttermale einen tiefen Risiko-Score. Nur die Smartphone-App empfiehlt bei einem, es einer Fachperson zu zeigen. Es ist genau jenes am Bein, von dem die Studienleiterin die Risiko-Scores wissen wollte. Wenn ich die App zu Hause benutzt hätte, hätte ich bis zum Kontrolltermin beim Hautarzt wohl schlecht geschlafen. So mache ich mir keine Sorgen, ich vertraue Mensch und Maschine.
Als ich nach mehreren Stunden das Spital verlasse, bin ich beruhigt, dass nun sämtliche meiner Muttermale dokumentiert sind. Wenn mein Hautarzt mich wieder einmal fragt, ob sich ein Muttermal verändert hat, können wir das einfach nachschauen.
Immuntherapien und zielgerichtete Therapien haben in den letzten Jahren die Überlebensrate zwar deutlich verbessert. Dennoch bleibt es entscheidend, verdächtige Hautveränderungen frühzeitig zu erkennen und zu entfernen.
Ein erhöhtes Risiko, an schwarzem Hautkrebs zu erkranken , haben Personen mit hellem Hauttyp und mehr als 100 Muttermalen. Auch zahlreiche Sonnenbrände in der Kindheit oder Fälle von schwarzem Hautkrebs in der engeren Verwandtschaft erhöhen das Risiko.
Wer eines dieser Risikomerkmale aufweist, sollte seine Haut besonders gut vor der Sonne schützen und mit Ärztin oder Arzt besprechen, ob regelmässige Kontrollen nötig sind.