«Depressiv? Ich? Niemals!»
Wegen einer schweren Depression musste der heute 67-jährige Urs Schmid* aus Zürich nicht nur seine Kaderposition in einer Bank aufgeben. Er verlor auch den Glauben an sich selbst.
aktualisiert am 4. Oktober 2018 - 16:57 Uhr
Früher hatte ich für Menschen, denen es seelisch so schlecht ging, dass sie zu gar nichts mehr fähig waren, wenig Verständnis. Wenn die Sprache darauf kam, winkte ich ab und sagte: «Jaja, ein Fall fürs Burghölzli» – die psychiatrische Klinik in Zürich, in die jene eingeliefert werden, die zu labil sind, um im Leben zu bestehen. Was, bitte schön, hatte das mit mir zu tun? Ich war mit Vollgas im Leben, fühlte mich rundherum gesund. Und ich war auf dem Weg zu einer Beförderung.
Wäre alles glattgegangen, hätte ich weiter Karriere gemacht. Aber es lief nicht wunschgemäss. Die Überbelastung, das schlechte Arbeitsklima, Intrigen und Mobbing verunmöglichten meinen Erfolgsweg. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich brach im Geschäft zusammen. Zunächst dachte ich: «Sauber, jetzt hast du vor lauter Stress einen Herzinfarkt.»
«Du warst halt überlastet, in zwei, drei Wochen bist du wieder auf dem Damm.»
Doch im Spital stellte man etwas anderes fest: Nervenzusammenbruch. Man legte mir nahe, mich zu erholen, mir Ruhe zu gönnen. Das schien plausibel. Auch meine Frau und meine Bekannten sagten: «Du warst halt überlastet, in zwei, drei Wochen bist du wieder auf dem Damm.»
Es wurde aber nicht besser. Ich fühlte mich erschöpft und niedergeschlagen. Der Vertrauensarzt ordnete an, «da noch etwas anderes abklären zu lassen». Später meinte er, ich solle zu einem Facharzt gehen, zu einem Psychiater, genau gesagt. Er werde untersuchen, ob ich an einer Depression leide. Das versetzte mir einen Schock. Ich? Depressiv? Niemals!
Doch gleichzeitig spürte ich auch den Druck: Mein Arbeitgeber wollte wissen, ob mit mir noch etwas anzufangen sei. Und ich stellte mir die Frage nach den Konsequenzen, wenn ich nicht hinginge. Würde ich sofort meinen Job verlieren? Wie sollte es dann weitergehen? Womit würde ich mein Geld verdienen? Ich fühlte mich unter Zugzwang, also willigte ich ein.
Die Diagnose lautete tatsächlich: Depression . Wie es so weit kommen konnte, wurde allerdings erst in späteren Therapien gründlich aufgearbeitet. Dort erst wurde klar, dass mich die belastende Situation am Arbeitsplatz krank gemacht hatte. Ich konnte mit der Niederlage nicht umgehen und machte mir schwere Vorwürfe: Ich hatte das Gefühl, versagt zu haben, schuld zu sein am eigenen Versagen. Diese negativen Gedanken nahmen mit der Zeit immer mehr Raum ein. Ich war durch ein Burn-out in die Depression gerutscht.
Die Hoffnung aber, mit Hilfe dieses Psychiaters aus der Krise herauszufinden, schwand schnell. Die Chemie zwischen uns stimmte nicht. Es war für mich oft Horror, zu diesen Sitzungen gehen zu müssen. Ich ging hin mit dem Gefühl: «Wenn es doch bloss schon vorbei wäre!» Und fühlte mich schlecht, weil ich dachte: «Jetzt steckst du drin in dieser Mühle. Du giltst als psychisch krank, man verabreicht dir Psychopharmaka und ordnet dir eine Therapie bei einem Psychiater an, der dir gar nicht helfen kann.» Ich sah keinen Sinn in dieser Aktion. Und dass ich gesund werden würde, sah ich schon gar nicht.
Mein Zustand verschlechterte sich weiter. Tagsüber war ich allein zu Hause und ging nur noch selten raus. Ich hatte gar keine Kraft mehr, etwas zu unternehmen oder Freunde zu treffen. Eigentlich bin ich ja ein offener Mensch, gehe auf andere zu. In dieser schlimmen Zeit aber war ich froh, dass sich auch bei mir kaum noch jemand meldete. Denn worüber hätte ich mit anderen sprechen sollen?
Ich nahm am Leben gar nicht mehr teil, las keine Zeitung mehr. Und konnte die schönen Dinge nicht mehr wahrnehmen. Die Wohnung mit Blick auf den Zürichsee? Was hatte das noch für eine Bedeutung! Mein ganzes System ging kaputt: Ich konnte kaum noch essen, verlor Gewicht. Die Verdauung lag lahm. Sex interessierte mich nicht mehr. Ich sah blass aus und elend und war total auf dem Hund. Zum Glück aber hatte ich nie Suizidgedanken .
Was mich fast in den Wahnsinn trieb, war, wenn ich mir etwas vornahm – es aber nicht schaffte. Wenn man etwas will, dann funktioniert es auch – das war bis anhin mein Lebensmotto. Jetzt konnte ich mir vornehmen: «Heute stehst du früh auf.» Es ging nicht. Manchmal lag ich den ganzen Tag im Bett . Oder brauchte Stunden, bis ich mich aufraffen konnte, um die paar Stufen zum Briefkasten hinunterzugehen. Das machte mir Angst, ich hatte Angst vor mir selber. Ich sagte mir: «Du warst immer ein pflichtbewusster Mensch. Heute bist du nicht mal mehr in der Lage, Briefumschläge zu öffnen und Rechnungen zu begleichen. Wie soll das weitergehen?»
