Schmerzhaftes Nein
Egal, ob im Job oder in der Liebe: Zurückweisungen tun weh. Wie man damit umgehen kann.
Veröffentlicht am 2. April 2020 - 17:12 Uhr
Stelleninserat. Traumjob. Lange über der Bewerbung gebrütet, abgeschickt. Erstes Bewerbungsgespräch. Zweites Bewerbungsgespräch. Warten. «Leider müssen wir Ihnen mitteilen , dass…» – Traumfrau kennengelernt. Gelacht. Diskutiert. Nummern ausgetauscht. Wieder getroffen. «Ich würd dich gern häufiger sehen.» Zögern. «Sorry, ich dich nicht…»
Dieser Moment, in dem man etwas wagt, wo Adrenalin durch den Körper schiesst – und dann der Stich ins Herz folgt: Jeder Mensch kennt ihn, hat ihn schon unzählige Male erlebt. Trotzdem tut Zurückweisung immer wieder weh.
Logisch. Das Leben in einer Gruppe bot unseren Vorfahren überlebenswichtigen Schutz. Denn wir haben schwache Krallen, wenig Fell und eine lange Kindheit. Wer ausgestossen oder von der Gemeinschaft zurückgewiesen wurde, hatte geringere Überlebenschancen.
Heute überleben Menschen auch allein – dank moderner Annehmlichkeiten und Sicherheitsnetzen. Der Körper reagiert auf Zurückweisung aber noch immer wie vor Tausenden von Jahren: mit Schmerz.
Dieser Schmerz lässt sich sogar nachweisen. Die US-Psychologin Naomi Eisenberger liess Testpersonen in einem MRI-Scanner Cyberball spielen, ein virtuelles Fangspiel. Im Verlauf des Experiments fingen zwei Mitspieler an, sich nur noch gegenseitig den Ball zuzuwerfen und die Testperson auszuschliessen. Die Folge: Sie zeigte eine erhöhte Aktivität in jenen zwei Hirnregionen, die auch bei physischem Schmerz aktiviert werden. Soziale Ablehnung wirkt im Gehirn also ebenso real wie physischer Schmerz.
«Es wird ständig erwartet, dass wir herausragende Leistungen erzielen.»
Hansjörg Znoj, Institut für Psychologie der Universität Bern
Genau vor diesem Schmerz fürchtete sich der Amerikaner Jia Jiang. Als 14-Jähriger hatte er die Vision gehabt, mit Mitte 20 die grösste Firma der Welt zu besitzen und Microsoft zu kaufen. Das teilte er Bill Gates damals sogar per Brief mit.
Inzwischen war Jia Jiang 30 und Marketing-Manager. Der ambitionierte Teenager steckte zwar noch immer in ihm, doch die Angst vor Zurückweisung lähmte ihn regelmässig. Er tat, was jeder vernünftige Millennial in so einem Augenblick tut: Er googelte «Angst vor Zurückweisung» und stiess auf ein Therapiekonzept, bei dem man sich einen Monat lang täglich Situationen aussetzt, in denen man höchstwahrscheinlich zurückgewiesen wird.
Jiang entschied, es gleich 100 Tage lang zu versuchen und sich dabei zu filmen. Es entstand ein TED-Talk. Das Video wurde mehr als sechs Millionen Mal angeklickt.
Tag 1: Im Fast-Food-Restaurant. Er hat seinen Burger verschlungen und fragt nach einem kostenlosen Nachschlag. Er wird abgewiesen. Ein Erfolg.
Tag 2: Er bittet einen Fremden, ihm 100 Dollar zu leihen. Der lehnt zwar ab, fragt aber nach dem Grund. Statt ihm zu antworten, rennt Jiang weg.
Tag 6: Im einem fremden Garten Fussball spielen.
Tag 42: Einen Artikel für ein Wirtschaftsmagazin schreiben.
Tag 60: An einer Uni unterrichten.
Tag 77: Im Apple Store einen Nicht-Apple-Computer reparieren lassen.
Tag 100: Präsident Obama interviewen.