Ich weiss nicht, was passiert wäre, hätte sich meine damalige Frau nicht auf die Suche nach einer geeigneten Therapie gemacht. In erster Linie ihr, nicht den Ärzten, habe ich es zu verdanken, dass ich doch noch in die richtigen Hände kam. Sie recherchierte und stiess auf einen Facharzt in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich – dem Burghölzli eben. Natürlich sträubte ich mich dagegen: Ich wollte nicht in die «Psycho-Klinik» eingeliefert werden. Nach dreitägiger Bedenkzeit aber entschied ich mich doch dafür. Es war die richtige Entscheidung.
Mir haben vor allem die Gesprächstherapien viel gebracht. Sie liessen mich begreifen, wie ich in diesen Strudel gelangen konnte, und zeigten mir, was ich selbst tun kann, um nicht wieder hineinzugeraten. Und sie halfen, Perspektiven zu entwickeln. Ich wurde vorzeitig in Rente geschickt, aber ich wollte nicht nur untätig daheimsitzen. Seit über zehn Jahren arbeite ich unter anderem als Friedensrichter.
Bei meiner Entlassung hiess es: «Einen Garantieschein können wir Ihnen nicht ausstellen, aber Sie haben gute Chancen, gesund zu bleiben.» Schwere Rückschläge habe ich seither keine mehr erlitten.
*Name geändert
7 Kommentare
Dass Sie sich doch fürs Burghölzli entschieden, Chapeau! Ihre Story erinnert mich an meine, nur, dass ich seit meiner Frühpensionierung (IV-Rente) unglücklich bin damit. Depressiv bin ich hin und wieder, ansonsten positiv. Aber mir fehlt eben ein familiärer Rückhalt. Und ich habe mich immer durch meinen Job identifiziert! Ich bin vom Typ "Ellbögler", brauche also kein Gspänli, um happy zu sein. Alles, was ich bin und weiss, habe ich mir selbst organisiert - weder RAV, Sozialamt, Kirche noch andere sog. soziale Stellen waren überfordert. Aber ich frage mich, warum man dann mit Rente allein gelassen wird. Depressionen gehen mit Existenzangst einher. Am Monatsende bleibt nichts übrig. Abgesehen von der Chemie halfen Psychotherapeuten nicht; die sind nur aufs Geld aus, können Existenzangst nicht verstehen. Bei Frühpension sollte ein sog. "Betreuungspaket" bei Bedarf existieren, das auch verständige Therapeuten umfasst. Die "dargebotene Hand 192" ist damit erst recht überfordert.
Guten Tag -es tut mir sehr leid das es Ihnen so schlecht geht.Was die Miete anbelangt,gehen Sie bitte zu Pro INFIRMIS.Sie helfen Menschen aus verschiedenen Nöten.Alles Gute und liebe Gr.
Solche Leidensgeschichten findet man immer mehr. Leider wird in der Gesellschaft und in der Wirtschaft (Berufsleben) das Thema nach wie vor stigmatisiert. Steht man offen zu seinem Burnout oder einer Belastung- / Erschöpfungsdepression, wird man in Bewerbungen sogleich auf das Absagehäufchen geschoben. Dabei haben die Menschen die sich mit dem Burnout / der Depression auseinandergesetzt haben enorm viel gelernt und sind nach wie vor die leistungsfähigen Mitarbeitenden, welche sie zuvor waren. Einziger Unterschied, dass man gelernt hat Achtsam zu sich und zu seinem Umfeld zu sein. Was wiederum einen hohen Mehrwert in der heutigen leistungsorientierten Berufswelt bringt. Doch niemand will das sehen. Da immer noch zu viele Narzissten und Egoisten an der Macht sind. Doch ich glaube, je länger diese Leistungsbereitschaft überdimensional hoch ist, um so schneller bricht sie zusammen. Auch Maschinen haben nach einer gewissen Leistungsbeanspruchung ihr Schäden, reparierbar wie irreparable. Vielleicht regt das etwas zum Nachdenken an.
Ja, ich frage mich auch, warum man/frau als "Psycho", wenn man offen zugibt, ein Burnout gehabt zu haben. Und wenn man auch zugibt, dass Arbeitsklima oder Kollegen einen zum Stellenwechsel genötigt haben, dann ist es auch nicht gut. Dann wird eine Milchbüchlein-Rechnung gemacht, vorgerechnet, wie lange man wo war. Einfach für Leute, die sich wenig ums Zwischenmenschliche kümmern. Diese Chefs, also richtige Patrons, sind ausgestorben wie die Dinos. Die hatten Fühler für Probleme ihrer Angestellten und gaben denen immer wieder eine Chance. Sie haben recht, das mit den Maschinen: der Arbeitnehmer ist eben eine humane Maschine. Wenn diese zusammenkracht, dann liest man sie auf, aber schiebt jede Verantwortung von sich. Wo sind wir nur hingekommen? Die Wollmilchsau gibt's in der Realität nicht, aber Chefs wollen sie dennoch.