Diese Ablehnungstherapie hat Jiang etwas gelehrt. Der alte Spruch «Das Schlimmste, was sie sagen können, ist Nein» ist nicht wahr. Korrekt ist: «Das Schlimmste, was sie sagen können, ist ‹Er hat nicht einmal gefragt›. Denn das bedeutet, dass ich zu mir selbst Nein gesagt habe», schreibt Jiang als Fazit auf seinem Blog Rejectiontherapy.com. Wichtiger als die Zurückweisung sei die Frage, wie man mit der Ablehnung umgehe und was man als Nächstes mache.
Im Verlauf seines 100-Tage-Experiments verlor Jiang mehr und mehr die Angst vor Zurückweisung. Und er realisierte, dass er gar nicht so häufig abgewiesen wurde, wie er vermutet hatte.
«Jiangs Idee, sich gegen Zurückweisungen zu immunisieren, ist so amüsant wie sinnvoll», findet Hansjörg Znoj vom Institut für Psychologie der Uni Bern. «Die eigene Erwartungshaltung hat in der Tat entscheidenden Einfluss darauf, wie sehr uns eine Zurückweisung kränkt.» Das sei umso zentraler, weil unsere Kultur besonders empfänglich für Kränkungen sei. «Es wird ständig erwartet, dass das Individuum herausragende Leistungen erzielt. Da ist das Kränkungspotenzial umso grösser, wenn etwas nicht klappt», so Znoj.
«Ausgeschlossen zu werden, ist ein Bruch der Identität.»
Sascha Frühholz, Neurowissenschaftler an der Universität Zürich
Es sei aber nicht nötig, stets vom Schlechtesten auszugehen, nur um nicht verletzt zu werden. Besser sei es, einen sicheren Raum zu schaffen. «Das kann ein Hobby oder eine sinnstiftende Aktivität sein. Irgendetwas, bei dem man sich zurückziehen und Freude empfinden kann – ohne dabei vom Urteil anderer abhängig zu sein.»
Kritisch wird es, wenn man ein solches Hobby zum Beispiel auf Social Media teilt. «Indem man den sicheren Raum auf einer Plattform teilt, wird man erneut angreifbar – etwa wenn die erhofften Likes ausbleiben .»
Der Psychologe Znoj empfiehlt, Zurückweisungen zu analysieren. «Es hilft, sich zu fragen, was genau das Gegenüber gemeint hat und ob es allenfalls sogar recht hatte.» So werde einem in der Regel bewusst, dass man nicht als Person zurückgewiesen wurde, sondern meist nur in Bezug auf ein spezifisches Thema.
Trotz aller Bemühungen können nicht alle gleich gut mit Zurückweisung umgehen. «Ausgeschlossen zu werden, ist ein Bruch der Identität», erklärt Sascha Frühholz, Neurowissenschaftler an der Uni Zürich. Bei manchen Menschen werden die Schmerzregionen im Hirn bei körperlichen oder sozialen Anlässen mehr aktiviert als bei anderen. Ursache für das stärkere Schmerzempfinden können frühere traumatische Erlebnisse sein. Frauen haben zudem weniger Rezeptoren, an denen körpereigene schmerzstillende Opiate andocken können. Deshalb vermute man, dass Frauen möglicherweise mehr physische und psychische Schmerzen empfinden, so Sascha Frühholz.
Doch soziale Zurückweisung kann nicht nur dieselben Schmerzen auslösen wie eine körperliche Verletzung, sondern auch körperlichen Schaden anrichten. Denn letztlich verursacht Zurückweisung Stress – Adrenalin wird ausgeschüttet. Das ist kurzfristig hilfreich, um die Situation zu bewältigen. «Wenn der Körper aber keine Gelegenheit bekommt, sich zu erholen und das Adrenalin wieder abzubauen, kann das auf Dauer das Nervensystem schädigen», erklärt der Neurowissenschaftler.
Wichtig sei, zu lernen, mit Zurückweisungen umzugehen, sagt die englische Psychologin Emma Kenny. «Das heisst auch, zu akzeptieren, dass wir die Meinungen und Wünsche anderer nicht kontrollieren können.» Diese Einsicht fördere letztlich couragiertes Verhalten.
Statt sich durch die Angst vor Abweisung lähmen zu lassen, kann man sie auch als Barometer sehen. Als Messwert dafür, wie sehr man etwas möchte und wie viel man dafür zu riskieren bereit ist. Und so ist Zurückweisung – sollte sie dann tatsächlich eintreffen – letztlich nicht ein Misserfolg, sondern eine Bestätigung dafür, dass man etwas versucht hat.